- Im Mai ist der Preis pro Fass Rohöl erstmals seit Herbst vergangenen Jahres wieder auf über 50 US-Dollar gestiegen.
- Die Internationale Energieagentur IEA schätzt, dass die Überproduktion an Rohöl bis Ende 2016 „dramatisch sinken wird“.
- Eine Trendwende beim Ölpreis scheint wahrscheinlich. Wie schnell sich Angebot und Nachfrage ausbalancieren werden, bleibt unklar.
„Die Zeiten ganz günstiger Ölpreise sind vorbei“, zitierte die Frankfurter Allgemeine im Mai den Commerzbank-Ölexperten Eugen Weinberg mit Blick auf aktuelle Ereignisse. Doch wie nachhaltig sind die Auswirkungen der Waldbrände in der Ölsand-Förderregion Alberta / Kanada? Und werden die jüngsten Terroranschläge in Nigeria sowie die Zahlungsprobleme Venezuelas mittel- bis langfristig schwerer wiegen, als die Produktionszuwächse im Iran? Die eher kurzfristigen Begründungen für die nun bereits drei Monate anhaltenden Preissteigerungen beim Rohöl nähren Zweifel an der Stichhaltigkeit der Argumente. Die Ursachen sind wie immer weitaus komplexer.
Deutlich vielschichtiger erscheint da der aktuelle Ölmarktbericht der Internationalen Energieagentur IEA: Dieser sieht deutliche Hinweise, dass der Markt auf dem Weg zu einer neuen Balance aus Produktion und Nachfrage ist. Denn es war vor allem der Überproduktion geschuldet, dass der Rohölpreis seit Mitte 2014 bis Anfang des Jahres 2016 auf Talfahrt gegangen ist. Täglich wurden mehr als 2 Mio. Fass über dem tatsächlichen Bedarf produziert. Die IEA rechnet auch noch für das erste Halbjahr 2016 damit, dass der Lagerbestand täglich um weitere 1,3 Mio. Barrel wachsen wird. Allerdings könnte sich diese Situation im zweiten Halbjahr deutlich verändern: „Die Überproduktion an Rohöl wird zum Ende des Jahres hin dramatisch sinken“, schätzen die Analysten. Die Überproduktion wird, so die Energieagentur, im zweiten Halbjahr 2016 bei nur noch 0,2 Mio. Fass täglich liegen.
Bedarf steigt – das Überangebot schwächt sich langsam ab
Was letztlich im kommenden Jahr zu einer neuen Balance führen könnte, ist der stetig wachsende Bedarf. Für 2016 rechnet die Energieagentur mit einem Plus von 1,2 Mio. Fässern täglich (1,2 mb/d). Im ersten Quartal des Jahres musste diese Prognose sogar nach oben korrigiert werden: Trotz des milden Winters auf der nördlichen Erd-Halbkugel stieg das Wachstum sogar auf
1,4 mb/d.
Die Produktionsausfälle aufgrund der Waldbrände in Kanada summierten sich zuletzt auf 1,2 mb/d, allerdings steigt die Produktion im Iran deutlich stürmischer, als die IEA zum Jahresanfang noch erwartet hatte. Der Staat am Persischen Golf trägt inzwischen (Stand: April) fast 3,6 mb/d zur Weltproduktion bei und exportiert bereits wieder 2 mb/d – innerhalb eines Monats hat Iran somit seine Ausfuhren um
0,6 mb/d gesteigert. Dazu kommt, dass die Opec-Staaten insgesamt ihre Produktion im April weiter gesteigert haben – um 330.000 Fässer täglich auf insgesamt 32,76 mb/d. Knapp ein Drittel davon (10,2 mb/d) kamen aus Saudi Arabien. Auch dies ein Grund dafür, dass die kanadischen Waldbrände den Rohölpreis nur wenig nach oben getrieben haben. Dämpfend auf die Preisentwicklung dürften sich insbesondere die in den vergangenen zwei Jahren aufgebauten, hohen Lagerbestände auswirken.
Nicht-Opec-Länder fördern weniger
Die von der IEA erwarteten Förder-Rückgänge werden vor allem auf die Nicht-Opec-Länder zurückgehen: In diesen soll die Produktion bis zum Jahresende um 0,8 mb/d auf 56,8 mb/d sinken. Wie schnell sich Angebot und Nachfrage ausbalancieren werden, hängt allerdings nicht allein von den aktuellen Projektionen ab, sondern wird auch von zwei weiteren aktuellen Entwicklungen bestimmt: Auf der einen Seite der Förderpolitik der Opec. Anfang Mai hatte Saudi Arabien eine Neufokussierung der Wirtschaftspolitik beschlossen und in der Folge den langjährigen Ölminister Ali al-Nuaimi entlassen. Al-Nuaimi galt als Verfechter einer vom Ölpreis unbeeindruckten hohen Produktion. Ob diese Politik so weiterverfolgt wird, steht nun wieder in Zweifel.
Und ein zweiter Faktor könnte die Finanzierung des Ölsektors in den USA werden. Zuletzt war das Finanzinstitut Wells Fargo in die Schlagzeilen geraten, weil die Bank Kredite in Höhe von 17 Mrd. US-Dollar vergeben hat, deren Ausfallrisiko in Folge des Ölpreisverfalls deutlich gestiegen ist. Die Bedingungen für die Finanzierung neuer Förderprojekte dürften in der Folge deutlich schwieriger werden. Zuletzt war die Zahl der Förderanlagen in den USA im Mai auf den niedrigsten Stand seit 2009 gefallen.
Fazit: Eine Trendwende beim Ölpreis scheint wahrscheinlich. Wie schnell sich Angebot und Nachfrage ausbalancieren werden, und ob gar aufgrund eingestellter und verschobener Investitionsprojekte auch eine Rückkehr zu Preisen jenseits der 100-Dollar-Marke droht, ist aufgrund der vielfältigen Variablen allerdings noch nicht abzusehen.
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