Juni 2010
Herausforderung Energie
  • Die Wirtschaftskrise hat der Energie-Ralley zwar eine Atempause verschafft, doch In den kommenden Jahren werden weltweit enorme Anstrengungen notwendig sein, um die Energieversorgung zu sichern.
  • Allein in China werden jedes Jahr zusätzlich 100 GW Kraftwerksleistung gebaut.
  • Die Chemie hat durch ihre Entwicklungen, beispielsweise in der Werkstoff- und Isolationstechnik, den Schlüssel zur Energieeffizienz in der Hand.
  • Um die Klimaziele zu erfüllen, sind neue Technologien – beispielsweise zur CO2-Abscheidung oder Effizienzsteigerung – gefordert. Und hier liefert die Verfahrenstechnik wichtige Impulse.
Die Verbrennung bei hohen Temperaturen, die den Einsatz von Nickelbasislegierungen voraussetzt, soll bei Kohlekraftwerken Wirkungsgrade über 50 % ermöglichen. Bild: Stas Perov-Fotolia.com

Die Verbrennung bei hohen Temperaturen, die den Einsatz von Nickelbasislegierungen voraussetzt, soll bei Kohlekraftwerken Wirkungsgrade über 50 % ermöglichen. Bild: Stas Perov-Fotolia.com

Die derzeitige Energiediskussion scheint paradox: Geht es nach dem Willen von Politik und Automobilindustrie, sollen einerseits in Zukunft Elektroautos die Straßen beherrschen. Auf der anderen Seite sinkt – zumindest in Europa – in der Bevölkerung die Akzeptanz für den Bau von Kraftwerken. Wie sehr diese Wünsche auseinandergehen, verdeutlicht eine einfache Rechnung: Der elektrische Wirkungsgrad eines modernen Kohlekraftwerks in Bezug auf die eingesetzte chemische Energie der Kohle beträgt rund 50 %. Der im Auto verbaute Elektromotor wiederum hat – bezogen auf die eingesetzte elektrische Energie – einen Wirkungsgrad von 80 bis 90 %. Dazu kommen Leitungsverluste für die Stromübertragung. D.h. der Gesamtwirkungsgrad beträgt im günstigsten Fall 40 bis 45 % – Werte, wie sie auch von modernen Verbrennungsmotoren in Bezug auf die eingesetzte Primärenergie erreicht werden. Ist die Diskussion um das Elektroauto also lediglich ein publikumswirksamer Hype?

Nein. Die Chancen liegen buchstäblich im Netz. Denn künftig könnten Elektroautos dazu beitragen, eines der drängendsten Probleme der Energiewirtschaft zu lösen: Die Speicherung elektrischer Energie. Im Forschungsprojekt Edison („Electric vehicles in a distributed and integrated market using sustainable energy and open networks“), das im Februar 2009 gestartet wurde, untersuchen Wissenschaftler die Möglichkeit, überschüssige Energie aus erneuerbaren Quellen in den Fahrzeugbatterien zu speichern und bei Bedarf wieder in das Stromnetz zurückzuspeisen.
Dass das Projekt auf der dänischen Insel Bornholm umgesetzt werden soll, kommt nicht von ungefähr: Das skandinavische Land ist Weltmeister bei der Erzeugung von Strom aus Windenergie. Und diese steht auch dann zur Verfügung, wenn der erzeugte Strom gar keine Abnehmer findet – bei Nacht, an Wochenenden und an Feiertagen. Für die Autobesitzer könnte es sich auszahlen, wenn zu Schwachlastzeiten günstiger Strom zum Laden genutzt wird, um diesen dann tagsüber als teuren Spitzenlaststrom zu verkaufen. Einen Schlüssel dazu hat die Chemie in der Hand. Denn diese forscht gemeinsam mit Automobilherstellern an den dafür notwendigen langlebigen Batterien. Am meisten Erfolg verspricht die Weiterentwicklung von Lithium-Ionen-Zellen. Neben der Leistungsdichte sind hier allerdings die Kosten ein wichtiges Kriterium: Derzeit kostet ein kW mindestens 200 bis 300 Euro. Die Zielpreise der Automobilindustrie liegen bei 200 bis 400 Euro für die komplette Batterie inklusive Elektronik und Kühlung.
Die Diskussion um Elektroautos wirft ein weiteres Schlaglicht auf eine Entwicklung, der sich weder Industrienationen noch Schwellenländer entziehen können: Der Bedarf an Elektrizität und Energien wird in den kommenden Jahren enorm ansteigen. Die aktuelle Wirtschaftskrise hat der Energie-Ralley lediglich eine Atempause verschafft. Nach Schätzungen der Internationalen Energie-Agentur IEA (World Energy Outlook vom November 2009) wird der weltweite Energieverbrauch zwischen 2010 und 2015 jährlich um 2,5 % steigen. Der Ölverbrauch könnte 2030 bei 105 Millionen Fässern pro Tag liegen – 20 Millionen mehr als noch in 2008. Zusätzlich sollen in den kommenden 25 Jahren Kraftwerke mit einer Gesamtleistung von 4800 Gigawatt gebaut werden, das entspricht dem Fünffachen der derzeit in den USA installierten Leistung. 80 % der Projekte werden nach Angaben der IEA in Ländern realisiert werden, die nicht der OECD angehören, rund 28 % des Gesamtvolumens entfallen dabei allein auf China. In 2008 produzierte die Volksrepublik rund 800 GW Strom. In den kommenden Jahren sollen jährlich noch einmal 100 GW dazukommen – dies entspricht der derzeitigen Jahreskapazität aller deutschen Stromerzeuger. Dabei setzt das Reich der Mitte vor allem auf die traditionellen Energieträger Kohle, Öl, Gas und Atomkraft.

