Chemieanlage

(Bild: Uladzimir - AdobeStock)

  • Das Thema Nachhaltigkeit ist sehr breit gefächert und reicht von Führungsfragen über Bildung, Effizienz, Einhaltung von Vorschriften bis hin zur Energiewende.
  • Daher herrscht bei vielen Anlagenbauern noch immer Unkenntnis, wie man am besten das Thema angehen soll.
  • Das in diesem Beitrag vorgestellte Modell, soll ermöglichen, Nachhaltigkeit ganzheitlich zu denken.

In den letzten drei Jahren wurden wir mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert, die unser privates, aber auch wirtschaftliches Leben stark beeinflussen. Die Themen der Umweltverschmutzung und der Erderwärmung sind nun omnipräsent. Politische Konflikte und Kriege führen zusätzlich zur künstlichen Verknappung bestimmter Rohstoffe bzw. lassen uns nach neuen Konzepten suchen, um die Abhängigkeiten zu reduzieren.

Außerdem fordern der ständige Zeit- und Kostendruck, dem viele Unternehmen ausgesetzt sind, und die komplexen Aspekte der sogenannten Vucasto-Welt (VUCA + Sustainability and Transformation oriented) von uns neue Herangehensweisen. Die Themen des Fachkräftemangels und zerbrechlichen Lieferketten in Folge der Pandemie und politischen Instabilität verstärken die Notwendigkeit, unsere Unternehmen und Wirtschaft resilienter, robuster und nachhaltiger zu gestalten und „schreien“ geradezu nach nachhaltigeren Verpflichtungen.

Hand mit grünem Hintergrund
Das Thema Nachhaltigkeit umfasst viele verschiedene Aspekte: von Führungsfragen bis hin zur Energiewende. (Bild: narawit – stock.adobe.com)

Nachhaltigkeit in den Unternehmensstrategien

Während noch im Sommer 2018 bei einer Umfrage unter den deutschen Maschinen- und Anlagenbauern auf der Achema die meisten Unternehmen lediglich über die CO2-Reduktion und die Energieeinsparung sprachen, wird das Thema der Nachhaltigkeit heute in seiner ganzen Komplexität wahrgenommen – und von einigen „Big Player“ aktiv in die Strategie aufgenommen. Eine Reihe von nachhaltigen Initiativen und Projekten wurden ins Leben gerufen, wie etwa von Covestro auf dem Gebiet der Kreislaufwirtschaft und des chemischen Recyclings, von Linde mit innovativen Wasserstofftechnologien oder von Siemens Energy mit regenerativen Energieprojekten in der ganzen Welt. Dabei handelt es sich um Projekte, die die Nachhaltigkeit nicht nur in eigenen Prozessen und bei der Entwicklung eigener Produkte und Dienstleistungen vorantreiben, sondern versuchen, die gesamte Lieferkette für die Thematik zu sensibilisieren.

Trotzdem herrscht weiterhin bei vielen Unternehmen Unkenntnis, wie man am besten das Thema angeht. Der Blick in die Nachhaltigkeitsberichte führender Unternehmen zeigt, dass bei den meisten immer noch eine Art „Cherry Picking“ betrieben wird: Man sucht sich die Themen aus, die man beherrscht oder die man aufgrund der „Wesentlichkeitsmerkmale“ für sich definiert hat, und vernachlässigt die anderen. Doch die Nachhaltigkeitsziele sollten von allen Stakeholdern in ihrer Ganzheitlichkeit betrachtet werden. Nur dann werden wir als Gesellschaft die 17 Ziele, die in Paris vereinbart worden sind, erreichen. Viel Zeit bleibt uns nicht – nur noch 7 Jahre.
Um die Thematik ganzheitlich im Unternehmen zu implementieren wird hier ein „5-Ps-Modell“ dargestellt, welches ermöglicht, das Thema holistisch zu denken. Die 5 Ps stehen für englische Abkürzungen der folgenden Bereiche: Product, Process, People, Partnerships and Planet.

