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Die Wittmann Gruppe möchte 2023 den Umsatz um rund 10 % steigern. (Bild: Fotomek – stock.adobe.com)

  • Die Digitalisierung in Produktion und Technik ist stark von neuen Technologien getrieben. Dabei gerät jedoch oft das konkrete Geschäftsmodell aus dem Blick.
  • Digitalstrategien sollten sich daher auf den Mehrwert für die wesentlichen Geschäftsprozesse in der Prozessindustrie konzentrieren – das sind die Supply Chain und der Asset-Lebenszyklus.
  • Die Autoren zeigen dies am Beispiel des Spezialchemie-Unternehmens Evonik.

Die Verunsicherung in der Industrie bezüglich der Entwicklungen der Digitalisierung ist auch sieben Jahre nach Veröffentlichung des Acatech-Papiers zur Industrie 4.0 noch sehr hoch – genauso wie die Zahl der misslungenen Projekte. Dabei stehen Daten aufgrund der neuen (drahtlosen) Kommunikationstechniken und Möglichkeiten, große Mengen an Informationen zu verarbeiten und zu speichern, theoretisch jederzeit und überall zur Verfügung. Viele Themen wie Simulation, „Predictive Maintenance“ oder „Data Analytics“ sind nicht neu. Datenanalysen – so der deutsche Begriff – etwa sind zumindest bei einigen Unternehmen in der Branche der Prozessindustrie seit 30 Jahren Stand der Technik, um Signifikanzen und Abhängigkeiten in Prozessen zu erkennen und diese optimal zu fahren. Natürlich sind die Werkzeuge besser geworden, aber leider haben wir in unseren Prozessen selten „Big Data“, sondern eher „Bad Data“. Das hat zur Folge, dass auch heute noch der wesentliche Aufwand in der Datenaufbereitung und nicht in der Anwendung etwa von neuronalen Netzen liegt.

Automatisierung der Geschäftsprozesse

Viele „Digitalstrategien“ in Produktion und Technik sind von neuen Technologien getrieben, und am Ende steht die Frage: Wo ist der Business Case? Daher müssen sich erfolgreiche Digitalisierungsstrategien konsequent am Mehrwert in den wesentlichen Geschäftsprozessen in unserer Branche orientieren. Das heißt, sie sollten diese transparenter, effizienter, flexibler und am Ende vielleicht auch selbststeuernd machen. Das ist nichts anderes als die „Automatisierung unserer Geschäftsprozesse“.

Bildergalerie: Digitalisierung und die Chemiefabrik der Zukunft

Für die Prozessindustrie sind zwei Geschäfts- oder Wertschöpfungsprozesse relevant: Der erste ist die Supply Chain, von den Rohstofflieferanten über die Produktion bis zum Anwender. Der zweite relevante Geschäftsprozess liegt, da die Prozessindustrie sehr innovationsgetrieben und investitionsintensiv ist, im Produkt- und Anlagen-Lebenszyklus (Asset Lifecyle). Dieser geht von der Produktentwicklung über die Verfahrensentwicklung und das Engineering letztlich bis zum Bau und Betrieb der Anlage. Im Anlagenbetrieb überschneiden sich beide Geschäftsprozesse, weshalb der Digitalisierung der Produktion besondere Bedeutung zukommt.

Getrieben durch den Wunsch, die Wertschöpfungsketten zu optimieren, hat Evonik Technology & Infrastructure in der Produktion und Technik eine Digitalisierungsstrategie entwickelt, die sich auf diese beiden Geschäftsprozesse fokussiert. Darin enthalten sind darüber hinaus das digitale Standortmanagement, digitale Tools für Mitarbeiter sowie digitale Schnittstellen zu den Chemiesegmenten.

Integrated Engineering im Anlagen-Lebenszyklus

Evonik Die zwei wesentlichen Geschäftsprozesse der Prozessindustrie sind die Supply-Chain und der Asset-Lebenszyklus

Die zwei wesentlichen Geschäftsprozesse der Prozessindustrie sind die Supply-Chain und der Asset-Lebenszyklus. Bilder: Evonik

