Virtuelle Darstellung einer petrochemischen Anlage mit Delayed Coker mittig im Bildhintergrund

Virtuelle Darstellung einer petrochemischen Anlage mit Delayed Coker mittig im Bildhintergrund. (Bild: Actemium)

  • Der Einsatz digitaler Zwillinge von Chemiestandorten und -anlagen kann großen Nutzen stiften.
  • Eine Anwendung ist die Schulung von Mitarbeitern an einem digitalen Modell.
  • Die Kombination mit Prozessdaten ermöglicht zudem Optimierungsanwendungen.

Viele verwaltungstechnische Aufgaben in der Chemieindustrie werden heutzutage schon nicht mehr nur vor Ort, sondern häufig von den Mitarbeitenden von zuhause aus erledigt. Dabei können dank modernster Technik auch andere Aufgaben vielfach aus der Ferne erfolgen: von Training über Wartung bis hin zur Produktion.

Möglich machen das digitale Zwillinge, die unter Anbindung realer Betriebsdaten in Echtzeit schließlich zu „intelligenten Zwillingen“ werden. Eine gleichnamige Lösung wurde jüngst vom Full-Service-Provider Actemium in Zusammenarbeit mit 3D-Spezialisten entwickelt. Dabei lassen sich einzelne Anlagen bis hin zu ganzen Chemieparks als 3D-Modelle exakt nachbilden und mittels Virtual-Reality (VR) virtuell begehen, Prozesse simulieren und schließlich remote steuern. Die Folge: höhere Effizienz, Sicherheit und Flexibilität sowie weniger Zeitaufwand und ein geringerer CO2-Ausstoß.

Mit Drohnen zum 3D-Modell eines Chemieparks

Die nach dem Scan entstandenen Punktwolken der verschiedenen Operator Cubicle einer Decoking-Anlage.
Die nach dem Scan entstandenen Punktwolken der verschiedenen Operator Cubicle einer Decoking-Anlage. (Bild: Actemium)

Ob einzelne Gebäude und Anlagen oder hektargroße Chemieparks: Von ihnen lassen sich millimetergenau täuschend echte virtuelle Abbilder der Realität erstellen. Dazu sind lediglich hochauflösende Kameras, eine empfindliche Sensorik und 2D-Infrastrukturdaten nötig. Mittels moderner Rechenpower werden dann die zuvor erhobenen Daten über ein leistungsstarkes 3D-Programm verarbeitet, um ein digitales Modell zu erzeugen.

Für das 3D-Modell eines Chemieparks wird neben den 2D-Infrastrukturdaten auf Bild- und Sensordaten zurückgegriffen, die mittels eines etwa einstündigen Drohnenflugs erhoben werden. Anschließend erfolgt die programmgestützte Erstellung, für die rund eine Woche Rechenzeit nötig ist. Durch den daraus entstehenden digitalen Zwilling können Wartungsmitarbeitende am Rechner „fliegen“ und Anlagen in einer Form inspizieren, wie es in der Realität gar nicht möglich wäre. Da sie für die Inspektion nicht mehr vor Ort sein müssen, ist die Arbeit nicht nur schneller und völlig gefahrlos machbar. Auch der CO2-Fußabdruck verringert sich, indem Hin- und Rückfahrt zu den Anlagen entfallen.

Mitarbeiter-Schulungen vereinfachen

Was außen gelingt, ist ebenfalls für Innenbereiche und damit für die Nachbildung von Maschinen und ihren jeweiligen Bedienpanels realisierbar. Das macht etwa die Schulung neuer Mitarbeitenden oder Auszubildenden erheblich einfacher, da diese zunächst am virtuellen Modell ohne Einschränkung des laufenden Betriebs erfolgen kann. Besonders realitätsnah sind derartige Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, wenn der digitale Zwilling einer Anlage mit Prozessdaten und Triggerpunkten zur Bedienung versehen wird und die Nutzer während des Trainings eine Virtual-Reality-Brille tragen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Der Kosten- und Zeitaufwand sinken, da Betriebsabläufe nicht gestört werden und Bedienfehler keinerlei Konsequenzen haben – das verringert auch den Stressfaktor bei neuen oder bestehenden Mitarbeitenden, während sie trotzdem von einem realitätsnahen Training profitieren.