1) Ein „P“ für „Product“

Der Kern eines jeden Unternehmens ist das Produkt, das hergestellt oder geliefert wird. Im Anlagenbau sind das komplexe Maschinen und Teilanlagen, die sich aus zahlreichen Ausrüstungseinheiten zusammensetzen. Eine Reihe von Faktoren sollte berücksichtigt werden:

  • Betrachtung des Produktwertes für alle Stakeholder,
  • kein Einsatz von „Konfliktmaterialien“,
  • Etablierung eines nachhaltigen Managements entlang der Lieferkette: eine gut bezahlte Arbeit, sichere Bedingungen, von dafür ausgebildeten Menschen,
  • Nutzung vorhandener Innovationen bei der Werkstoffauswahl,
  • Produktlebensdauer und seine Rückführbarkeit in den ökologischen oder technischen Kreislauf,
  • Design des Produkts für die spätere Handhabung gemäß dem Kreislaufwirtschaftsgedanken,
  • Optionen zum Betrieb mit regenerativen Energien,
  • Unterstützung bei der Inbetriebnahme, Konformitätsverfahren, Wartung, Reparatur bis hin zum Betrieb.

2) Ein „P“ für “Process“

Ein Anlagenbauer hat vielfältige Prozesse zu steuern – sowohl im eigenen Betrieb als auch in der zukünftigen Anlage oder auf der Baustelle:

  • Implementierung der Nachhaltigkeit in die Unternehmensstrategie,
  • schlankes Management / „Lean Operations“,
  • Einführung digitaler Werkzeuge,
  • Schaffung von Transparenz bei allen Entscheidungen,
  • Vorantreiben von Innovationen,
  • Schaffung von inspirierenden Arbeitsumgebungen,
  • Infrastruktur mit nachhaltig funktionierenden Gebäuden,
  • Bewältigung von Mobilitätsherausforderungen,
  • Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsaspekte bei diversen Entscheidungen im SCM: von Transportmitteln, Lagermöglichkeiten, Verpackungsmaterialien,
  • Vorantreiben der Nachhaltigkeitsaspekte bei Lieferanten,
  • nachhaltige Betriebsorganisation (Bürotätigkeiten, Sekretariat, Druckereien, Dokumentationsmanagement, Kantine, Fuhrpark).

3) Ein „P“ für „People“

Eine verantwortungsvolle Führung, die Emotionalität und Empathie zulässt, bildet die Grundlage für die Motivation der Mitarbeiter, sich an Zielen des Unternehmens und an Veränderungsprozessen aktiv zu beteiligen:

  • Schaffung einer Atmosphäre des gegenseitigen Respektes, des Zuhörens,
  • Gesundheits- und Sicherheitsschutz,
  • Kreieren der Möglichkeiten zum Wachsen,
  • Lebensbegleitendes Lernen und Entwicklung von Kompetenzen für die Zukunft, wie analytisches Denken, kreatives Denken, Kommunikation, Führungsqualitäten,
  • Empathie, Agilität, Problemlösung,
  • Work-Life-Balance, berücksichtigend den familiären Zustand, Interessen, Hobbies und andere Verpflichtungen der Mitarbeiter,
  • Gleichberechtigung und Anerkennung der Vielfalt durch die gelebte Inklusion.

4) Ein „P“ „Partnerships“

Die Nachhaltigkeit geht über die Mitarbeiter, die Kunden und die Lieferanten eines Anlagenbauers hinaus. Eine Reihe von externen Stakeholdern sind durch Aktivitäten eines Anlagenbauers beeinflusst:

  • Einhaltung aller rechtlichen und normativen Anforderungen von klassischen Themen, wie die Diskriminierung, die Korruption, der Missbrauch oder die Geldwäsche oder neuen Feldern, wie der Umwelt- und Datenschutz, die Exportkontrolle, die IT/OT-Sicherheit oder die Transparenz von Prozessen,
  • Berücksichtigung der Technischen Compliance in internationalen Projekten,
  • Etablierung einer offenen Kommunikation mit allen Stakeholdern,
  • Bereitstellung von Wissen für alle Interessierten,
  • aktiver Wissenstransfer in verschiedene Richtungen – von der Industrie in die Bildung und von der Forschung in die Industrie,
  • engere Zusammenarbeit sowohl auf der Ebene der einzelnen Abteilungen als auch zwischen Partnerunternehmen, Wettbewerbern, Behörden, Universitäten, der Gesellschaft und anderen Interessengruppen,
  • ethischer Ansatz in allen Fragen,
  • Einsatz für die Herausforderungen anderer.

