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(Bild: LIGHTFIELD STUDIOS – stock.adobe)

Eine gelernte Kompetenz ist auch schnell wieder verlernt. Das weiß jeder, der schon mal eine PC-Schulung besucht hat und wenige Wochen oder gar nur Tage später erschreckt feststellen musste: „Ups, ich weiß gar nicht mehr, wie das geht.“ Ähnlich verhält es sich, wenn man mal früher problemlos beherrschte Aufgaben für eine lange Zeit nicht mehr ausgeübt hat und diese dann mal wieder erledigen möchte. Auch dann stellt man oft fest: „Ich kann das gar nicht mehr.“ Oder zumindest: „Ich benötige hierfür mehr Zeit und muss stärker nachdenken.“

Ähnliche Prozesse finden auf der organisationalen Ebene von Unternehmen statt. Auch dort registriert man immer wieder, dass Kompetenzen, die bei einer Organisation „exzellent“ gewesen waren, ungewollt verschwinden. So klagte zum Beispiel vor einiger Zeit der CEO eines Hightech-Konzerns im Gespräch mit mir: „Ich verstehe nicht, warum unsere Projekte im Bereich Anlagenbau heute fast alle scheitern. Vor drei, vier Jahren waren wir darin noch spitze und für unsere Mitbewerber das Benchmark. Und heute? Heute hat man oft den Eindruck, wir hätten in der Vergangenheit nur mit Lego-Bausteinen gespielt.“

Die Ursachen für solche Entwicklungen – sei es im Bereich Projekt- oder Innovationsmanagement, Führung oder Vertrieb, Kundenorientierung oder Service oder allgemein Problemlösung und Strategieumsetzung – können vielfältig sein. Eine zentrale Ursache ist jedoch: Viele Unternehmensführer betrachten die Ausgaben in den Bereichen Aus- und Weiterbildung sowie Personal- und Kompetenzentwicklung als Investitionen. Das sind sie betriebswirtlich gesehen auch. Sie haben jedoch einen anderen Charakter als Sachinvestitionen.

Kompetenzen sind keine Sachwerte

Kauft ein Unternehmen Maschinen oder Gebäude, dann kann es diese auf der Haben-Seite verbuchen. Es kann in der To-do-Liste sozusagen einen Haken machen. Anders ist es, wenn ein Unternehmen Mitarbeiter zum Beispiel im Bereich Führung, Projektmanagement oder aktive Marktbearbeitung schult. Dann ist die Sache danach nicht erledigt. Denn das Unternehmen hat sozusagen nur ein Feuer entfacht. Dafür, dass dieses weiter lodert und die gewünschte Wärme entfaltet, müssen bildhaft gesprochen regelmäßig Holzscheite nachgelegt werden. Sonst ist das Feuer nur ein Strohfeuer – und alle bisherigen Investitionen an Zeit und Geld waren vergebens.

Dieses Nachlegen ist unter anderem aus dem folgenden Grund notwendig: In jedem größeren Unternehmen findet neben einer gewissen Job-Rotation auch ein permanenter Personalwechsel statt. Mitarbeiter kommen und gehen. Deshalb ist es – selbst wenn ein Unternehmen seine Mitarbeiter intensiv zum Beispiel in den Bereichen Führung oder Projektmanagement geschult hat – nicht garantiert, dass zwei, drei Jahre später noch alle Mitarbeiter dasselbe Verständnis und Know-how im Bereich Führungs- oder Projektmanagement haben. Eine solche Konstanz ist nur gegeben, wenn das Unternehmen alle Mitarbeiter, die eine entsprechende Position oder Funktion neu übernehmen, konsequent schult.

Wissen heißt noch lange nicht tun

Weit entscheidender dafür, dass Kompetenzen in Organisationen verschwinden, ist jedoch: Die Unternehmen berücksichtigen bei ihrer Personalentwicklung nicht ausreichend, dass wissen noch lange nicht können und können noch lange nicht tun bedeutet. Damit das Wissen in Können und dieses wiederum in ein konkretes Tun umschlägt, sind ein regelmäßiges Erinnern und ein systematisches Einüben im Betriebs- beziehungsweise Arbeitsalltag nötig.

