Schieberverbindungen
  • In den letzten 30 Jahren sind viele neue Verordnungen und Normen in Kraft getreten. Und trotzdem liefern viele Hersteller nach wie vor die baugleichen Armaturen und Pumpen aus.
  • Der Druck auf die Hersteller, immer mehr Zertifikate zu liefern, nimmt dadurch immer mehr zu. Die Tests, um die begehrten Zertifikate zu erhalten, haben mit dem tatsächlichen Serieneinsatz in der Praxis aber nur wenig zu tun, meint der Autor.
  • Er fordert daher, die Erwartungen und die Prüfungsvorgaben auf ein realistisches Maß herunterzustufen.
Looking the world through rose-colored glasses. The desert turned into an oasis.

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Seit 1986 sind immer mehr der oben genannten Verordnungen oder Normen zum Teil mit Gesetzescharakter in Kraft getreten. Die meisten sind bereits mehrfach überarbeitet worden – und trotzdem liefern viele Hersteller nach wie vor die baugleichen Armaturen und Pumpen aus wie vor 30 Jahren. Lediglich der mitgelieferte Papierberg wird größer. Sicherlich gibt es Prüfungen, die in ihrer ersten Fassung vielleicht sinnvoll waren. Aber als Fachmann kann man in der Zwischenzeit durchaus die Meinung gewinnen, dass viele der Verordnungen sowie deren Prüfung und Zertifizierung nichts mehr mit der Realität zu tun haben. Dies zeigen einige Beispiele.

Fire-Safe: Sonder- statt Graugussgetriebe

Der sogenannte Fire-Safe-Test nach ISO 10497 beziehungsweise API 607 simuliert einen Brand in einer Anlage. Der Test soll sicherstellen, dass eine zertifizierte Armatur eine gewisse Zeit im Feuer übersteht, dabei dicht bleibt, mit Wasser abgeschreckt werden kann, dabei weiterhin die Dichtigkeit bewahrt und auch nach einmaligem Betätigen noch weitestgehend dicht ist. Der Gedanke und die Absicht hinter diesem Test ist durchaus sinnvoll. Er hat jedoch mit der heutigen Realität nur noch wenig zu tun.

Zum einen ist es problemlos möglich, mit der gleichen unveränderten Konstruktion beliebig viele Tests zu machen – solange bis man mit etwas Glück eine Armatur prüft, die den Test tatsächlich besteht. Auch wenn die Versuchskosten hoch sind, ist dieses Vorgehen immer noch preiswerter, als die gesamte Konstruktion zu verändern und die komplette Serie teurer aufbauen zu müssen.
Zum anderen ist eines der wichtigsten Bauteile bei einem solchen Test nicht die Armatur selbst, sondern das zugehörige Handgetriebe. Mittlerweile ist es industrieller Standard, dass diese Getriebe sehr billig aus Grauguss aufgebaut sind und dass die Lagerung weich auf weich – also Grauguss auf Grauguss – stattfindet. Lediglich die Schmierung erlaubt, dass der Wirkungsgrad solcher Getriebe annehmbar ist.

Nach dem oben genannten Versuch sind aber sämtliche Schmiermittel des Getriebes schlicht verbrannt und nicht mehr vorhanden. Jegliches Drehmoment, das auf das Getriebe aufgebracht wird, verpufft in der Reibung der Graugussteile. An der Armatur kommt kein Drehmoment mehr an. Viele Hersteller setzen daher hochwertigere Getriebe ein, um den Test bestehen zu können. Das Getriebe wird im Zertifikat jedoch nicht erwähnt – und in der Serie kommt nur ein weniger hochwertiges zum Einsatz. Dass eine Armatur, die dreimal mit Sondergetrieben zum Test angetreten ist, bei einem wirklichen Störfall im Feld ihre zertifizierte Funktion erfüllen wird, ist daher wenig wahrscheinlich.

TA-Luft: Test unter Laborbedingungen

Rohre einer Chemie Anlage

Viele Regelwerke haben nach Ansicht unseres Autors die Sicherheit in den Anlagen kaum verbessert. Bild:TimSiegert-batcam – stock.adobe.com

In der neuesten Fassung sind der Test nach TA-Luft und dessen Anforderungen so hochgeschraubt, dass sie sich nur noch mit größtem Aufwand erfüllen lassen. Jeder Hersteller tritt daher unter Laborbedingungen zum Test an – mit Armaturen, deren Gehäusebohrungen auf Passung feinstgedreht oder gar gehohnt sind; mit Spindeln, die mit Rz = 1, also spiegelblank poliert sind; und mit Packungen, bei denen jeder Dichtring einzeln vorverdichtet wird. Selbst noch unter diesen Voraussetzungen ist der Test kaum zu erfüllen – speziell wenn hohe Temperaturen gefordert sind. Aber irgendwann wird das begehrte Zertifikat erteilt.

