Transformationspfad für die Industrie gefordert

Cefic-Studie bewertet Folgen der EU-Chemikalienstrategie

Der europäische Chemieverband Cefic hat untersuchen lassen, welche ökonomischen Folgen die in Brüssel geplante EU-Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit (CSS) für die chemische Industrie in Europa voraussichtlich haben wird.

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Flaggen der EU
Die Chemikalienstrategie der EU betrifft viele Produkte der chemischen Industrie.

Eine Studienreihe, die vom europäischen Chemieverband Cefic in Auftrag gegeben wurde, soll die Auswirkungen der CSS auf die chemische Industrie in der EU untersuchen. Die erste nun veröffentlichte Studie bewertet dabei auf Grundlage der Daten von mehr als 100 europäischen Chemieunternehmen zunächst die Folgen der Erweiterung der Verordnung zu Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung (CLP) sowie des allgemeinen Risikoansatzes (GRA).

Allein von diesen beiden Gesetzesvorhaben könnten laut der Studie bis zu 12.000 chemische Stoffe betroffen sein. Die Studie ergab, dass das höchstwahrscheinlich betroffene Portfolio bis zu 28 % des geschätzten Umsatzes der Chemieindustrie ausmacht. Die befragten Unternehmen gaben an, dass etwa ein Drittel davon potenziell substituiert oder umformuliert werden könnte. Dies hänge jedoch auch von den Einzelheiten der Verordnungen, von technischen und wirtschaftlichen Machbarkeiten sowie von den Reaktionen der jeweiligen Kundenindustrien ab. Die am stärksten betroffenen nachgelagerten Sektoren werden voraussichtlich Kleb- und Dichtstoffe, Farben sowie Wasch- und Reinigungsmittel sein.

„Die chemische Industrie in der EU ist ein wichtiger Zulieferer für alle verarbeitenden Industrien und für wichtige und strategische Wertschöpfungsketten, einschließlich Pharmazeutika, Elektronik, Batterien für Elektrofahrzeuge und Baumaterialien. Die beabsichtigten Strategieänderungen, die mit der CSS einhergehen, werden auch einen erheblichen ,,Rückkopplungseffekt" auf viele Wertschöpfungsketten haben, die auf Chemikalien angewiesen sind“, erklärte Cefic-Präsident Dr. Martin Brudermüller.

Die wirtschaftliche Analyse kam zu dem Schluss, dass selbst bei Berücksichtigung der Ausnahmeregelungen eine starke Nettoauswirkung verbleibt. Unabhängig vom betrachteten Szenario würde dies einen Netto-Marktverlust von mindestens 12 % des Chemieportfolios bis 2040 bedeuten, so die Studie. „Die Ergebnisse dieser Studie deuten darauf hin, dass eine branchenweite Substitutionsanstrengung grundsätzlich möglich wäre. Die Ziele der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit scheinen somit prinzipiell erreichbar. Es besteht jedoch große Unsicherheit darüber, wie die Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette dies unter den derzeitigen Rahmenbedingungen erreichen können. Die Industrie braucht Vorhersehbarkeit für wirtschaftliche Investitionen in den kommenden zwei Jahrzehnten“, sagte Verbandspräsident Brudermüller.

Da bisher nur zwei der in der CSS vorgeschlagenen Maßnahmen bewertet wurden, werden die kumulativen Auswirkungen aller anderen in der Strategie vorgeschlagenen Änderungen noch größer sein. Martin Brudermüller: „Um unsere Industrie in die Lage zu versetzen, diesen Wandel zu vollziehen, braucht sie einen klaren Transformationspfad. Ich rufe die europäischen Politiker und die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten dazu auf, mit uns zusammenzuarbeiten und die CSS in eine echte Wachstums- und Innovationsstrategie umzuwandeln.“

Bildergalerie: So könnte die Chemieindustrie 2040 aussehen

Daten Weltall
Klimavorreiter oder weltweite Nebenrolle? Die folgenden vier Szenarien sind sehr unterschiedlich.
Grüne Energie
Szenario 1, Speerspitze in eine grüne Zukunft: Im ersten Szenario übernimmt die Chemieindustrie eine tragende Rolle in einer nachhaltigen, kollaborativen Welt. Die Märkte sind offen und die Kunden verlangen immer mehr Produkte, die dem Umweltgedanken gerecht werden. Deshalb wird auch die Chemieindustrie Teil eines großen, orchestrierten und branchenübergreifenden Verbunds. Die europäischen Player schaffen es, Wertschöpfung in einer Kreislaufwirtschaft zu erzielen, und investieren massiv in Innovationen. Zudem entsteht sukzessive ein Netzwerk von Partnerschaften aller Branchenplayer entlang der Wertschöpfungskette. Auch werden Start-ups gegründet, die vermehrt auf digitale Potenziale setzen. Allerdings agieren die Unternehmen unter vergleichsweise strengen Umweltauflagen – die sich aber weltweit angleichen.
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Szenario 2, Anpassung an repressive Rahmenbedingungen: Im zweiten Szenario steht die europäische Chemiebranche kollektiv unter Regulierungsdruck und öffentlicher Beobachtung – anders als in China und den USA. Die Unternehmen müssen sich verändern und Kosten sparen. Die Produktion regionalisiert sich, größere Investitionen rentieren sich kaum. Intelligente neue Ansätze sorgen dennoch für ein Überleben der Firmen. Da es kaum noch Produktinnovationen gibt, spielen die einzelnen Unternehmen international keine große Rolle mehr. Es besteht die Gefahr einer ungewollten und radikalen Konsolidierung, die durch eine entsprechende EU-Stelle kaum aufgehalten werden kann.
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Szenario 3, Flucht in den Protektionismus: Die dritte mögliche Entwicklung führt zu einem Szenario mit starkem Euro-Protektionismus, wenig Innovationskraft und einem gesellschaftlichen Rückschritt hinsichtlich Nachhaltigkeit. Die realisierbaren Margen sind inzwischen teilweise auch von der Politik abhängig. Die Bedeutung des Exports und die Wettbewerbsfähigkeit schrumpfen und es kommt ebenfalls zu einer Konsolidierung. Die verbleibenden Akteure können jedoch – zumindest für eine gewisse Zeit – ein recht geruhsames Leben führen und die Branche auf niedrigem Niveau „verwalten“.
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Szenario 4, Wertschöpfung in der Kreislaufwirtschaft: Im vierten und letzten Szenario gelingt die profitable Wertschöpfung in der Kreislaufwirtschaft. Die Öffentlichkeit ist in Umweltfragen hoch sensibilisiert, was zu gezielten Innovationen und Kollaborationen in der Branche führt. Es herrschen ein Klima des Verbrauchervertrauens und die Bereitschaft, auch höhere Preise zu bezahlen. Jedoch bleiben Strukturen und Assets der Unternehmen weitgehend unverändert, was eine allgemeine Innovationswelle eher ausbremst als befeuert. Insgesamt sind Umwelt und Industrie eine enge Verbindung eingegangen, die Unternehmen zunehmend dazu bringt, ihre Profitabilität im Rahmen einer umfassenden Kreislaufwirtschaft zu sichern und managen.