Erkannt hat dies der japanische Autobauer Toyota. Deshalb spielt in seiner Personalentwicklung das sogenannte Kata-Coaching eine zentrale Rolle. Der Begriff Kata kommt aus dem Kampfsport und bezeichnet dort eine festgelegte Bewegungsabfolge. Das Ziel des Coachings ist also das Einüben von gewissen Routinen. Gemeint sind dabei nicht solche Angewohnheiten, die auch beibehalten werden, wenn aufgrund veränderter Rahmenbedingungen ein anderes Vorgehen nötig wäre. Es geht vielmehr um Routinen, wie sie in der sportlichen oder musikalischen Erziehung durch einen längeren Prozess des fortlaufenden Wiederholens verinnerlicht werden. Durch das permanente Üben und Reflektieren erlernen Sportler und Musiker nicht nur die Fertigkeit als solche. Sie erwerben zunehmend auch die Kompetenz, eigenständig ihre Leistung zu steigern – unter anderem, weil sie wissen, welches Verhalten zielführend ist.

Kata-Coaching

Die Lernkultur kontinuierlich verbessern

Eine Kernaufgabe der Toyota-Führungskräfte ist es, ihre Mitarbeiter als Coach in einem solchen Prozess zu unterstützen und zu begleiten. Das heißt: Sie geben ihnen beispielsweise bei neuen Aufgaben nicht die Lösung vor. Sie leiten ihre Mitarbeiter vielmehr bei deren Entwicklung an – mit dem übergeordneten Ziel, dass ihre Mitarbeiter selbst die hierfür erforderliche Kompetenz erwerben. Oder anders formuliert: Die Führungskräfte versuchen schrittweise die Komfortzone ihrer Mitarbeiter zu erweitern, sodass diese sukzessive die Kompetenz und das nötige Selbstvertrauen erwerben, stets größere Herausforderungen eigeninitiativ anzugehen.

Um diese Kompetenz bei Menschen systematisch zu entwickeln, sind drei Dinge nötig:

  • 1. Die betreffende Person muss wissen, welches übergeordnete Ziel sie erreichen möchte. Sie benötigt eine Vision, wohin sie sich entwickeln möchte.
  • 2. Sie muss wissen, was sie lernen sollte, um das angestrebte Ziel zu erreichen – also was ihre Lernfelder sind. Und:
  • 3. Sie muss einen Weg oder eine Methode kennen, um sich die noch fehlende Kompetenz anzueignen.

Genau diese drei Elemente findet man denn auch in der Kata-Philosophie wieder. Über allem schwebt die „Nordstern“-Vision des Unternehmens – das angestrebte Idealbild. Hieraus leitet sich dann die sogenannte Verbesserungs-Kata ab, die dazu beitragen soll, dass sich die Prozesse dem Idealzustand annähern. Und ihr zur Seite steht die Coaching-Kata, mit deren Hilfe der Autobauer die Problemlöse-Kompetenz seiner Mitarbeiter systematisch ausbaut – in vielen kleinen Schritten und Projekten, die alle in Richtung Idealbild gehen.

Das beschriebene Coaching-Verfahren und Verfahren zur Kompetenzentwicklung praktiziert das Unternehmen seit Jahrzehnten – unter anderem mit dem Ziel, die bereits vorhandene Kultur der kontinuierlichen Verbesserung weiter auszubauen und noch stärker in der DNA der Mitarbeiter und der Organisation zu verankern. Dahinter steckt die Erkenntnis: Der Change- und somit Lernbedarf in den Unternehmen ist heute oft so groß und vielschichtig, dass er immer schwieriger top-down erfasst und gemanagt werden kann. Also müssen die Mitarbeiter zu Selbstentwicklern werden, die selbst erkennen, was es aufgrund des angestrebten Ideal-Zustands zu tun gilt und wo bei ihnen noch ein Entwicklungsbedarf besteht.

Der Aufbau einer solchen Unternehmenskultur eines gezielten individuellen sowie kollektiven Lernens erfordert viel Zeit, Geduld und Liebe zum Detail – und außerdem Top-down-Führungskräfte, die sich auch als Coach und Lernbegleiter ihrer Mitarbeiter verstehen. Die Führungskräfte müssen außerdem gemäß der Maxime „‚Go and see‘ statt ‚meet and mail‘“ bereit sein, sich intensiv mit den Mitarbeitern und den (Lern- und Entwicklungs-)Prozessen in ihrer Organisation zu befassen. Außerdem müssen sie ihr Handeln regelmäßig reflektieren. Sonst besteht die Gefahr, dass sie zwar zum Beispiel im Dialog mit ihren Mitarbeitern eine hohe Lern- und Veränderungsbereitschaft einfordern, in ihrem eigenen Handeln dieser Anspruch aber nicht erfahrbar ist. Dann trägt ihr Mitarbeiter-Coaching keine Früchte, denn Führungskräfte haben nach wie vor eine Vorbildfunktion für ihre Mitarbeiter. Dies gilt auch für die Bereitschaft, die eigenen Einstellungen und das eigene Verhalten zu verändern.

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