Modulare  Dosieranlage

Modulare Dosieranlage. (Bild: Denios)

  • Auch in der Chemieproduktion geht es immer mehr darum, die Bereitstellung von Produktionskapazitäten umgehend den aktuellen Erfordernissen am Markt anpassen zu können.
  • Modulare Anlagen, etwa auf Basis des Industriestandards MTP, können dabei helfen, diese Herausforderung zu meistern.
  • Wie die Umsetzung in der Praxis gelingen kann, zeigt ein aktuelles Anwendungsbeispiel aus der Spezialchemie.

Wurden in der Vergangenheit Anlagen in der Chemieindustrie nicht selten für eine Laufzeit von mehreren Jahrzehnten geplant, so verlangen hochvolatile Märkte neue Lösungen. In der heutigen Zeit geht es darum, die Bereitstellung von Produktionskapazitäten umgehend den aktuellen Erfordernissen am Markt anzupassen, um sich gegenüber dem Wettbewerb behaupten zu können.

Dabei stehen Effizienz und Schnelligkeit im Vordergrund. Doch die hohen Sicherheitsanforderungen an Prozesse und Anlagen lassen die Kosten und den zeitlichen Aufwand für Produktionsanpassungen schnell ausufern – zumal die Anlagenkomplexität durch die Vielfalt an Komponenten unterschiedlicher Hersteller steigt. Wie lassen sich diese Herausforderungen meistern?

Antworten finden Anlagenplaner und -betreiber in den Richtlinienreihen zu Modularen Anlagen (VDI 2776) und Modularer Automation (VDI/VDE/Namur 2658). Modularität und Automation sind in diesen Normen als strategische Schlüsselfaktoren identifiziert. Demnach lassen sich modulare, vorautomatisierte Anlageneinheiten einfach in das Produktionsumfeld integrieren und an die aktuellen Produktionsanforderungen anpassen. Die Time-to-Market-Phase verkürzt sich dadurch signifikant und verschafft einen deutlichen Marktvorsprung.

Notwendige Entwicklung neuer Industriestandards

Das durchgängige modulare Engineering scheiterte früher daran, dass Steuerungen unterschiedlicher Hersteller nicht innerhalb einer Anlage zusammen verwendet werden konnten. Eine herstellerunabhängige Modulbeschreibung musste her. So wurde das Module Type Package (MTP) entwickelt und in der VDI/VDE/Namur 2658 Richtlinienreihe standardisiert.

Der Standard erlaubt die Integration mehrerer Module mit Steuerungen verschiedener Hersteller innerhalb eines übergeordneten Steuerungs- und Managementsystems, dessen Funktionalitäten einem Prozessleitsystem ähnlich sind. Große Teile der Steuerungs- und Regelungsintelligenz werden damit dezentral in die Module verlagert. Über eine einheitliche Schnittstelle kommunizieren die Module mit dem Leitsystem. Erweiterungen oder Umbauten lassen sich so deutlich kostengünstiger und schneller realisieren.

Die im Modul integrierte Anlagensicherheit vereinfacht Genehmigungsverfahren und erhöht die Sicherheit der Prozesse auch im Sinne der ökologischen Verantwortung, die Betreiber chemischer Anlagen mehr denn je zu tragen haben. Gerade mittelständische Chemieunternehmen mit ihren relativ kleinen Produktionsmengen gewinnen dadurch Flexibilität und Zuverlässigkeit bei der Planung zukünftiger Prozesse.

Unterstützung bei der Umsetzung modularer Anlagen gibt die VDI-Handlungsempfehlung „Modulare Anlagen: Paradigmenwechsel im Anlagenbau; Zusammenspiel von Prozesstechnik und Automatisierungstechnik“ – sie soll den Schritt in die Praxis erleichtern.