5) Ein „P“ für „Planet“

Umweltfragen bilden die äußere Schicht aller geschäftlichen Aktivitäten und sollten als eine Hülle betrachtet werden, unter der alles andere nur möglich ist, wenn diese Schicht intakt ist:

  • Einführung umweltfreundlicher Produktionsmethoden,
  • Nutzung sauberer Energie,
  • Vermeidung von unbrauchbaren Abfällen,
  • ganzheitliche Betrachtung des Themas – Lösungen außerhalb der eigenen primären Tätigkeit,
  • sparsamer Verbrauch von Ressourcen, wie Öl, Gas, aber auch Holz/Wälder, Wasser, Luft, Mineralien,
  • Erhaltung biologischer Vielfalt,
  • Gewährleistung nachhaltiger Energieversorgung und sauberer Luft sowohl an Bauorten, in eigenen Gebäuden und Produktionshallen, aber auch in den Städten, auf dem Land – in allen Teilen der Welt.
Linde
Große Player wie Linde treiben immer mehr nachhaltige Projekte voran – hier beim Thema Wasserstoff. (Bild: Linde)

Anlagenbau als Schlüsselindustrie

In der Nachhaltigkeitsdebatte geht es nicht nur um die Energiewende und die CO2-Reduktion. Es geht um eine umfassende und zukunftsorientierte Denkweise. Es geht darum, unsere Lebensweise, unsere Arbeit, unsere Bildung und unsere Verantwortung für unser Handeln gegenüber allen Menschen und dem Planeten heute und morgen neu zu denken.

Vor allem der deutsche Anlagenbau mit seinen umfangreichen Netzwerken, der Anwender in der ganzen Welt bedient, der als Vorreiter für den technologischen und wirtschaftlichen Vorsprung in vielen Regionen der Welt agiert und eine Menge an Lieferanten verschiedener Ausrichtungen bündelt, hat die Kraft, die Möglichkeiten und die einmalige Chance, die Nachhaltigkeit voranzutreiben und sich als Motor für die innovative Umgestaltung der Gesellschaft und der Wirtschaft zu etablieren und andere Industriezweige zu inspirieren.

Bei der Nachhaltigkeitsstrategie geht es darum, alle Möglichkeiten zu nutzen, neue Wege zu suchen, neue Technologien zu entwickeln. Es geht um das „Geben“ und nicht ums „Haben“. Alle 17 vor sieben Jahren in Paris beschlossenen Ziele für die nachhaltige Entwicklung sollten erreicht werden. Alle! Es geht nicht darum, das Beste, das Offensichtliche für sich auszuwählen oder nur die zu berücksichtigen, die einen direkten Einfluss auf die eigene Existenz oder den eigenen Erfolg haben, sondern alle ernst zu nehmen und alle zu verfolgen. Es geht auch nicht darum, die Ziele in einem Bereich, einer Region, einem Land zu erreichen, sondern darum, anderen zu helfen, die es nicht alleine schaffen. Es gilt, alle Kräfte in allen Bereichen einzusetzen und alles im Blick zu behalten.

Nachhaltigkeit erfordert flexibles Denken und Handeln, keine sture Zuschreibung, kein einseitiges Festhalten an einer Idee, keine verbohrte Meinung, keine beratungsresistente Haltung, sondern eine gewisse Offenheit und uneingeschränkte Unvoreingenommenheit gegenüber den Ideen und den Wegen.

Das Thema Nachhaltigkeit ist sehr breit gefächert. Es gibt so viele Aspekte, von Führungsfragen über Bildung, Effizienz, Einhaltung von Vorschriften bis hin zur Energiewende und neuen Technologien zur Unterstützung dieses Wandels. Ganzheitliche Nachhaltigkeit erfordert einen systemischen Ansatz, eine interdisziplinäre Vision und eine komplexe Handhabung, eine „Kultur der Umarmung“ (Culture of Embracement), die alle Möglichkeiten in Betracht zieht und niemanden zurücklässt, die Zusammenarbeit fördert und sich gegenseitig unterstützt.

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