- Ethernet-APL ist reif für den Einsatz. Ab Mai sollen Seriengeräte und Zertifizierung verfügbar sein.
- Die Modulautomation MTP steht ebenfalls an der Schwelle zum Einsatz beim Endanwender.
- Profibus & Profinet International wird auch MTP künftig als Host unterstützen.
Wenn es einen Preis für den meist verwechselten Begriff in der Automatisierungstechnik gäbe – „Kommunikationsprotokoll“ und „Übertragungsphysik“ hätten gute Chancen. Will man den Nutzen der neuen Ethernet-APL-Technik verstehen, ist es wichtig, den Unterschied zu kennen. Kommunikationsprotokolle wie Modbus, Profinet oder Ethernet TCP/IP legen die Regeln für die Datenübertragung zwischen Geräten fest, während die Übertragungsphysik sich auf das physische Medium bezieht, über das die Daten übertragen werden. Auf der PI-Konferenz im März 2023 ging es um beides: die neue Übertragungsphysik APL und deren Verwendung mit dem Kommunikationsprotokoll Profinet. Denn das in der Automatisierung am weitesten verbreitete ethernetbasierte Kommunikationsprotokoll soll künftig auch über die Zweidraht-Verbindung APL genutzt werden, welche die Anforderungen der Prozessautomatisierung und der Feldinstrumentierung erfüllt. APL ermöglicht es, Strom zur Versorgung der Feldgeräte über dieselbe Zweidraht-Verbindung zu übertragen, die zur Übertragung von Daten verwendet wird. Dies vereinfacht die Verkabelung von APL-Netzwerken und ermöglicht eine effiziente Stromversorgung von Feldgeräten, ohne dass zusätzliche Kabel erforderlich sind.
Letzte Chance zur Digitalisierung im Feld
Im Gegensatz zur klassischen Feldverdrahtung über 4...20-mA-Signale ermöglicht Ethernet-APL eine schnelle und digitale Datenübertragung mit hoher Bandbreite über große Entfernungen – und dazu auch in explosionsgefährdeten Bereichen. „Für mich ist APL die letzte Chance, die Digitalisierung im Feld wirklich zu erreichen“, unterstrich Dr. Felix Hanisch, Vorstandsvorsitzender der Anwendervereinigung Namur, die Bedeutung der Technologie zuletzt im November 2022.
Großen Nutzen versprechen sich die Anwender nicht nur von der Digitalisierung, sondern auch von einer deutlich einfacheren Planung, Inbetriebnahme und dem Betrieb von Feldgeräten. Zudem ermöglicht es die Ethernet-APL-Kommunikation, dieselben Feldgeräte sowohl in der Regelung, als auch für Safetyaufgaben einzusetzen. Im Betrieb lassen sich verbaute Ethernet-APL-Geräte durch Aktivieren des APL-Stacks für Safetyaufgaben parametrieren.
Doch bislang bestand das Henne-Ei-Problem: Es gab kaum Geräte und auch wenig Nachfrage. Das, so die Überzeugung der APL-Protagonisten, soll sich 2023 deutlich ändern. Karl Büttner, Endress+Hauser, verdeutlichte, dass bis Juni APL-Geräte für die wichtigsten Messgrößen der Betriebsmesstechnik (Durchfluss, Füllstand, Druck, Temperatur) von verschiedenen Herstellern zur Verfügung stehen werden. Auch ein Field Switch sowie Positioner sind bereits verfügbar, weitere Field Switches sollen bis Ende des Jahres folgen.
Dass Ethernet-APL reif für den Praxiseinsatz ist, wurde bereits in zahlreichen Testinstallationen mit Prototypen und Seriengeräten bestätigt: Neben Feldtests bei der BASF, bei Bayer, Bilfinger, Dow und an Hochschulen wurden im Frühjahr 2023 von Endress+Hauser Lasttests mit Komponenten verschiedener Hersteller durchgeführt. Nach Vorgaben von BASF-Anwendern wurden dabei 238 Ethernet-APL-Geräte verschaltet und verschiedene Tests durchgeführt. Bei den Versuchen mit Geräten von Endress+Hauser, Pepperl+Fuchs, Honeywell und ABB zeigte sich, dass Ethernet-APL unter realistischen Bedingungen eingesetzt werden kann. Dabei konnten laut E+H Skalierbarkeit und Fehlertoleranz bei maximaler Netzauslegung erfolgreich verifiziert werden.
Überraschungen bei der Interoperabilität vermeiden
Doch wie so häufig steckte auch bei der APL-Entwickung und vor allem bei der Integration in Profinet der Teufel im Detail: Volker Goller vom Halbleiterhersteller Analog Devices warf hier auf der PI-Konferenz ein Schlaglicht: Weil APL für die besonderen Anforderungen in der Prozessindustrie – darunter den Explosionsschutz – entwickelt wurde, unterscheidet sich die Physik von den Eigenschaften des klassischen Ethernet-Standards. Die geringere Geschwindigkeit von APL ist neu für Profinet, das für die Nutzung mit 100 Mbit/s definiert ist. „10 MBit/s ist ein Problem aufgrund der Art der ,gemischten Verbindungsgeschwindigkeit‘“, so Goller: „Eine schnellere Verbindung, beispielsweise 100 MBit/s, kann leicht einen 10 MBit/s-Link mit Broad- und Multicast-Verkehr überladen.“ Das Problem konnte allerdings mit einer aus der Netzwerk-Technik bekannten Methode (Pruning) und einem Rate-Limiter-Modell gelöst werden. „Die APL-Integration in Profinet ist auf der Zielgeraden“, ist Goller überzeugt. Damit in der Praxis wirklich alle Geräte auch in gemischten Installationen reibungslos miteinander funktionieren, haben die Host-Organisationen für Ethernet-APL und Profinet ein rigides Test- und Zertifizierungsregime festgelegt. Die Zertifizierung besteht aus einem Ethernet-APL-Konformitätstest, der im PI Testlab, aber auch bei den Organisationen Fieldcomm Group, ODVA und OPC-Foundation durchgeführt wird, sowie der Profinet-Zertifizierung, die im PI Testlab durchgeführt wird. Schließlich geht es darum, das Vertrauen in die neue Technik zu stärken. Interoperabilität, Konformität zum spezifizierten Standard und die Qualität sollen von Anfang an sichergestellt sein, um eine Bauchlandung bei der Einführung von APL zu vermeiden. Denn obwohl für Ethernet-APL eine gemeinsame Spezifikation zur Verfügung steht, lässt auch diese Spielräume für Hersteller zu. Die Zertifizierung für Profinet, so war es auf der Konferenz zu hören, sei nun verfügbar und soll im Frühjahr 2023 gestartet werden.
