- Beim Einsatz eines Netzdiagramms mit den drei gemessenen Parametern Wandreibungswinkel, Scherspannung und Schüttgutdichte sowie den drei errechneten Parametern Silo-Neigungswinkel, Durchmesser der Austragsöffnung (Verhältnis Scherspannung zu Schüttgutdichte) und Hausner-Faktor ergibt sich ein wesentlich runderes und informativeres Bild der Fließeigenschaften.
- Die Technik wurde entwickelt für eine allgemeine Betrachtung von Fließfähigkeit auf Basis der Daten aus zahlreichen durchgeführten Tests. Als Weiterentwicklung der Technik wäre eine Anwendung auf einzelne Materialien denkbar (z. B. Vergleich verschiedener Güten, Chargen, Hersteller, saisonaler Abweichungen usw.), um so herauszufinden, welche Fließeigenschaften noch praktikabel durch Auslegung der Anlagen verändert werden können oder mit welchen Verarbeitungsstrategien ein optimales Verhalten erzielt werden kann.
- Eine Verfeinerung dieser Methode um weitere Faktoren wie innere Reibung oder laterales Spannungsverhältnis mit verstärkter Definition der Größe kann dem Ingenieur dabei helfen, die Leistung oder Auslegung der Anlage noch besser an die Eigenschaften der Schüttgüter anzupassen und so die Zuverlässigkeit der Handhabung zu erhöhen.
Wie also kann der Chemieingenieur das Fließverhalten von pulverförmigen Schüttgütern während der Fertigung vorhersagen? In der Regel wird dabei untersucht, wie das Material an einer Kontaktfläche entlang gleitet, beispielsweise an einer Silowand oder einer Mischerschaufel, welche Spannungen sich aufbauen und wie die Schüttdichte sich bei Verdichtung verhält. Diese Eigenschaften begünstigen nämlich die Bildung von Brücken im Schüttgut und das Entstehen von Fließstörungen. Teilweise werden Tests durchgeführt, zum Beispiel wie lange es dauert, bis ein Pulver aus einem Trichter geflossen ist, oder wie viel Energie benötigt wird, um eine Rührschaufel in einem Pulverbett zu bewegen, da sie relativ leicht durchzuführen sind. Unglücklicherweise sind sie nur sehr schwer auf reale Anlagenbedingungen übertragbar. Darüber hinaus sind Aussagen wie „gut fließend“ oder „schlecht fließend“ sehr subjektiv und geben nur eine von mehreren Eigenschaften unter ganz spezifischen Bedingungen wieder. Beim freien Schütten kann ein Pulver „gut fließend“ wirken, aber nach dem Entlüften oder beim Einwirken von Verdichtungskräften einen sehr festen und stabilen Zustand annehmen. Ein trockenes, kristallines Produkt wird im Allgemeinen durch eine relativ kleine Öffnung fließen. Wenn es jedoch feucht wird oder sich aufgrund der Bildung kleinster Kristallbrücken zwischen den Partikeln verfestigt, wird es schließlich ausnehmend verformungsresistent.
Pulverfluss ist nicht immer ideal
In den meisten Fällen ist das optimale Fließverhalten der Massenfluss, d.h. beim Austragen ist das gesamte Pulver in Bewegung. Dies hat zahlreiche Vorteile, zum Beispiel das Vermeiden einer Entmischung und ein effizienter Fluss in Richtung der Austragsöffnung. Das Erreichen eines zumindest fast vollständigen Massenflusses ist nur dann möglich, wenn die Lagerbehälter und die anderen Anlagenkomponenten auf das Fließverhalten des Schüttgutes abgestimmt werden. Bei einem Material mit hoher Reibung muss ein gut funktionierendes Silo einen ausreichend großen Fließkanal haben, um eine Schachtbildung zu vermeiden und ausreichend steile Trichterwände, um sich allein über die Schwerkraft entleeren zu können. Zur Schachtbildung kommt es, wenn das Schüttgut nur in der Silomitte direkt über der Austragsöffnung im Fluss ist, am Rand aber ruht. In der ruhenden Zone bleibt ein großer Teil des Silovolumens ungenutzt, und nur ein kleiner Teil des Siloinhalts kann problemlos ausgetragen werden. Titandioxid beispielsweise hat eine sehr hohe Reibung auch auf polierten Edelstahloberflächen, und eine ausreichend steile Silowand, um Schachtbildung zu vermeiden, lässt sich bei konischen Silos praktisch kaum realisieren.
Pulverförmige Chemikalien charakterisieren
Für die Vorhersage des Verhaltens einzelner pulverförmiger Chemikalien wünschen sich viele Ingenieure eine einzige Messgröße, mit deren Hilfe das Fließverhalten charakterisiert werden kann. Es gibt eine Reihe von Methoden, die mithilfe einer einzelnen Messgröße die „Fließfähigkeit“ zu quantifizieren versuchen. Beispiele sind der Böschungswinkel, der Hausner-Faktor, der Carr-Index und die etwas komplexere Jenike-Fließfunktion. Diese Herangehensweise ist jedoch problematisch. Es gibt zum Beispiel keinen ersichtlichen Grund dafür, warum ein Pulver mit hoher Reibung auch eine starke Kohäsion entwickeln sollte oder umgekehrt. Zwar ist es von Nachteil für das Fließverhalten, wenn beide Eigenschaften zusammentreffen, aber sie stehen nicht notwendigerweise in einer Beziehung miteinander.