In der Wirklichkeit der Serie jedoch sind die Spindeln häufig nur blank gezogen, die Gehäuse zum Teil lediglich mit einem Vollbohrer bearbeitet oder gar nur zirkular gefräst und die Packung wird als Gesamtes eingebaut, um Zeit zu sparen. Ein solches Paket hätte nicht im Ansatz eine Chance, den TA-Luft-Test zu bestehen. Aber selbst wenn die Armatur tatsächlich dem Labormuster entsprechen würde und der Schieber mit der blank polierten Spindel zum Einsatz käme – zum Beispiel auf einer Bohrinsel –, steht die Spindel des geöffneten Schiebers dann zum Teil über Monate oder gar Jahre unbewegt im Freien. Kalk, Salzkruste, Vogelkot oder Schalentiere wachsen auf der Spindel. Auch Lack ist hier häufig zu finden. Bei der ersten Betätigung wird dann diese „Raspelfeile“ durch die Packung getrieben, und es steht außer Frage, dass die Forderungen der TA-Luft so nicht ansatzweise erfüllt werden. Die Ergebnisse werden vielmehr um Zehnerpotenzen schlechter sein.

DIN 12266 etc.: Schrauben bleiben ungeprüft

Die Gehäusefestigkeitsprüfung der Armatur soll nach Norm und nach Druckgeräterichtlinie (PED) mit mindestens den 1,5-fachen des Nenndruckes erfolgen, um zu demonstrieren, dass die Armatur entsprechende Sicherheitsreserven gegenüber Druckspitzen besitzt. Eine der am häufigsten eingesetzten Armaturen sind sicherlich Kugelhähne, egal ob zwei- oder dreiteilig. Die Schrauben oder Gewindebolzen, welche die einzelnen Gehäuseteile miteinander verbinden, übertragen im realen Einsatz die Rohrleitungskräfte und sollen gleichzeitig die Anpresskraft zwischen den einzelnen Gehäuseteilen sicherstellen.

In der Praxis wird ein Kugelhahn üblicherweise zwischen zwei Flanschen geprüft, zwischen denen der Kugelhahn liegt. Und die Flansche werden meist hydraulisch vorgespannt. Bei einer solchen Prüfung könnten die Schrauben des Kugelhahnes bedenkenlos entfernt werden. Denn sie erfüllen gar keine Funktion mehr – geschweige denn, dass sie geprüft würden.

SIL: Armaturen und ihre programmierbaren Funktionen

Die DIN EN 62061 ist überschrieben als „Funktionale Sicherheit sicherheitsbezogener elektrischer, elektronischer und programmierbarer elektronischer Steuerungssysteme.“ Ganz ähnlich ist die IEC 61508 definiert. Wer diese Definitionen liest, wird sich fragen, welche elektrischen, elektronischen oder gar programmierbaren Funktionen bei einem Sitzventil, einer Rückschlagklappe oder in einer Berstscheibe zu finden sind. Denn: Es sind natürlich keine solchen Funktionen zu finden – und trotzdem gibt es kaum noch ein Produkt auf dem Markt, welches kein SIL-Zertifikat hat. Auch muss die Frage erlaubt sein, wie man die „Versagenswahrscheinlichkeit“ einer Berstscheibe mit 10−6 angeben kann, die per Definition nur ein einziges Mal auslösen kann. Hat die benannte Stelle, die ein solches Zertifikat ausgestellt hat, tatsächlich mehrere Millionen Berstscheiben zerstört? Selbst wenn das der Fall wäre, wäre immer noch nichts Elektronisches in der Berstscheibe zu finden, und man dürfte eigentlich kein solches Zertifikat ausstellen.

Anforderungen sollten auf ein realistisches Maß sinken

Die Auflistung an solchen Tests, die am Einsatz in der Praxis vorbeigehen, ließe sich noch weiter fortführen. Welche Ursachen zu dieser Entwicklung geführt haben, lässt sich nur vermuten. Sicherlich ist von Seiten der nicht gerade sparsamen EU-Regulierung keine Besserung zu erwarten. Die entsprechenden Stellen haben sicherlich auch ein eigenes Interesse daran, die Anzahl und Komplexität der Zertifizierungen nicht zu verringern. Die Tatsache, dass der Einkauf immer mehr Einfluss auf die Wahl der Lieferanten gewinnt, verstärkt diesen Prozess weiter. Vom Einkäufer darf man nicht erwarten, dass er jedes Regelwerk bis ins Detail kennt. Und so wird jeder möglichst viele Zertifikate fordern – schlicht um keines zu übergehen. Der Druck auf die Hersteller, immer mehr Zertifikate zu liefern, nimmt dadurch immer mehr zu.

Es ist jedoch mehr als fraglich, ob die immer höher geschraubten Anforderungen tatsächlich einen Gewinn für die Sicherheit oder die Umwelt darstellen. Vielmehr ist zu befürchten, dass wenn der Prozess der unterschiedlichen Herstellung und Vorbereitung der Prüflinge und der Serienprodukte einmal eingesetzt hat, der „Damm gebrochen“ ist und die Zertifikate am Ende nichts mehr mit der Serie zu tun haben. Es droht dann ein ähnliches Fiasko wie beim Dieselskandal in der Automobilbranche, bei dem es unter Fachleuten schon lange ein offenes Geheimnis war, dass die Vorgaben eigentlich nicht zu erfüllen sind.

Wäre es da nicht sinnvoller, die Erwartungen und die Prüfungsvorgaben auf ein realistisches Maß herunterzustufen und gleichzeitig eine Prüfung von frei aus der Serie gewählten Produkten zu fordern? Das würde aber voraussetzen, dass man bereit ist, gewisse Tatsachen anzuerkennen und eventuell entgegenstehende Interessen zurückzustellen.

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