Roter Papierflieger bei Kurswechsel - Durchstarten

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„Wir müssen Verträge für Projekte so gestalten, dass wir vor potenziellen Disruptionen im Umfeld geschützt sind. Beispielsweise durch Preisgleitklauseln und an Preisindizes gebundene Konditionen.“ (Bild: Metso)

Zur Person

Dr. Hannes Storch ist Geschäftsführer & Vice President Metals and Chemicals Processing bei Metso. Nach seinem Studium des Chemie-Ingenieurwesens an der Technischen Universität Clausthal und am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) startete Dr. Storch seine Karriere im Jahr 2002 bei Outotec als Prozessingenieur im Bereich Sulfuric Acid Technologies. Bei Metso Outotec hatte Storch verschiedene Funktionen inne und arbeitete u. a. mehrere Jahre in Chile. Heute ist er in der Geschäftsführung der deutschen Niederlassung von Metso und leitet die Business Line Metals and Chemical Processing. Dr. Storch ist zudem Mitglied des Vorstands der AG Großanlagenbau des VDMA.

CT: Ob Industrie oder Anlagenbau – aktuell wirtschaften wir alle in einer Polykrise. Wo sehen Sie derzeit die größten Herausforderungen für den Anlagenbau?
Dr. Hannes Storch: Vor allem die schnellen Veränderungen und Disruptionen machen uns zu schaffen. Nehmen Sie nur die unerwarteten Ereignisse Covid, Lieferketten oder der russische Überfall auf die Ukraine vor zwei Jahren. Dazu kommen aber auch die sich schnell und unerwartet ändernden Randbedingungen wie beispielsweise der Wegfall von Förderungen für Wasserstoffprojekte oder die Elektromobilität. Diese wurden bis vor kurzem politisch stark gepusht und haben einen Run auf die Battery-Metals-Produktion ausgelöst. Das ist zuletzt wieder sichtlich zurückgegangen. Für den Anlagenbau wird es in diesem Umfeld immer schwieriger zu identifizieren, welche Projekte gesund und sicher sind.

CT: Wie wirkt sich das auf das Investitionsklima aus?
Storch:  Investoren können bei so einer Volatilität ihre Business Cases nur schwer kalkulieren. Wir sehen, dass vor diesem Hintergrund viele Projektentscheidungen nicht oder nur zögerlich getroffen werden. Die Wirtschaftlichkeit von Greenfield-Projekten lässt sich inzwischen oftmals deutlich schwerer einschätzen als noch vor wenigen Jahren. Auf der anderen Seite sehen wir aber auch eine Vielzahl von ambitionierten Vorhaben – beispielsweise in der Energietransformation und der Kreislaufwirtschaft. Hingegen gibt es im Service stetiges Geschäft.

CT: Wie geht der Anlagenbau mit dieser Entwicklung um?
Storch: Es war schon immer eine Stärke des Anlagenbaus, mit volatilen Marktumfeldern umzugehen. Heute muss der Anlagenbau verstärkt Risiken nehmen, die früher noch nicht relevant waren. Der Schlüssel dazu liegt sicherlich verstärkt im Vertragsmanagement. Wir müssen Verträge für Projekte so gestalten, dass wir vor potenziellen Disruptionen im Umfeld geschützt sind. Beispielsweise durch Preisgleitklauseln und an Preisindizes gebundene Konditionen. Hinzu kommen natürlich auch andere De-Risking-Strategien.
In der Covid-Pandemie haben wir gelernt, wie wichtig es ist, in Verträgen mehr Vorkehrungen für unerwartete Ereignisse zu treffen. Dazu kommt, dass Anlagenbauer die Lieferketten stärker kontrollieren müssen. Das führt zum Teil dazu, dass der Trend von einer geradlinigen globalen Lieferkette wieder mehr zur Regionalisierung geht. Die Regionalisierung und auch Relokalisierung der Investitionsprojekte ist gleichzeitig auch eine Chance für den Großanlagenbau. Der europäische Anlagenbau hat das meiner Meinung nach schon immer gut verstanden – deshalb bin ich überzeugt, dass wir uns mit der Lokalisierung oder Regionalisierung von Lieferketten durchaus einen Vorteil verschaffen können. Und diese Fähigkeit ist in einer Vielzahl von Märkten relevant.

