- Unternehmen der chemischen Industrie können von der schnellen additiven Fertigung profitieren, auch bei druckbelasteten Bau- und Ersatzteilen.
- Zertifizierte 3D-Druckgeräte erfüllen alle normativen Anforderungen – insbesondere die der DGRL – und ermöglichen ein vergleichbares Sicherheitsniveau wie konventionell gefertigte Produkte.
- Zahlreiche additiv gefertigte Bauteile wie Standardlaufräder für Chemienormpumpen wurden bereits im Feld beim Kunden und in hauseigenen Prüfständen erfolgreich getestet.
Pumpen sind das Herzstück chemischer Produktionsanlagen. Ausfälle müssen daher zeitnah beseitigt werden. Doch dies kann in Zeiten der Covid-19-Pandemie zur Herausforderung werden. Einige Hersteller von Anlagenteilen sahen sich aufgrund von Kurzarbeit und anderen Engpässen bereits gezwungen, ihre Liefertermine zu verschieben. Die additive Fertigung von Bauteilen kann dazu beitragen, dass benötigte Pumpen oder Ersatzteile schneller verfügbar sind, obwohl durch die Covid-19-Pandemie Lieferketten teilweise unterbrochen wurden.
Sind 3D-Pumpenteile genauso sicher?
Doch sind 3D-Bauteile genauso sicher und zuverlässig wie die aus konventioneller Fertigung? Die Antwort auf diese Frage hat oberste Priorität für die chemische Industrie. Einkäufer und Betriebsleiter benötigen belastbare Informationen, ob die so gefertigten drucktragenden Pumpen, Ventile oder Armaturen für den Einsatz in Produktionsanlagen geeignet sind. Bisher prüfen Hersteller ihre additiv gefertigten Bauteile jedoch meist nur optisch. Oft fehlen statistisch belegbare Aussagen über die werkstofftechnischen Produktparameter. Dazu zählen unter anderem statistische Angaben zu Abweichungen von den Soll-Werten, mechanisch-technologische Kennwerte aus der Produktion und Daten zum Bauraum der Maschinen für die additive Fertigung.
Innerhalb der EU dürfen ausschließlich Druckgeräte und Baugruppen in Verkehr gebracht werden, die den Anforderungen der Druckgeräterichtlinie 2014/68/EU (DGRL) entsprechen. Daher hatte KSB beschlossen, durch eine unabhängige Stelle prüfen zu lassen, ob die eigene additive Fertigung normenkonform ist. Die Pumpen und Armaturen des Herstellers werden unter anderem in der chemischen Industrie, im Bergbau, in der Wasserversorgung und der Gebäudetechnik genutzt. Das Unternehmen setzt bei der metallbasierten additiven Fertigung das sogenannte Pulverbettverfahren (PBF) ein, dessen schichtweiser Herstellungsprozess präzise und komplexe Geometrien ermöglicht. Der Pumpenanbieter nutzt das Herstellungsverfahren sowohl für den Ersatz konventioneller Bauteile als auch für kundenindividuelle Sonderanfertigungen sowie für neue, speziell für die additive Fertigung entwickelte und designte Komponenten.
TÜV SÜD Industrie Service führte das Audit durch und bestätigte, dass die additive Fertigung des Unternehmens konform zur DGRL und allen relevanten gesetzlichen Vorgaben ist. Gegenstand des Audits waren unter anderem Basisqualifikationen wie ein Qualitätsmanagementsystem nach ISO 9001, die Qualifizierung des Bauraums und eine Verfahrensprüfung sowie Bewertung der Maschinen und Mitarbeiterqualifikation.
Normative Grundlagen
Das Audit erfolgte auf Grundlage eines vom Industriedienstleister neuentwickelten Zertifizierungsprogramms, das die allgemeinen Sicherheitsanforderungen der DGRL und weitere Normen und Richtlinien berücksichtigt. Relevant ist insbesondere Anhang I, Abschnitt 3 der DGRL, der sich mit den Fertigungsverfahren beschäftigt. Die Vorgaben betreffen unter anderem den Einsatz geeigneter Fertigungstechniken und -verfahren sowie die Freiheit der Produkte von inneren und äußeren Mängeln. Außerdem ist geregelt, dass nur qualifiziertes Personal zerstörungsfreie Prüfungen vornehmen darf und dass eine durchgängige Rückverfolgbarkeit der Werkstoffe drucktragender Teile gewährleistet sein muss.
Die Prüfer wendeten sinngemäß auch die EN 13445-4 „Unbefeuerte Druckbehälter – Teil 4: Herstellung“ an. Diese betrachtet bisher nur konventionelle Fertigungsverfahren. Die Experten griffen daher auf ihre langjährige Erfahrung mit Werkstoffen und in der Schweißtechnik zurück. Zusätzlich legten sie ihren Beurteilungen Best-Practice-Szenarien zugrunde. Die Anforderungen der EN 13445 ließen sich für die additive Fertigung auch deshalb nur bedingt übernehmen, da keine genormten Werkstoffe existieren.