Günther Schätzle, CHT
„Raus aus der Testphase, raus aus dem Labor, rein in den wertschöpfenden Produktionsmaßstab – einfach mal machen.“ Günther Schätzle, CHT (Bild: Denios)

CHT wagt die Realisierung im Produktionsumfeld

Trotz der noch nicht abgeschlossenen Standardisierung hat das Spezialchemie-Unternehmen CHT vor über einem Jahr den Schritt in die Umsetzung gewagt. Die Firma hatte schon einige modular gestaltete Prozessanlagen in ihrer chemischen Produktion im Betrieb. Nun sollte die MTP-Funktionalität ebenfalls im wertschöpfenden produktiven Bereich installiert werden. Ziel war es, nachzuweisen, dass diese neue Technologie im anspruchsvollen Produktionsumfeld wirtschaftlich, flexibel und sicher genutzt werden kann. Günther Schätzle, Manager Plant Engineering Production & Logistics bei CHT, wählte ein bereits implementiertes Verfahren für die Herstellung von Polymeren als Startprojekt aus – zunächst nur am Standort in Dußlingen. Nach und nach soll das Verfahren auch standortübergreifend durch den Einsatz weiterer modularer Anlagen realisiert werden.

Aufgrund der anspruchsvollen Reaktionsführung bei der Herstellung von Polymeren kommt es bei der Dosierung der Edukte auf Zuverlässigkeit und Genauigkeit an. Die Produktvielfalt verlangt zudem eine an den jeweiligen Herstellungsprozess angepasste Dosierungstechnik. Dafür hat CHT bereits seit vielen Jahren unterschiedliche Typen von mobilen Dosieranlagen im Einsatz, die an die verschiedenen Reaktoren angeschlossen werden.

Da sich die Dosieranlagen im Produktionsumfeld bewährt haben, bot es sich für Schätzle an, diese auch für das neue Verfahren zu nutzen. Die Dosierlogik wurde jedoch bisher konventionell in das Prozessleitsystem der Reaktionskesselanlagen integriert. Das heißt, jeder Reaktor hielt die notwendigen Programmcodes für den Betrieb der im technischen Detail variierenden Dosiermodule lokal vor und übernahm die Steuerung der mobilen Module, sobald diese angeschlossen wurden.

Nun galt es, die Intelligenz aus den Steuerungen der stationären Reaktoren in das Dosiermodul zu verlagern und anstelle von Schaltpunkten prozesstechnische Dosierdienste anzubieten. Das erforderte die Schaffung einer einheitlichen Schnittstelle unter Verwendung des MTP-Formates, um die Dienste über das Prozessleitsystem abrufen zu können. Die universelle Verwendbarkeit der Dosierdienste im sich verändernden Produktionsumfeld spielte dabei eine wichtige Rolle, denn Produktionsanpassungen bedingen den Einsatz verschiedener Reaktoren und wechselnder Dosiermedien.

Zudem waren Überwachungs- und Messeinrichtungen vorzusehen, um die Funktion und Sicherheit sicherzustellen und dem Bediener Informationen zu erforderlichen händischen Eingriffen zur Verfügung zu stellen.

Über den Anwender

Die CHT Gruppe ist eine weltweit operierende Unternehmensgruppe für Spezialitätenchemie, die seit fast 70 Jahren Chemikalien als Hilfsmittel und Additive für Produkte und Prozesse entwickelt, produziert und liefert. Im größten Werk der Gruppe in Dußlingen bei Tübingen werden jährlich rund 50.000 t Spezialitätenchemie produziert. Bei der Herstellung stehen wechselnde Rezepturen und Einsatzstoffe auf der Tagesordnung.

Zwei Hände tippen auf Notebook-Tastatur
Die Überwachung der Anlage läuft mobil und cloudbasiert. (Bild: Denios)

Komplexität auf mehreren Schultern verteilt

An der Projektrealisierung waren neben CHT als Anlagenbetreiber, der für POL (Process Orchestration Layer) zuständige Systemhersteller und die System- und Komponentenhersteller der modularen Dosiereinheiten (sogenannte PEA – Process Equipment Assembly) beteiligt. An den Daten-Schnittstellen haben sie sich auf gemeinsame Spezifikationen für die Industriestandards MTP und OPC UA geeinigt. Im Ergebnis greifen POL und PEA, sowie alle Komponenten optimal und mit geringem Aufwand zusammen.