China: Jährlich zusätzlich 100 GW Leistung

Nach dem in 2007 veröffentlichten 11. Fünfjahresplan für die Energiewirtschaft soll der Anteil der Kohle allerdings zurückgefahren werden – von 69,1 % in 2007 auf 66,1 % bis Ende 2010. Auch der Anteil des Öls am Energiemix soll sinken. Dagegen forciert China den Einsatz von Gas und anderen Energieformen. Bis 2020 soll außerdem der Anteil an Kernenergie von 1,2 auf 4 % (36 GW) steigen. Was über der aktuellen Diskussion um das Scheitern der Klimakonferenz in Kopenhagen kaum wahrgenommen wird: Die Volksrepublik ist mit einem eigenen „Erneuerbare Energien Gesetz“ schon heute nach Deutschland der zweitgrößte Förderer alternativer Energien. Allein in 2008 hat das Land etwa 10 GW an Windkapazität zugebaut.

Doch nicht nur in China werden in großem Umfang Kraftwerksprojekte geplant. Für Aufsehen sorgten Ende Dezember 2009 die Vereinigten Arabischen Emirate: Die Scheichtümer vergaben einen Auftrag zum Bau von vier Atomkraftwerken an ein Konsortium unter der Führung der Korea Electric Power Corporation. Im Nahen und Mittleren Osten sind damit derzeit 16 Atommeiler im Bau oder geplant. Um den steigenden Energiehunger der sonnenverwöhnten „Emiratis“ zu stillen, werden in den sieben Wüstenscheichtümern bis 2020 zusätzlich 24 GW an Kraftwerksleistung installiert werden. In Europa rüstet vor allem Großbritannien seinen nuklearen Kraftwerkspark auf: Unlängst wurden zehn neue Atommeiler genehmigt. In Deutschland will die Regierung die Laufzeit bestehender Kernkraftwerke verlängern.

Effizienz der Kohlekraftwerke erhöhen

Dass die Erzeugung von Nuklearenergie derzeit in vielen Staaten eine Renaissance erlebt, hängt vor allem mit der Klimadiskussion und der Produktion von Energie ohne klimaschädliches CO2 zusammen. Dabei wäre es im Hinblick auf die Klimafrage deutlich effektiver, alte Kohlekraftwerke mit schlechten Wirkungsgraden zu ersetzen bzw. zu modernisieren. Denn rund 70 % des Stroms weltweit wird in fossil befeuerten Dampfkraftwerken erzeugt. Deren durchschnittlicher Wirkungsgrad liegt bei 30 % – möglich sind bei Steinkohle-Dampfkraftwerken 46 % und bei Braunkohle-Dampfkraftwerken 44%. Gas- und Dampfkraftwerke (GuD) erreichen sogar über 58 %. Der deutsche Umweltminister setzt sich deshalb dafür ein, bestehende Kraftwerke mit einer Kapazität von rund 21 Gigawatt durch 12 moderne Anlagen zu ersetzen. In China ist das Potenzial nicht zuletzt deshalb sehr viel größer, weil die chinesische Energieproduktion bis heute auf wenig effizienten Kohlekraftwerken kleiner und mittlerer Größe basiert. Allein in 2007 wurden davon über 250 stillgelegt.

Verfahrenstechnik liefert Impulse für mehr Effizienz

Auch hier liefert die Verfahrenstechnik wichtige Impulse für die Effizienzsteigerung: Jedes Prozent mehr Wirkungsrad bedeutet die Vermeidung von Klimagasen und spart Investitionskosten. Im Positionspapier „Energieversorgung der Zukunft – der Beitrag der Chemie“ , das von verschiedenen Chemieorganisationen – darunter VCI und Dechema – im vergangenen Oktober vorgestellt wurde, wird die CO2-Vermeidung als eine der Hauptantriebskräfte in der Weiterentwicklung der Kraftwerkstechnologien genannt. So soll sich der Wirkungsgrad allein durch die Vortrocknung von Braunkohle in Wirbelschichtapparaten um vier Prozent steigern lassen. Die Verbrennung bei hohen Temperaturen, die den Einsatz von Nickelbasislegierungen voraussetzt, soll bei Kohlekraftwerken Wirkungsgrade über 50 % ermöglichen. Bei GuD-Kraftwerken sollen aufgrund von Skaleneffekten weitere Effizienzpotenziale gehoben werden. Der Kraftwerksbauer Siemens schätzt, dass durch die Modernisierung der Turbine eines mittelgroßen Kraftwerkes dessen Leistung um 30 bis 40 MW gesteigert werden kann. Die Investition rechnet sich für den Betreiber – so Siemens – innerhalb weniger Jahre. Eine entscheidende Rolle wächst der Chemie aber bei der Abscheidung des Klimagases Kohlendioxid zu. Die aussichtsreichsten Verfahren sind:

  • Pre Combustion Capture,
  • Post Combustion Capture und
  • Oxy-fuel-Technologien.