Der Werkstoff entsteht während des Fertigungsprozesses. Ein Laser verschmilzt das schichtweise aufgetragene Metallpulver zu einer festen Legierung. Teilweise werden Stützstrukturen eingesetzt. Diese geben dem Bauteil Halt, führen Hitze ab und werden anschließend entfernt. Die Parameter für den Prozess und das Ausgangspulver werden bei einer erfolgreichen Produktion für weitere Produktionsläufe fixiert. Um eine gleichbleibende Qualität zu sichern, müssen die Anforderungen an Lieferanten und ihre Pulver genau definiert werden. Dazu ist es notwendig, dass sowohl Hersteller als auch Lieferanten über geeignete Analysemöglichkeiten verfügen, um Abweichungen von den geforderten Spezifikationen messen und beurteilen zu können.
Unregelmäßigkeiten und Abweichungen bewerten
Diese Analyse ist schwierig, da exakte Grenzwerte meist nicht vorhanden sind. Dies betrifft sowohl Poren und Hohlräume in den Bauteilen als auch die Morphologie des Metallpulvers. TÜV SÜD greift daher auf Erfahrungswerte aus der Praxis zurück, um zu beurteilen, welche Unregelmäßigkeiten im Toleranzbereich liegen. Ein geringer Anteil an Hohlräumen, eine minimale Streuung der Größe der Pulverpartikel oder leicht raue, dendritische Struktur können durchaus im Rahmen der Soll-Werte liegen. Allerdings müssen Kunden klar definieren, welche Parameter bei Ausgangsstoffen und Produkten eingehalten werden müssen. Dies schließt auch Angaben zu Toleranzen und Messgenauigkeiten ein. Die Messgenauigkeit der Analysegeräte und -verfahren muss auf die zu erwartenden Toleranzen abgestimmt sein und es müssen verbindliche Grenzwerte festgelegt werden.
Die Anforderungen stellen die beauftragten Labore oft vor Probleme, da fallweise keine Rückführbarkeit auf sogenannte Prüfnormale besteht. Für die Kalibrierung der Messgeräte sind Vergleichsgegenstände jedoch notwendig, um eindeutig zu klären, welches Maß an Abweichung tolerabel ist. Unter Umständen müssen eigene Referenzproben aufgebaut und geeignete Messverfahren definiert werden, um Messunsicherheiten zu ermitteln. Dabei sollte die angestrebte Genauigkeit so gewählt werden, dass das geforderte Qualitätsniveau sicher erreicht wird, ohne unnötigen Aufwand und unverhältnismäßig hohe Kosten für die Prüfung und Kalibrierung zu verursachen.
Die gesamte Prozesskette im Blick
KSB bezieht bei der Qualitätssicherung die gesamte Prozesskette ein. Dies beginnt mit dem Eingang der Ware und einer umfangreichen Prüfung des gelieferten Metallpulvers. Darauf folgen kontinuierliche, produktbegleitende Prüfungen. Das Unternehmen verfügt über ein eigenes akkreditiertes Prüflabor, das Produkte analysiert. In der additiven Fertigung setzt der Hersteller ausschließlich entsprechend qualifizierte Mitarbeiter und geprüfte Maschinen ein.
Um eine effiziente Qualitätssicherung aufzubauen, hat das Unternehmen von Beginn an umfangreiche Statistiken anhand der Prüfproben erstellt. Erfasst und gespeichert werden mechanisch-technologische Kennwerte der Bauteile ebenso wie die chemische Zusammensetzung des Ausgangspulvers und die Werte der Prüfkörper nach der Verarbeitung. Außerdem untersucht das eigene Werkstofflabor aktuell weitere relevante Werkstoffe.
Im Unternehmen werden derzeit Maschinen zweier Hersteller eingesetzt. Dabei handelt es sich um die Maschinen M2 Classic und M2 Dual Laser von Concept Laser sowie die Maschine M400-4 von EOS. Alle sind zertifiziert für die Herstellung drucktragender Bauteile mit dem metallischen Werkstoff Noribeam 316L. KSB hat ein eigenes Werkstoffdatenblatt mit verifizierten Kennwerten aus mehreren Hundert Zug- und Kerbschlagbiegeproben erstellt, das als Grundlage und Referenz gilt.
Zu den anspruchsvollsten Aufgaben der Zertifizierung zählt die Beurteilung der Maschinen. Denn jeder Maschinentyp hat seine individuellen Stärken und Schwächen. Dies gilt sowohl für Maschinen von verschiedenen als auch von gleichen Herstellern. Der Pumpenhersteller ermittelt daher zu Beginn alle relevanten Risiken für jeden einzelnen Maschinentyp in einer umfangreichen Auswirkungsanalyse. Auf Grundlage dieser Ergebnisse wurde eine Qualitätssicherung aufgebaut, die die Besonderheiten der Prozesse und Maschinen berücksichtigt.
Zentrales Element der Analyse ist die sogenannte Bauraumqualifizierung. Untersucht werden unter anderem die unterschiedlichen Strömungsverläufe des Prozessgases, die verschiedenen Pulveraufzugsmethoden und die Lasersysteme der drei eingesetzten Maschinentypen. Die Analyseergebnisse werden gespeichert und fließen im Rahmen der kontinuierlichen Qualitätsanalyse in die statistische Auswertung ein. Abschließend beurteilt der Hersteller die Bauteile und setzt dazu sowohl zerstörende als auch zerstörungsfreie Prüfmethoden ein.