Regelaufgaben und Safety auf einem Netzwerk
„Wir haben jetzt eine stabile Basis und sind auf der Zielgeraden für die Einführung von Ethernet-APL“, ist auch Harald Müller, bei Endress+Hauser Director Technology für Temperatur+System Products, überzeugt. In seinem Vortrag „Profisafe für die Prozessindustrie“ zeigte Müller den Unterschied zwischen Single Pair Ethernet (SPE) und Ethernet-APL auf. Beide sind Physical Layer für die 2-Draht-Ethernet-Kommunikation, aber Ethernet-APL wurde für die Anforderungen der Prozessindustrie entwickelt und kann im Gegensatz zu SPE auch in explosionsgefährdeten Bereichen eingesetzt werden.
Weil die Übertragungsphysik gleichzeitig auch für sicherheitsgerichtete Anwendungen geeignet ist, wünschen sich vor allem Anwender in der Prozessindustrie, dass künftig auch funktional sichere Anwendungen über Ethernet-APL realisiert werden können. Aktuell verfolgt die PI-Community deshalb den Ansatz, SPE und APL mit dem etablierten Kommunikationsprotokoll Profisafe zu verwenden. Die Vorteile für die Anwender liegen dabei auf der Hand: Es wird künftig nur noch ein Netzwerk für Automatisierungs- und Sicherheitsfunktionen benötigt, der Aufwand für die Planung und Inbetriebnahme sinkt. Zudem steigt die Flexibilität, weil für Mess- und Regelaufgaben sowie für Sicherheitsanwendungen dieselben Feldgeräte genutzt werden können. Das geht so weit, dass die Sicherheitsfunktion einfach per Geräteparameter im laufenden Betrieb geschaltet werden kann.
Mit Blick auf die künftige Namur Open Architecture, in der Profinet via Ethernet-APL den Zugriff auf Gerätedaten und die Datenaufbereitung ermöglichen soll, ist Karsten Schneider, Vorstandsvorsitzender der Profibus Nutzerorganisation, überzeugt: „Ethernet-APL ist der Game Changer für Konnektivität in der Prozessautomation und PI-Technologien sind die Enabler für die Digitalisierung.“
MTP an der Schwelle zum Endanwender
Seit 2013 treiben Namur, ZVEI und VDI die Entwicklung der Modulautomation, MTP, voran. Denn die Anwender in den Prozessindustrien versprechen sich von modular entwickelten Anlagen wichtige Verbesserungen bei der Flexibilität in der Produktion sowie reduzierte Markteinführungszeiten und niedrigere Investitionsrisiken. MTP ist ein offener Standard, der die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Herstellern von Automatisierungskomponenten ermöglicht und den Datenaustausch zwischen den einzelnen Komponenten erleichtert. Das Module Type Package ist dabei ein digitaler Container, der alle relevanten Informationen über ein Anlagenmodul enthält: Funktionsbeschreibungen, Algorithmen, Konfigurationsdateien, Treiber usw. Durch die Verwendung von MTP-kompatiblen Modulen können Anlagenbauer und -betreiber schnell und einfach Automatisierungssysteme konfigurieren, integrieren und warten. Die modulare Automation unterstützt so die effiziente Errichtung sowie den flexiblen Umbau von Prozessanlagen. Über den Stand der Technologie berichteten Axel Haller, ABB, und Heiko Christ, Merck Electronics, auf der PI-Konferenz.
In ersten Pilotprojekten mit MTP zeigte sich ein um 70 % weniger Engineering-Aufwand und eine Halbierung der Markteinführungszeit. Wie einfach die Integration von Modulen (Package Units) und die Verschaltung bzw. Orchestrierung der Module funktioniert, wurde anhand einer Applikation im Prozessleitsystem PCS neo (Siemens) gezeigt.
Am Weitesten geht in Sachen Modulautomation bislang der Pharma- und Spezialchemiehersteller Merck in Darmstadt: Heiko Christ berichtete auf der PI-Konferenz von inzwischen über 100 Modulen, aus denen der Hersteller in kürzester Zeit Labor- und Produktionsanlagen zusammenstellt.
Künftig soll der inzwischen in der VDI/VDE/Namur-Guideline 2658 beschriebene Standard für MTP von PI – Profibus & Profinet International – vermarktet und begleitet werden. Zukünftige Aufgaben sind die Entwicklung eines MTP-Zertifizierungsprozesses sowie einer OPC-UA-Companion-Spezifikation für MTP sowie die
Adaption an Aufgaben der Fertigungsindustrie und Logistik
(MTP-X). „Wir stehen an der Schwelle, die Modulautomation MTP in den Endkundenmarkt zu bringen“, sagte Axel Haller, ABB.