Bei der Pre-Combustion-Technik wird der Brennstoff durch ein Vergasungs- oder Reformierungsverfahren in Kohlenmonoxid und Wasserstoff umgesetzt. Durch anschließende CO-Shiftkonvertierung entsteht ein Gasgemisch aus Wasserstoff und Kohlendioxid. Letzteres wird mit einer physikalischen Absorption abgetrennt. Post-Combustion-Techniken nutzen eine chemische absorptive Wäsche der Rauchgase am Ende des Kraftwerksprozesses zur CO2-Abscheidung. Der Vorteil: Dieser Schritt kann relativ einfach an bestehenden Kraftwerken nachgerüstet werden. Der Chemiekonzern BASF hat dazu gemeinsam mit dem Anlagenbauunternehmen Linde ein Verfahren entwickelt, bei dem CO2 durch ein aminbasiertes Lösemittel aus Rauchgasen ausgewaschen wird. Beide Unternehmen wollen das Verfahren gemeinsam vermarkten. Bei Oxy-fuel-Prozessen wird der Brennstoff mit reinem Sauerstoff umgesetzt, wodurch die entstehenden Rauchgase nur CO2 und Wasser enthalten. Diese werden durch Kondensation getrennt.
Die Kehrseite dieser Techniken: Alle drei führen zu Wirkungsgradverlusten von 9 bis 13 % – um sie zu unterhalten, muss bei gleicher elektrischer Leistung mehr Brennstoff eingesetzt werden. Derzeit sind zwar eine ganze Reihe von Versuchs- und Demonstrationsanlagen im Bau, doch die großflächige Einführung der CO2-Abscheidung in Kraftwerken wird – so die Schätzung der Chemieorganisationen – wird nicht vor 2020 zu erwarten sein. Es sind noch erhebliche Entwicklungsanstrengungen notwendig.

Wohin mit dem CO2?

So oder so bleibt ein weiteres Problem: Wohin mit dem abgeschiedenen Kohlendioxid? Auch hierfür werden derzeit verschiedene Optionen geprüft: Dazu gehört das Speichern auf dem Meeresgrund oder das Speichern in ehemaligen Bergwerken und Kohleschächten. Obwohl derzeit noch niemand die Langzeitrisiken einschätzen kann, wurden allein in den USA bereits mehrere Milliarden Dollar für die Erforschung der „Carbon Capture and Storage“ (CCS) genannten Technik bereitgestellt. Denn: Die Kohlewirtschaft hat eine starke Lobby. Etwa die Hälfte des amerikanischen Stroms stammt aus Kohlekraftwerken, und die eigenen Kohlevorräte des Landes werden Schätzungen zufolge noch 250 Jahre lang reichen.

Einen interessanten Lösungsansatz für das CO2-Problem könnte die Biotechnologie liefern: Der Energieerzeuger RWE will gemeinsam mit dem Biotech-Unternehmen Brain die Möglichkeit erforschen, Rauchgase mit speziell dafür gezüchteten Mikroorganismen zu Biomasse umzusetzen. Die Idee an sich ist nicht neu – seit jeher nutzen Pflanzen Kohlendioxid als Wachstumsbaustein. Im Vergleich zu Pflanzen, und selbst zu Algen, haben Mikroorganismen allerdings eine schnellere Wachstumsrate und lassen sich in Fermentationsanlagen zu intensiverer Stoffwechselleistung und damit Produktion heranziehen. Doch so interessant und vielversprechend die skizzierten Wege scheinen – Forscher sind sich einig, dass sich die Entwicklung solcher Technologien auch durch massiven Einsatz von Forschungsmitteln nicht beliebig beschleunigen lässt – 20 bis 30 Jahre werden großtechnische Lösungen noch auf sich warten lassen. Zeit, die aus Sicht der Klimaforscher nicht zur Verfügung steht.
Das Gebot der Stunde lautet deshalb: Energie sparen. Das Potenzial dafür steckt unter anderem in den modernen Werk- und Dämmstoffen der Chemie. Auch in China hat man dies längst erkannt: Während zur Heizung eines Quadratmeters Wohnraum in Peking 24,4 kg Kohleäquivalent verbrannt werden, sind es in Deutschland im Durchschnitt 9kg/m2. Ein Ziel der chinesischen Regierung lautet deshalb, bis 2020 durch energiesparende Gebäude 350 Mio. Tonnen Kohle einzusparen.

Im zweiten Teil des Trendberichts, der in der Juli-Ausgabe der CHEMIETECHNIK erscheinen wird, geht es um die Bedeutung erneuerbarer Energien im Energie-Mix sowie der Herausforderung, Strom über weite Strecken zu übertragen.

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