CT: Dem Großanlagenbau ist es nach dem russischen Angriff auf die Ukraine aufgrund seiner globalen Aufstellung ganz gut gelungen, sich neue Märkte zu erschließen. Welche Auswirkungen sehen Sie für Anlagenbauer, die europäisch oder national aufgestellt sind?
Storch: Das ist schwer zu sagen und hängt sehr stark von der spezifischen Aufstellung eines Anlagenbau-Unternehmens ab. Die einen haben beispielsweise Projekte in Russland oder auf Basis von russischem Gas verloren, die anderen profitieren vom LNG-Boom.

10. Engineering Summit

Auf der Kommunikationsplattform treffen sich am 1. und 2. Oktober 2024 in Darmstadt Führungskräfte aus allen Segmenten des Anlagenbaus sowie Betreiber und Zulieferer. 2024 stehen die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und Nachwuchsgewinnung im Fokus.

CT: Aber die deutsche Chemie leidet stark unter den gestiegenen Preisen und steht vor einem strukturellen Wandel, weil das billige russische Pipeline-Gas nicht zurückkommen wird. Wenden sich Engineering-­Service-Provider, die bislang in dem Bereich tätig waren, bereits verstärkt anderen Märkten zu?
Storch: Das habe ich bis jetzt noch nicht auf breiter Front gesehen. Perspektivisch wird man erwarten können, dass sich diese Firmen umorientieren müssen. Auf der anderen Seite haben die Veränderungen im Energiemarkt zu vielen Aktivitäten und Projekten im Bereich der grünen Energien geführt. Die Frage lautet also: „Wie schnell kann ich als Anlagenbauer mein Geschäft umstellen beziehungsweise anpassen?“ Und nicht nur hier, sondern global: Projekte zur Nachhaltigkeit gewinnen inzwischen in vielen Ländern an Dynamik. Das hat großes Potenzial für den Anlagenbau. Als Anlagenbauer mit einer langen Geschichte haben wir das Potenzial, unsere Erfahrung auszuspielen – das unterscheidet uns von vielen Newcomern im Markt.

CT: Auf dem Engineering Summit war die Kombination aus technologischer Kompetenz und Abwicklungs- und Skalierungskompetenz schon häufiger Thema. Inwiefern spielt diese in der Transformation der Wirtschaft eine Rolle?
Storch: Viele Technologien, die wir für die künftige Kreislaufwirtschaft benötigen, hat der europäische Anlagenbau längst analysiert und auch entwickelt, und entscheidend ist, dass wir in der Lage sind, diese Verfahren in einen modernen Kontext zu übersetzen. Auf dieser Basis sehe ich für uns sehr große Chancen. Als Anlagenbauer sind wir es gewohnt, Verfahren in einen großen Maßstab zu skalieren. In der Kreislaufwirtschaft und bei der Energiewende ist genau diese Kompetenz gefragt. Außerdem die Fähigkeit, große Projekte in allen Arten von Partnerschaften durchzuführen. Ich glaube, wir haben sehr viel mehr Potenzial als wir uns bisher zutrauen.

