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  • Bei der Produktion von Kunststoff-Masterbatches spielt die Rezeptverwaltung aufgrund der großen Menge verschiedener Ausgangsstoffe eine wichtige Rolle.
  • Die vorgerstellte ERP-Softwarelösung ermöglicht einen hohen Automatisierungsgrad und bildet den Fertigungsprozess von der Lagerhaltung über Abwiegen und Mischen bis hin zur Auslieferung ab.
  • Die durchgängige Digitalisierung steigert die Produktqualität, senkt die Fertigungskosten und verkürzt die Lieferzeiten.
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Vom Silo bis zur Auslieferung: Die Softwarelösung begleitet den vollständigen Fertigungsprozess. Bilder: Gabriel Chemie

Helmut Koenig, Chief Technical Officer, Gabriel-Chemie Group.pg

Helmut König, Chief Technical Officer, Gabriel-Chemie Group, "Heute sprechen all unsere Anlagen in Echtzeit mit Proalpha. Wir haben bisher etwa drei Viertel des Weges zur Smart Factory zurückgelegt."

Möglich ist dies mit Masterbatches, wie sie die Gabriel-Chemie-Group aus Gumpoldskirchen in Österreich produziert. Bei Masterbatches handelt es sich um eine Art Konzentrat in Granulatform, das die Kunden später dem natürlichen Kunststoff, dem sogenannten Rohpolymer, zufügen. Dieser Vorgang ähnelt der Herstellung von Limonade: Man kann das Erfrischungsgetränk herstellen, indem man eigenhändig Fruchtsaft, Zucker und Aromastoffe in Wasser einrührt. Stattdessen lässt sich aber auch ein Sirup nutzen, in dem alle Farb- und Geschmacksstoffe bereits in konzentrierter Form mit wenig Wasser im richtigen Verhältnis vorgemischt sind. Das ist deutlich bequemer.

Zehntausende individuelle Rezepturen

Beim Kunststoff liegen wegen der unterschiedlichen Anforderungen jedoch extrem viele „Geschmacksrichtungen“ vor: „Wir führen eine hohe Anzahl von Rohmaterialien. Diese müssen wir über einen ziemlich vereinheitlichten Fertigungsprozess zu einem individuellen Produkt zusammenführen, für das es meist sehr spezielle Kundenanforderungen gibt“, erläutert Helmut König, Chief Technical Officer (CTO) der Gabriel-Chemie Group. Dazu gibt es bereits Zehntausende von Rezepturen, auf die in der Fertigung zurückgegriffen werden kann. Sie sind das „Betriebsgeheimnis“ des Familienunternehmens.

Um einen derart komplexen Produktionsprozess optimal steuern und abbilden zu können, hat sich der Mittelständler bereits 1999 für die ERP-Komplettlösung Proalpha entschieden. Mit dieser Software startete das Unternehmen auch seinen Weg in Richtung Industrie 4.0. „Allerdings hat das damals natürlich noch niemand so genannt“, erinnert sich IT-Leiter Fritz Bauer. Doch die Ziele wie niedrigere Kosten, bessere Qualität, kürzere Lieferfristen und höhere Kundenzufriedenheit durch weitgehende Automatisierung der Abläufe galten bereits um die Jahrtausendwende. Und die zentrale Planungs- und Steuersoftware spielt damals wie heute die Hauptrolle.

Den Anfang der intelligenten Fabrik machte ein grafischer Leitstand, den das Chemieunternehmen auf Proalpha-Basis entwickelte. Dann wurde die Siemens-Prozessleittechnik mit dem ERP-System an mehreren Stellen gekoppelt, etwa bei der Mess-, Steuer- und Regeltechnik für das Bereitstellen des Grundpolymers und das Einwiegen der pulverförmigen Pigmente und Additive. „Heute sprechen all unsere Anlagen in Echtzeit mit Proalpha“, unterstreicht Helmut König.

ISO-zertifiziertes Wiegen und Mischen

Ausgangspunkt für die Herstellung der individuellen Masterbatches sind diverse Silos, in denen die wichtigsten Kunststoffe (Rohpolymere) vorrätig gehalten und über Rohrleitungen zu den einzelnen Wiege- und Mischplätzen befördert werden. Jedem Silo ist auf dem Bildschirm des grafischen Leitstands eine Nummer zugeordnet, die dem Lagerplatz im Softwaremodul Materialwirtschaft entspricht. Außerdem werden dort die Rohr- und Schlauchnummern angezeigt, die zu einem passenden Wiege- und Mischplatz führen.