Prozessdaten machen den Zwilling intelligent

360°-Scan des Bedienhauses (Bild oben)
360°-Scan des Bedienhauses. (Bild: Actemium)

Wird ein digitaler Zwilling mit Betriebs-, Zustands- und Prozessdaten verknüpft, entsteht so ein intelligenter Zwilling, der besonders in explosionsgefährdeten Bereichen das Thema Sicherheit auf ein neues Level hebt. Immerhin sind auf diese Weise Arbeiten nicht nur trainier- sondern auch praktisch durchführbar, ohne dass Mitarbeitende sich in Gefahr begeben müssen. Das gilt beispielsweise für sogenannte Hydraulic-Decoking-Systeme in der Chemieindustrie, für die Actemium bereits einen voll funktionstüchtigen Use Case entwickelt hat. Beim sogenannten Decoking-Prozess wird Rückstandsöl in etwa 60 m hohen Trommeln mithilfe von 500 °C heißem Wasserdampf innerhalb von 24 Stunden verkokst. Mitarbeitende (Operatoren) schneiden den kristallinen Stoff anschließend mit einem Hochdruckstrahl (250 bar) aus den Trommeln heraus. Bisher sitzen sie dabei über den Trommeln in einem Operator Cubicle und befinden sich in einer explosionsgefährdeten Zone.

Die Simulation des Prozesses wurde innerhalb von nur zwei Wochen für ein gefahrloses Training virtualisiert. Im ersten Schritt griff der Full-Service-Provider auf die Daten der Equipmentteile des Decoking-Kontrollsystems in Form einer 3D-Zeichnung zurück und führte einen Punktwolken- sowie einen 360-Grad-Foto-Scan des Bedienhauses durch. Das Ganze wurde im nächsten Schritt in ein VR-Modell umgewandelt und die vorhandenen Prozessdaten der realen Anlagen in das System eingespeist. So konnte ein realistisches Drehbuch mit verschiedenen Fail-Szenarien erstellt werden, das Operatoren die Möglichkeit gibt, die Arbeit mit dem Decoking-Kontrollsystem zu üben und sogar gefährliche Situationen einzustudieren – ohne sich einer tatsächlichen Gefahr auszusetzen.

Von der Theorie zur Remote-Praxis

Virtuelle Bedienstation eines Decoking-Kontrollsystems
Virtuelle Bedienstation eines Decoking-Kontrollsystems. (Bild: Actemium)

Was aktuell wie beim Decoking-System vorwiegend Planungs- und Trainings-Szenarien in ein virtuelles Format überführt, lässt sich ebenfalls in der praktischen Arbeit anwenden. So kann mit Rückgriff auf ein ganzheitliches Datenmodell im Umfeld des Internet of Things (IoT) auch die Bedienung von Maschinen und Anlagen aus der Ferne erfolgen. Mitarbeitende sind damit in der Lage, ihre Arbeit aus sicherer Entfernung durchzuführen. Das verhindert zum einen mögliche Arbeitsunfälle und zum zweiten können mit der passenden technischen Ausstattung – vom Rechner bis hin zur VR-Brille – Arbeitswege und damit CO2-Emmissionen eingespart werden. Schließlich erhalten Betriebsleiter zum dritten deutlich mehr Flexibilität bei der Betriebsplanung, wenn Mitarbeitende nicht mehr vor Ort sein müssen, um Arbeiten zu erledigen.

Fragen nach der Sicherheit umfassen besonders in der Chemieindustrie aber nicht nur den Bereich der Arbeit, sondern auch die Bereiche Betriebs- und Prozesssicherheit. Immerhin handelt es sich sowohl um hochkomplexe Verfahren als auch um hochsensible Betriebsinterna, bei denen die Themen Datenschutz und Datenhoheit zu jeder Zeit oberste Priorität genießen müssen. Umfangreiche Security-Lösungen sind daher notwendig – und auch vorhanden. So lassen sich beispielsweise unveränderbare Daten für bestimmte Prozesse mittels der Blockchain-Technologie sichern. Für variierbare Daten kann dagegen dank Service Level Agreements (SLAs) im Vorfeld klar definiert werden, dass zum einen nur die für den Betrieb erforderlichen Daten erhoben werden. Zum anderen lässt sich hierbei ebenfalls bestimmen, dass die Daten weder das Betriebsgelände noch die betriebliche IT-Infrastruktur verlassen.


Achema 2022, Halle 9.1 – E31

 

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