Mit dem Infrarotsystem lassen sich spezifische Sektoren einer Anlage auf austretende Gase überwachen.

Mit dem Infrarotsystem lassen sich spezifische Sektoren einer Anlage auf austretende Gase überwachen. (Bild: Grandperspective)

  • Austretende Gase sind ein gefährlicher Havariefall in Chemieanlagen und können schwer zu erfassen sein.
  • Das vorgestellte Überwachungssystem nutzt IR-Spektroskopie, um Gaswolken qualitativ und quantitativ zu analysieren und räumlich zu vermessen.
  • Der Praxiseinsatz in einem Chemiepark zeigt, wie das System relevante Bereiche lückenlos überwacht sowie wichtige Informationen zur Fehlersuche und -analyse bereitstellt.

Die Fernüberwachungslösung Scanfeld des Unternehmens Grandperspective aus Brandenburg und Berlin deckt große Flächen ab. Sie basiert auf einer spektroskopischen Analyse (Fourier-Transform-Infrarotspektrometer (FTIR)). Im Gegensatz zu anderen auf Infrarot basierten Technologien, können mit Scanfeld gefährliche Emissionen über Entfernungen von bis zu 1 km sicher identifiziert, quantifiziert und lokalisiert werden. Bestandteil des Frühwarnsystems ist außerdem eine eigens entwickelte Software, die es ermöglicht, im Falle einer Freisetzung von Chemikalien – sowohl brennbarer als auch giftiger – in Echtzeit zu alarmieren und dem Anwender vor Ort die „Gaswolke“ anschaulich zu visualisieren und auf Karten anzuzeigen.


Vom Labor ins freie Feld

FTIR-Spektrometer sind Messgeräte, die in Laboren zur Identifizierung von verschiedenen chemischen Verbindungen eingesetzt werden – eine weit verbreitete Standardtechnologie. Dank der Entwicklungen von Grandperspective kann diese Technologie nun auch außerhalb des Labors für die Fernüberwachung großer Prozessanlagen eingesetzt werden. Schon geringste Mengen von Gasen wie Ammoniak oder klimaaktiven Stoffen wie etwa Methan können unter allen typischen Umweltbedingungen aus großen Entfernungen gemessen und quantifiziert werden. Insgesamt können Hunderte weitere potenziell giftige oder brennbare Stoffe erkannt werden – und das in Echtzeit. Schon beim Aufspüren kleinster Stoffaustritte wird Alarm ausgelöst und die Ausbreitung von emittierten Gaswolken verfolgt. Das Scanfeld-System ist eine industrietaugliche Überwachungslösung zur optischen Detektion kleinster Gasmengen aus großen Entfernungen.
Während konventionelle Gassensoren das Gasmolekül aufnehmen müssen – wie eine Nase etwa – gleicht das Messprinzip des Scanfeld-Systems eher dem Auge. Das Besondere ist, dass nicht etwa im sichtbaren, sondern im infraroten Spektralbereich und damit unabhängig von der Tageszeit oder Licht- und Witterungsbedingungen gearbeitet wird. Die meisten Gase der Atmosphäre sowie fast alle gasförmigen Schadstoffe haben eine charakteristische spektrale Signatur im infraroten Spektralbereich, welche vom Scanfeld-System erkannt werden. Die Signatur resultiert aus den energetischen Übergängen zwischen verschiedenen Schwingungs- und Rotationszuständen der Moleküle sowie der daraus resultierenden Absorption bzw. Emission von Infrarotstrahlung. Die Intensität dieser Signaturen hängt von der Struktur der Moleküle und ihrer Konzentration entlang des optischen Weges ab.

Die Scanfeld-Infraroteinheiten überblicken den Chemiepark flächendeckend von oben.
Die Scanfeld-Infraroteinheiten überblicken den Chemiepark flächendeckend von oben. (Bild: Grandperspective)

Auf diese Weise kann in einem großen dynamischen Bereich typischerweise bis hinunter in den einstelligen ppm-Bereich gemessen werden. Selbst aus großer Entfernung, bis hin zu Kilometern, wird eine Gaswolke sicher erkannt. Mehr noch: Während mit einer einzelnen Sensoreinheit nur ein zweidimensionales Abbild erzeugt wird, kann bei Verwendung von zwei oder mehr Sensoreinheiten die dreidimensionale Ausdehnung einer Wolke bestimmt werden. Außerdem ist es möglich, ihre Konzentrationsverteilung mittels Triangulation und tomographischer Rekonstruktion zu ermitteln.
Das Scanfeld-System tastet zunächst vordefinierte Scanbereiche automatisch in einer programmierten Reihenfolge jeweils Punkt für Punkt ab. Mit nur wenigen Sensoreinheiten lassen sich große Anlagenbereiche flächendeckend überwachen. Die gemessenen Spektren werden vollautomatisch verarbeitet. Die Analyseergebnisse werden für die Nutzer in Form von intuitiven Darstellungen visualisiert.
Im normalen Betriebsmodus ist das Scanmuster für einen schnellen Umlauf optimiert, um den Zustand der Anlage innerhalb von Minuten zu erfassen. Das Scan-Muster ist spezifisch für den Umfang der Anlage mit einer freien Definition von Scan-Geschwindigkeit und räumlicher Auflösung. So kann die Überwachung von Bereichen, in denen hochgiftige oder brennbare Gase freigesetzt werden können, optimiert werden.