CT: Auch das haben wir auf dem Engineering Summit zuletzt gesehen: Auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft und in der Energietransformation entstehen neue Konstellationen zwischen Unternehmen – auch neue Player. Wie relevant ist diese Entwicklung für den Anlagenbau?
Storch: Das ist ein sehr spannendes Feld! Es gibt bereits eine Vielzahl von Initiativen, die eine Vorahnung für das Potenzial geben. Ein aktuelles Beispiel für neue Konstellationen in einem Projekt zur Dekarbonisierung ist die im Januar getroffene Vereinbarung zwischen Metso, Thyssenkrupp Uhde und Ma‘aden. Wir entwickeln gemeinsam ein neuartiges Kreislaufkonzept, um die Nachhaltigkeit der Phosphatdüngemittel-Produktion von Ma‘aden in Saudi Arabien zu verbessern. Am Standort Ras al Khair soll Phosphorgips, ein Abfallprodukt aus der Phosphorsäureproduktion, einer Schwefelzirkularität zugeführt werden und auch zur Kohlendioxidfixierung genutzt werden. Besonders ist dabei, dass mehrere Technologieunternehmen ihre Expertise zusammenbringen, um eine neue Lösung zu schaffen – das hatten wir in der Vergangenheit nicht in dem Maße. Und es zeigt auch, dass Energiewende mehr ist als grüner Stahl und grüner Strom – auch bei Commodities gibt es große Potenziale für die Dekarbonisierung und um sich den neuen Randbedingungen anzupassen. Mit dem Verzicht auf fossile Brennstoffe werden hier neue Herausforderungen entstehen. Hier müssen sicherlich für die verschiedenen Commodities Roadmaps erstellt werden, die aber auch die Abhängigkeiten untereinander besser beleuchten. Vermutlich würde das Beispiel CO2 – derzeit noch klimaschädliches Abfallprodukt aus Verbrennungsprozessen, an einem bestimmten Punkt schon bald lokal Defizite zeigen, da wir große Mengen als Grundstoff für die Produktion klimaneutraler Kunststoffe benötigen.

CT-Fokusthema Wasserstoff

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In unserem Fokusthema informieren wir Sie zu allen Aspekten rund um das Trendthema Wasserstoff.

 

  • Einen Überblick über die ausgewählten Artikel zu einzelnen Fragestellungen – von der Herstellung über den Transport bis zum Einsatz von Wasserstoff – finden Sie hier.
  • Einen ersten Startpunkt ins Thema bildet unser Grundlagenartikel.

CT: Das bringt uns zur Wasserstoffwirtschaft, deren Förderung in Deutschland zuletzt einen Dämpfer bekommen hat. Wie wirkt sich das auf Projekte aus?
Storch: In einigen Projekten hat das zur Schockstarre geführt, zumal auch die Kosten, beispielsweise für die Montage, gestiegen sind. Da wird der zuvor angenommene Business Case teilweise in Frage gestellt. Aber auch das ist ein gutes Beispiel für die Volatilität, mit der wir Anlagenbauer zurechtkommen müssen. Auch der Ukraine-Krieg war so eine nicht vorhersehbare Disruption. Aber es gibt genügend Beispiele, wie Unternehmen des Anlagenbaus es in relativ kurzer Zeit geschafft haben, den Wegfall des Russlandgeschäfts in anderen Märkten zu kompensieren – und das sogar im ganz großen Stil. Der Schlüssel dazu ist die Agilität: Anlagenbauer müssen ihre Organisation so aufstellen, dass sie agil in volatilen Märkten agieren können.

CT: Das Thema wird auch auf dem Engineering Summit im Oktober eine zentrale Rolle spielen. Warum sollten Anlagenbauer teilnehmen?
Storch: Weil der Engineering Summit die Veranstaltung des Anlagenbaus für Anlagenbauer ist. Es gibt wohl keinen anderen Kongress, auf dem die Themen des Anlagenbaus mit dieser Expertise diskutiert werden. In der Programmgestaltung schaffen wir es immer wieder, die aktuellen Themenschwerpunkte zu identifizieren, die den Anlagenbau derzeit beschäftigen.

CT: Welche sind das in diesem Jahr?
Storch: Produktivität in der Projektabwicklung, auch mit neuen Tools wie KI, und generell die Frage, wie der Anlagenbau profitabel gelingt, wurden vom Beirat als besonders wichtig identifiziert. Auch die Themen der Energiewende und Dekarbonisierung, die bei den letzten Summits sehr präsent waren, haben nicht an Relevanz verloren. Ein besonderes Anliegen ist mir das Thema Nachwuchs und die Frage, wie der Anlagenbau attraktiver für junge, motivierte Talente werden kann, aber auch wie intern Kompentenzentwicklung gestaltet werden kann. In Europa und Deutschland hat der Anlagenbau durch seine Technologiekompetenz ein einzigartiges Setup – dadurch können wir in der Transformation der Wirtschaft eine zentrale Rolle spielen – und das macht uns zu einem hoch attraktiven Arbeitgeber für Nachwuchstalente!

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