Auf Prozessebene wird für den Dosiervorgang das mobile Dosiermodul mit Pumpen und Dosiertechnik der Firma Sera an die jeweilige Produktionsanlage mit Schläuchen angeschlossen und aus IBC-Behältern versorgt. Die MTP-Dienste zur Steuerung der Dosierabläufe sowie weitere Sensorik wurden mit der Automatisierungstechnik von B&R Industrial Automation integriert. Die Füllstandmessung erfolgt mithilfe von Geräten der Firma Vega Grieshaber und stellt sicher, dass die Anlage im zulässigen Bereich betrieben wird. Der Leckage-Sensor Spillguard connect von Denios detektiert austretende Flüssigkeiten und löst daraufhin eine Alarmierung aus.

Die am Dosiermodul gemessenen Sensordaten werden per Mobilfunk auf Basis von Narrowband IoT in die jeweilige Cloudanwendung der Sensorhersteller
Denios und Vega übertragen. Der Softwareentwickler Semodia stellt mit der MTP-Control-Engine eine Software bereit, die beim Start eine aktuelle Geräteliste über die Web-API herunterlädt, dynamisch ein MTP erzeugt und dieses über einen integrierten Webserver zum Download bereitstellt.

Auf der Leitebene werden die PEA-Module mittels dem Industrie-/Kommunikationsstandard OPC UA in das Prozessleitsystem Aprol integriert. Somit ist für den Bediener eine nahtlose Integration in die vorhandene Anlagenbedienung erfolgt.

Vorteile im Projekt durch den MTP-Standard:

  • Flexibilität in der Anlage durch einfache Erweiterbarkeit
  • Einsparung von Energie und Ressourcen allgemein durch Scaling up und Scaling down
  • Unabhängigkeit bei der Auswahl der Modulhersteller von der verbauten Steuerung
  • Einheitliches Look & Feel bei der Darstellung der Informationen aus der Cloud im PLS
  • Alle Informationen gebündelt in einem System

Aufwandsreduzierung durch gemeinsame Standards

Für den Return-on-Invest (ROI) rechnet Schätzle nach Abzug der Projektkosten mit einem knapp sechsstelligen Eurobetrag pro Jahr. Dieser ergibt sich sowohl aus der Aufwandsreduzierung für die Dosiertechnik – Software-Engineering, Andocken (Plug) und Systemsynchronisation (Validate) – als auch aus der Material- und Aufwandsreduzierung für das Leckage-Management. Durch die schnelle Kopplung des Dosiermoduls an das Prozessleitsystem unter Verwendung des MTP-Formates und einer OPC-UA-Schnittstelle reduzieren sich die Zeiten für die Inbetriebnahme bis auf wenige Minuten. Die Überwachung der Anlage konnte aufgrund der mobilen, cloudbasierten Datenübertragung ohne großen Verkabelungs- und Elektroinstallations-Aufwand sichergestellt werden.

Der ROI hat sich nach fast einjähriger Betriebserfahrung mit der neuen Technologie bewahrheitet. „Wir haben nicht nur die neue ‚herstellerunabhängige MTP-Technologie‘ getestet, sondern diese bereits seit einem Jahr erfolgreich im Einsatz“, so Schätzle.

Der in der Dosier-PEA integrierte Dosier-Service lässt sich aufgrund des hohen Standardisierungsgrads problemlos als Plug-and-Play-Lösung auch für andere Dosieraufgaben in der Verfahrenstechnik verwenden. „Im Laufe des Projektes hat uns das Engagement aller Projektbeteiligten begeistert. Je mehr Anwender diese Lösung adaptieren desto günstiger wird sie“, konstatiert Schätzle. „Die Standards zur Modularisierung und Vernetzung der Produktionsabläufe müssen sich nur noch deutlich stärker in der Praxis durchsetzen.“

 

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