Am weitesten fortgeschritten in der Umsetzung und Wertschöpfung sind die Initiativen im Anlagen-Lebenszyklus, die im Wesentlichen der Bereich Verfahrenstechnik & Engineering initiiert und koordiniert. Betrachtet man das Datenmanagement im Anlagenlebenszyklus in der Prozessindustrie, so finden wir heute noch ein über die verschiedenen Abschnitte des Lebenszyklus und die verschiedenen Gewerke sehr fragmentiertes Datenmanagement und eine Vielzahl verschiedener IT-Werkzeuge. Als Beispiel: Evonik betreibt bis heute ungefähr 160 verschiedene IT-Werkzeuge im Asset-Lebenszyklus, von der Simulation bis zu den Maintenance-Systemen mit wenig automatisierten Schnittstellen, zum Teil „händischen Datentransfers“ und mehrfach redundanter Pflege der Stammdaten. Die Lösung sind ein integriertes, konsistentes und herstellerunabhängiges Datenmodell für den Asset-Lifecycle – ein sogenannter digitaler Zwilling – sowie integrierte Systeme, die auf dieser einheitlichen Datenstruktur aufsetzen. Das schafft die Voraussetzungen für „Integrated Engineering“ und die wirtschaftliche Nutzung etwa von Augmented Reality. Das Asset-Lifecycle-Datenmodell von Evonik basiert auf dem DEXPI-Datenmodell, welches auf Basis der ISO 15926 und weiterer internationaler Normen in der DEXPI-Initiative von Unternehmen der Prozessindustrie, Hochschulen und CAE-Herstellern entwickelt wurde. Unter Nutzung dieses Datenmodels und einer Datenbank wurde eine integrierte CAE-Landschaft aus Tools mehrerer Hersteller entwickelt, mit denen sich Projekte über den ganzen Lebenszyklus inklusive Betrieb integriert bearbeiten lassen. Erfolgreiche erste Teilanwendungen der Systemlandschaft zeigen, dass das Ziel, die Gesamtprojektkosten um über 5 % zu reduzieren, erreicht werden kann. Dies geschieht durch Effizienzsteigerung an den Schnittstellen sowie die Reduktion von „Qualitätskosten“ – etwa durch Änderungen auf der Baustelle.

Modularisierung kann Time-to-Market halbieren

Evonik In der wertbeitraggetriebenen Methodik nimmt mit dem Level der Digitalisierung auch die Produktivität zu

In der wertbeitraggetriebenen Methodik nimmt mit dem Level der Digitalisierung auch die Produktivität zu. Bilder: Evonik

Neben der Effizienz des Asset-Lifecycle sind für die Prozessindustrie zwei weitere Aspekte entscheidend: die Geschwindigkeit der Produktentwicklung bis zur ersten Produktion, also die Time-to-Market, sowie die Flexibilität der Produktion, um Lagerstände reduzieren zu können. Der Schlüssel dazu liegt in der Modularisierung. Für Pilotanlagen und Pilotproduktionen kann die Kombination von modularen Anlagen und individuell optimierten Metall-3-D-gedruckten Kernapparaten, wie Reaktoren, Düsen und Mischern, einen weiteren Mehrwert liefern, um hoch effiziente Pilotanlagen schnell aufzubauen. Die Kernprozesse werden dabei CFD-simuliert, die Apparategeometrie auf die Zielgröße – zum Beispiel die Ausbeute – hin optimiert, die dann meist bionische Form 3D-gedruckt und in die Versuchsanlage eingebaut. Dieser Zyklus dauert etwa eine Woche.

Evonik besitzt mittlerweile mehr als 25 Pilotanlagenmodule und eine Handvoll 3D-gedruckter Apparate, darunter auch Druckgeräte wie Reaktoren bei über 200 bar und 300 °C. Damit ist das Unternehmen auf gutem Weg, die Time-to-Market für neue Produkte insbesondere in der Spezialchemie zu halbieren.

Vision von der ferngesteuerten Chemieanlage

Als letztes Schwerpunktfeld bleibt die Digitalisierung des Kerns der Geschäftsprozesse: unserer Produktion und der Bestandsanlagen. Hier hat man ebenfalls eine systematische wertbeitraggetriebene Methodik (E-DX) entwickelt, um den Reifegrad in den Prozessen der Produktion zu erhöhen. Dabei ist der Blick nicht auf die Prozessführung und die Instandhaltung begrenzt, sondern die Methodik hilft auch dabei, alle administrativen Prozesse durch Digitalisierung zu optimieren. Die Methodik ermittelt strukturiert das Potenzial und die Kosten einer maßgeschneiderten, digitalen und sinnvollen Roadmap, um auf dieser Basis Digitalisierungsprojekte aufzusetzen, die in der Regel eine Pay-back-Zeit von einem Jahr haben.

In der Produktion ermöglichen neue Architekturen die vertikale Vernetzung – von der Feldebene bis in die Cloud. Plattformen für das Internet of Things (IoT) ermöglichen ein effizientes Datenmanagement, die effiziente Nutzung von Datenanalysen, das Management der gesamten Produktion inklusive der Management-Prozesse und in der Zukunft auch den Remote-Betrieb von Chemieanlagen.

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Evonik Industries AG-1

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