In den letzten 15 Jahren haben Firmen wie Baumer, Bürkert, Festo, ifm, Jumo, National Instruments, Phoenix Contact, Rockwell, Sick, Siemens, Testo, Turck, Wago, Weidmüller, Wika (und noch ein paar andere) unabhängig voneinander markante Strategieänderungen vollzogen: Sie haben „Prozessautomatisierung“ (PA) als neues oder stark auszubauendes Geschäftsfeld für sich entdeckt und kräftig investiert: In prozesstaugliche Sensoren, Aktoren und Elektronik, in die Ertüchtigung ihrer SPSen, in neue Prozessleitsysteme, in Software und Systemtechniken, vor allem auch in Marketing, Engineering und Vertriebe dafür. Dabei warteten weder die Anwender in den verfahrenstechnischen Industrien auf neue Anbieter noch luden die etablierten PA-Firmen dazu ein.

Warum dieser Wandel? „Das Gras auf der anderen Seite des Flusses ist immer grüner.“ Man sah auf den Messen wie ‚Interkama‘, ‚Sensor‘ oder der Hannover Messe, wie die Standgrößen der PA-Firmen förmlich explodierten, wie neue Firmen raketengleich aufglühten, ja: dass einige renommierte PA-Firmen es sich sogar leisten konnten, überhaupt nicht auszustellen. Branchengurus predigten, dass der Fall der Mauer zwischen Fabrikautomatisierung (FA) und PA nur eine (kurze) Frage der Zeit sei, dass der Übergang zwischen beiden, „Hybrid“ genannt, sowieso nur ein gleitender sei, und dass wer das Eine (FA) könne, geradezu prädestiniert sei, auch das Andere (PA) zu bieten. Technologie sei nun mal Technologie, und im Übrigen wolle der Anwender „One Stop Shopping“. Außerdem wachse in den verfahrentechnischen Industrien der Bedarf weltweit viel schneller, und die Menschen dort seien viel sachkundiger und loyaler als in den Fertigungsindustrien. Kurz: PA sei das Land, wo Milch und Honig flössen, da könne man richtig Geld verdienen.
PA ist anders, FA auch. Die Tabelle mag eine Anmutung davon geben. Viele, die neu in die PA drängten, merkten es rasch und schmerzlich. Eine neue, hochkomplexe Welt tat sich ihnen auf: PA-Anwender denken anders als die FA-Anwender, reden anders, handeln anders, sind Neuem gegenüber vorsichtiger (Sicherheit!, Betriebsbewährung!), schauen zuerst auf die Kosten und dann erst auf den Preis. Ihre Spezifikationen sind meist weitaus umfangreicher. Hunderte nationaler und internationaler Normen sind schon bei einfachen Geräten zu beachten. Prüfzertifikate sind aus der ganzen Welt zu beschaffen, fehlt nur eines, geht gar nichts. Die gesamte Automatisierungspyramide und der verfahrenstechnische Prozess beim Kunden muss verstanden sein, auch wenn man nur eine Komponente verkaufen will. In der Summe: Wer da erfolgreich sein will muss bereit sein, seine Unternehmenskultur tiefgreifend anzupassen, braucht andere Mitarbeiter und Führungskräfte. Erfolg auf dem angestammten Geschäftsfeld ist kein Freifahrtschein auf dem neuen. Viele waren und sind zum Kulturwandel bereit, schon um zu überleben. Einige sind bemerkenswert erfolgreich damit. Andere üben noch. Auch hier gilt ganz besonders: Die Treppe kehrt man von oben …

Die etablierten PA-Anbieter betrachteten die Neuankömmlinge zunächst mit Gelassenheit: „Unser Know-how holt keiner ein.“ Das hat sich geändert. Denn das Know-how steckt in den Köpfen. Und die Sklavenhaltung ist schon lange abgeschafft!

Qui bono? Ich meine: Allen! Den PA- Anwendern, weil Wettbewerb immer das Geschäft belebt und zu besseren Lösungen führt. Den „alten“ PA-Anbietern, weil sie den „Nail in the ass“ durch die Newcomer inzwischen richtig spüren – und mit Innovation kontern müssen. Den FA-Anbietern, weil es neben vielen Unterschieden auch Gemeinsamkeiten gibt, besonders bei den Kommunikationsstandards (FDT, io-Link, Ethernet, …) und in der Informationsverarbeitung, die effizient genutzt werden können und müssen!

Das große ABER darf nicht fehlen: In dieser Anbieter- und Marktsituation drängen sich überbetriebliche Kooperationen in der Forschung, der Standardisierung und auf Komponenten- bzw. Modulebene geradezu auf. Da sind Unternehmer gefordert!

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