Tatsächlich wird das reale Schüttgutfließverhalten in der Praxis von zahlreichen Eigenschaften eines Schüttguts und deren Interaktion mit den verschiedensten Auslegungselementen von Anlagenteilen beeinflusst, wie beispielsweise Silos und Reaktionsgefäßen, Förderschnecken und anderen Fördergeräten. Für das Fließen eines Schüttguts sind von seinen zahlreichen Eigenschaften vermutlich diejenigen am wichtigsten, die beeinflussen, wie das Produkt an einer Oberfläche entlang gleitet (Wandreibung) und welchen Widerstand das Schüttgut der Verformung entgegensetzt (Scherspannung). Beide werden von der Verdichtung („Verfestigung“) des Schüttguts beeinflusst, so dass auch die Schüttgutdichte für das Quantifizieren des Schüttgutzustands und der für ein Schwerkraftfließen erforderlichen Kräfte von Bedeutung ist. Es müssen also der Wandreibungswinkel, die Scherspannung und die Schüttgutdichte bekannt sein, um ein Silo für den Massenfluss eines Schüttguts auszulegen und die Brückenbildung an der Austragsöffnung zu vermeiden. Der Wandreibungswinkel kann mithilfe eines linearen Schergeräts und eines Kraftmessers gemessen werden, die Scherspannung mithilfe eines vertikal belasteten Ringschergeräts.
Besser das Fließverhalten von Pulvern vorhersagen
Eine verbesserte Methode zur Vorhersage des Fließverhaltens baut auf den gemessenen Größen Wandreibungswinkel, Scherspannung und Schüttgutdichte auf, nutzt aber darüber hinaus drei weitere Faktoren: Neigungswinkel der Silo- bzw. Reaktorwand, Durchmesser der Austragsöffnung sowie Hausner-Faktor. Aus diesen Messwerten lässt sich ein Netzdiagramm erstellen, in dem die Achsen jeder dieser Eigenschaften eine Reihe konzentrischer Kreise schneiden. Wo diese Achsen den kleinsten Kreis schneiden, gilt der entsprechende Messwert als Voraussetzung für ein gut fließendes Schüttgut. Je größer der überdeckte Kreis wird, desto schlechter werden demzufolge die Fließeigenschaften. Ein Netzdiagramm wird qualitativ aussagekräftiger, wenn zur Definition der Kreise Testdaten verwendet werden, die aus der Messung vieler Materialien stammen.
Andieser Stelle ist zu beachten, dass die Achse für die Schüttgutdichte in umgekehrter Richtung verläuft, denn im Allgemeinen bedeutet eine geringere Schüttgutdichte ein schlechteres Fließverhalten. Als praktisches Beispiel sei hierbei zu nennen, dass durch Mahlverfahren meist Schüttgüter geringerer Dichte entstehen, die beim Lagern schlechtere Fließeigenschaften zeigen.
Aus der Tabelle lassen sich folgende durchschnittliche Eigenschaften „gut“ und „schlecht“ fließender Schüttgüter ableiten:
„Gut fließendes“ Material verfügt über eine geringe Reibung (< 20 °) und kommt in einem konischen Silo bereits bei einem Neigungswinkel von 65 ° gegenüber der Horizontalen zum Massenfluss. Es hat eine hohe Schüttgutdichte (um 1.200kg/m3), ist aber relativ unempfindlich gegen Verdichtung oder Vibration bei einem geringen Hausner-Faktor (bis 1,1). Seine geringe Scherspannung (maximal 300 N/m2) in Verbindung mit der hohen Schüttgutdichte lässt es auch durch eine kleine Austragsöffnung (< 15 cm Durchmesser) fließen. Ein praktisches Beispiel wäre eine frei fließende Laktosequalität mit einem Wandreibungswinkel von 17 ° gegen Edelstahl, Scherspannung 197N/m2, Hausner-Faktor 1,1, Auslassdurchmesser 9 cm und einem Massenfluss-Neigungswinkel von 64 ° in einem konischen Silo. Mit einer Schüttgutdichte von 867 kg/m3 hätte dieses Material eine kleine Spitze auf der Dichte-Achse des Netzdiagramms und damit eine einzige Abweichung von einem ideal fließenden Material.
„Schlecht fließendes“ Material hat eine hohe Reibung (> 30 ) und kommt auch im steilsten konischen Silo (mit > 80 °) kaum zum Massenfluss; es wird vermutlich einen keilförmigen Silotrichter benötigen. Es hat eine geringe Schüttgutdichte (um 400 kg/m3) und ist hoch empfindlich gegen Verdichtung, was sich in einem hohen Hausner-Faktor (um 1,5) ausdrückt. Durch seine hohe Scherspannung (2.000 N/m2) in Verbindung mit der geringen Schüttgutdichte benötigt es große Austragsöffnungen (> 100 cm Durchmesser). Ein praktisches Beispiel wäre eine Titanoxidqualität mit einem Wandreibungswinkel von 33,8 ° gegen Edelstahl, Schüttgutdichte von 664kg/m3, Scherspannung 2.690 N/m2, Hausner-Faktor 1,33, Auslassdurchmesser 165 cm und einem Massenfluss-Neigungswinkel in einem konischen Silo von fast 80 ° zur Horizontalen.