Einsatz im Dreiländereck

Im Einsatz befindet sich das Scanfeld-System zum Beispiel zur Emissionsüberwachung und zur Kontrolle der Freisetzung gefährlicher Gase im Chemiepark Chemelot in den Niederlanden. Die Überwachung mehrerer Produktionsanlagen des Anlagenbetreibers OCI Nitrogen (OCI) auf austretende Gase wie Ammoniak, Methan und Distickstoffmonoxid (Lachgas) schützt das direkte Umfeld und insbesondere den benachbarten Brightlands Campus am Rande des Chemieparks.
Die sorgfältige Auswahl von zwei Installationsstandorten für die Scanfeld-Sensor-Units ermöglicht eine sehr kurze Reaktionszeit. „Mit der derzeitigen Sensortechnik, also mit lokalen Sensoren, bleiben ca. 69 % der Gaslecks unentdeckt. Das Scanfeld-System lässt keine Lücken zwischen den Sensoren. Es deckt einen Bereich ab, der mit einer Kuppel von Sensoren (500.000 Messwerte pro Einheit/Tag) vergleichbar ist, die über die Anlage verteilt sind“, erklärt Andy Vluggen, Process Engineer bei OCI. Es sei die Kombination von Merkmalen gewesen, die OCI überzeugt hat, das Scanfeld-System zu verwenden:

  • Erkennung von gefährlichen Substanzen,
  • Visualisierung der Konzentrationsübersicht,
  • Verteilung der Emissionen auf einer 2D-Übersichtskarte.

Das System bewährt sich im täglichen Einsatz, weil es sehr schnell warnt und dabei verschiedene intelligente Alarmstufen bereitstellt. Dadurch kann die Gefahrenabwehr früher ausgelöst werden. Es ist außerdem viel einfacher als bisher, den Ursprung von gefährlichen Gaslecks zu finden.
„Das Scanfeld-System bietet zusätzliche Vorteile. Einer davon ist die Protokollierung der Messdaten, die es uns ermöglicht, die Leckagen oder gar Schlimmeres von Anfang an zu rekapitulieren und zu bewerten. So können wir die insgesamt freigesetzte Menge berechnen“, sagt Peter Schmitz, HSEQ Manager des ansässigen Unternehmens Fibrant. Aus Sicht von Chemelot sprechen ein paar Gründe für Scanfeld: Die Schnelligkeit der Alarmierung, der schnelle Überblick über Größe und Schwere der Ereignisse sowie die Position der Gaswolke und das Herunterfahren der Alarmsituation, wenn es wieder sicher ist. Darüber hinaus sei das System erschwinglich, einfach zu warten, zu erlernen und intuitiv zu benutzen, so Peter Schmitz.

Der Einsatz mehrerer Spektrometer ermöglicht genaues Lokalisieren und dreidimensionales Vermessen austretender Gaswolken.
Der Einsatz mehrerer Spektrometer ermöglicht genaues Lokalisieren und dreidimensionales Vermessen austretender Gaswolken. (Bild: Grandperspective)

Weitere Anwendungen

Die Entwickler des Systems haben zusätzliche Algorithmen entwickelt, welche umfangreiche Datenmengen im Zeitverlauf unter Zuhilfenahme von künstlicher Intelligenz auswerten. Dadurch wird es möglich, kleinste technisch relevante Leckagen zu erkennen, um die vorbeugende Wartung zu verbessern und um Emissionen zu senken. Gleichzeitig liefert Scanfeld die Datengrundlage, welche es den Industrieunternehmen erlaubt, zukünftigen EU-Regelungen, wie der Ende 2021 vorgeschlagenen neuen EU-Strategie zum Umgang mit Methanemissionen, welche strengere Regeln zum Messen, Reporting und zur Verifikation von Methanemissionen enthält, sowie der Neufassung des LVIC-BREFS zu entsprechen, welches sich aktuell in der Überarbeitung befindet.

Sie möchten gerne weiterlesen?