Nachdem Silos und Rohre miteinander gekoppelt sind, kann der Verwiegevorgang beginnen. Dabei wird entsprechend der im System gespeicherten Rezeptur die benötigte Sollmenge des Kunststoffs automatisch an eine Waage übergeben. Die ERP-Software definiert auch, welcher Wiegevorgang mit welcher Waage zu erfolgen hat. Die Waagen besitzen unterschiedliche Toleranzgrenzen, je nachdem, wie fein dosiert die Zugaben sein müssen. Dies sichert die Qualität und Reproduzierbarkeit der Farbmischungen und Endprodukte ab. Ist das Rohpolymer dann in der richtigen Menge in den Mischbehälter abgelassen, finden sofort die entsprechenden Lagerbuchungen im ERP-System statt.

Nachdem der Betreiber die für die jeweilige Mischanlage geplanten Produktionsaufträge auf dem sogenannten Waagen-Cockpit ausgewählt hat, ist auf dem Display die jeweils aktuelle Stücklistenversion der Rezeptur zu sehen. Die benötigten Pigmente und Additive, die dem Rohpolymer zuzufügen sind, sind dort bereits in der entsprechenden Menge und in der richtigen Reihenfolge zu sehen und lassen sich Schritt für Schritt fehlerfrei dosieren. Gleichzeitig wird auch hier die eingewogene Menge im System abgebucht. Danach erfolgt der Mischvorgang, und anschließend kann das kundenindividuelle Masterbatch in Säcke abgefüllt werden. „Unsere exakten Wiege- und Mischprozesse sind ISO-zertifiziert. Das hat für unsere Kunden den Vorteil, bestimmte Bereiche ihrer eigenen Wareneingangskontrolle entfallen zu lassen und dadurch eigene Prozesskosten zu sparen“, betont Bauer.

Produktgedächtnis mit Strichcode

Nachdem das Masterbatch in die Säcke abgefüllt ist, setzt das jüngste Projekt auf dem Weg zur intelligenten Fabrik an. Das fertig gemischte Granulat wird in Paletten zum Kunden geliefert, die Plastiksäcke sind darauf gestapelt. Dabei muss die Logistik mit ganz unterschiedlichen Verpackungswünschen zurechtkommen. Das fängt mit einer variablen Anzahl von Säcken bei jedem Auftrag an und hört bei spezifischen Kundenetiketten und verschiedenen „Paletten-Schlichtmustern“ noch lange nicht auf. Letztere sind vom ERP-System berechnete Vorschläge für das platzsparende Beladen der Paletten, was ein späteres Umschichten beim Transport zum Kunden erspart.

Um einen weitgehend automatisierten Ablauf sicherzustellen, hat der Betreiber eine der bestehenden Palettierlinien um einen Etikettendrucker und einen Sensor erweitert, der die Palettenhöhe ermittelt. Über eine Kopplung zwischen diesem System und der ERP-Software findet der Austausch der benötigten Informationen statt. Die für einen Auftrag zu palettierenden Säcke sind mit einem Strichcode versehen. Sie laufen von der Abfüllstation über ein Förderband zu der automatisierten Palettierlinie, wo der Code erfasst wird. Das im ERP-System gespeicherte „intelligente Produktgedächtnis“ bestimmt daraus nun das optimale Schlichtmuster. Es ergibt sich aus dem Sackgewicht, der Schüttdichte und dem vorgesehenen Palettengewicht.

Der Palettierroboter erhält diese Information und kann nun mit dem Stapeln der Säcke beginnen. Zum Schluss wird die komplette Palette automatisch in Folie eingewickelt, mit einem Etikett versehen und im Modul Materialwirtschaft verbucht. Gleichzeit löst das ERP-System einen Transportauftrag zum Befördern der Ware in das Hochregallager aus. Dort soll das System in Zukunft mithilfe der vom integrierten Sensor ermittelten Palettenhöhe automatisch einen optimalen Lagerplatz ermitteln.

Durchgängige Digitalisierung zahlt sich aus

Die durchgängige Digitalisierung beim Kunststoffhersteller macht sich in konkreten Ergebnissen bemerkbar: Die Qualität der Masterbatches hat sich deutlich verbessert, denn die komplexen Prozesse laufen nahezu fehlerfrei. Die Fertigungskosten sanken um mindestens 20 bis 30 %, und die Lieferfristen sind durch die beschleunigten Abläufe um 70 % kürzer. Dies spiegelt sich auch im Umsatz wieder: Während das Branchenwachstum bei durchschnittlich 1 bis 2 % liegt, verzeichnet der Mittelständler einen jährlichen Zuwachs von 8 bis 12 %.

Auch wenn noch einiges zu tun ist, schätzt CTO König, dass sein Unternehmen beim Thema Industrie 4.0 in der Branche bereits heute international vorne mitspielt: „Wir haben bisher etwa drei Viertel des Weges zur Smart Factory zurückgelegt.“ Weitere Projekte seien aber schon in Planung und sollen bis 2020 umgesetzt werden.

 

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Unternehmen

Gabriel-Chemie Deutschland GmbH

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