Vollgas auf dem Weg zur Effizienzspitze

Neue Energieeffizienz-Strategie der Bundesregierung

Mangelnde Effizienz vor den Feiertagen konnte man der Regierung in dieser Sache nicht vorwerfen – kurz vor Weihnachten 2019 hat das Bundeskabinett noch schnell die „Energieeffizienz-Strategie 2050“ verabschiedet. Das erklärte Ziel: Die deutsche Wirtschaft zur effizientesten Volkswirtschaft weltweit zu formen – mit Folgen auch für die Industrie.

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Leakage of steam in heat pipeline interior industrial gas with a lot of piping. Steam valve piping in factory
Leakage of steam in heat pipeline interior industrial gas with a lot of piping. Steam valve piping in factory

  • Die Bundesregierung hat zum Jahresende 2019 eine neue Energieeffizienz-Strategie 2050 verabschiedet.
  • Der Plan sieht auch in der Industrie noch beachtliche Einsparungspotenziale.
  • Zu den definierten Maßnahmen und Fördergebieten gehören unter anderem die stärkere Nutzung von Abwärme und direkten Stromanwendungen, Remanufacturing sowie das Vermeiden von Ausschuss vor allem in der Grundstoffproduktion.
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Bild: Rawf8 – stock.adobe.com

Mit ihrem neuen Plan betont die Regierung einmal mehr, dass das Thema Energieeffizienz eine wichtige Säule zum Erreichen der eigenen Klimapläne ist. Bis 2050 soll der jährliche Primärenergieverbrauch dazu gegenüber 2008 um die Hälfte sinken. Bis 2030 liegt die Messlatte bei einer Reduktion um 30 % oder 1.200 TWh – das entspricht etwa der doppelten jährlichen Stromproduktion in Deutschland 2019.

17 Milliarden Euro stehen bereit

Während ein Großteil davon schon im Erzeugungssektor – etwa durch erneuerbare Energiequellen mit ihren höheren Wirkungsgraden – geleistet werden soll, erwartet die Bundesregierung auch von den Energienutzern große Einsparungen. Durch die Maßnahmen der Energieeffizienzstrategie sollen die Endverbraucher ihre Primärenergienachfrage mindestens um ca. 300 TWh senken – etwa die Hälfte davon entfällt dabei auf die Industrie. Ein ehrgeiziges Ziel angesichts der Tatsache, dass in manchen Branchen wie der chemischen Industrie die Quick-Wins, also die einfachen Maßnahmen mit hohem Einsparpotenzial, bereits weitgehend ausgeschöpft sind. Daher habe die Bundesregierung mit der Effizienzstrategie „die Fördersätze deutlich erhöht“, wie Wirtschaftsminister Peter Altmaier verspricht.

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Wirtschaftsminister Peter Altmaier stellte die neue Energieeffizienz-Strategie der Bundesregierung vor. Bild: BMWi

Für alle Förderprogramme im Bereich Energieeffizienz stelle der Bund in den nächsten vier Jahren insgesamt über 17 Mrd. Euro zur Verfügung. Ziel sei es dabei, auch in der Industrie „von der positiven Bewertung des Themas allgemein zu konkreten Investitionen in energieeffiziente Anwendungen“ zu kommen. Einige dieser Anwendungen sind jedoch bereits umgesetzt. Seit 2008 ist die Endenergieproduktivität der deutschen Wirtschaft – also die wirtschaftliche Leistung pro eingesetzter Energie – um mehr als 10 % gestiegen. Der tatsächliche Endenergieverbrauch ist dabei mit einem Minus von 0,1 % jedoch nahezu konstant geblieben – zu wenig für die gesetzten Klima- und Energieziele der Bundesregierung.

Noch mehr Abwärme nutzen

Die Energieeffizienz-Strategie hat daher verschiedene „strategische Handlungsfelder“ im Bereich der Industrie definiert. Das größte Potenzial sieht die Regierung dabei im Bereich Prozesswärme. Knapp zwei Drittel des Energiebedarfs in der Industrie entfallen auf diesen Bereich. Und etwa die Hälfte davon geht bisher ungenutzt in Form von Abwärme verloren. Bis 2030 sollen daher hier jährliche Einsparungen in einer Größenordnung von ca. 50 TWh erreicht werden. Dazu will die Regierung für das Förderpaket „Bundesförderung für Energieeffizienz in der Wirtschaft“ zusätzliche Mittel von jährlich 50 Mio. Euro bereitstellen, die bestehenden Förderprogramme bündeln und mit denen auf Landesebene besser verzahnen.

So soll dann ein sogenannter „One-Stop-Shop“ entstehen, der den Aufwand für die Unternehmen minimieren und gleichzeitig die Effektivität der Förderung steigern soll. Die Regierung will dadurch vor allem bisher kaum genutzte Technologien zur Abwärmenutzung, etwa im Bereich der Niedertemperatur-Abwärme von Rechenzentren, sowie die Isolierung bestehender industrieller Dampf- und Wärmeleitungen voranbringen.

Weniger Druckluft, mehr elektrische Antriebe

Darüber hinaus will die Bundesregierung den Einsatz hocheffizienter Querschnittstechnologien unterstützen. So regt der Plan an, von konventionellen – das heißt etwa druckluft- oder dampfbetriebenen Prozessen, wie sie in der Chemieindustrie häufig vorkommen – auf direktelektrisch betriebene Antriebslösungen umzustellen. Bei entsprechenden Technologien soll für eine schnellere Marktdurchdringung gesorgt werden.

Neben solchen „Einzellösungen“ gerät verstärkt das „Gesamtsystem“ in einem Betrieb in den Blick. So soll künftig weniger Wert auf dem Austausch einzelner Aggregate durch energieeffizientere Lösungen liegen, sondern der Fokus auf eine „intelligente Verzahnung des Gesamtsystems“ rücken. Das beinhaltet etwa die systemübergreifende Vernetzung von Anlagen, Prozessen und Gebäudeteilen. Gerade die Digitalisierung ermöglicht hier – etwa in den Bereichen Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik – Energiezustände gerätescharf zu analysieren und Produktionsprozesse auch aus der Ferne effizient zu überwachen, zu steuern und zu regeln. Helfen sollen dabei onlinegestützte Tools zum schnellen Effizienzcheck nach dem Vorbild des Klima- und Lüftungstools des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle.

Mehr Material- und Ressourceneffizienz in der Grundstoffindustrie

Neben der Energienutzung will die Energieeffizienz-Strategie auch verstärkt das Thema Material- und Ressourceneffizienz angehen. Gerade in der energieintensiven Herstellung von Grundstoffmaterialien lasse sich etwa durch das Vermeiden von Ausschuss viel Energie sparen. Weitere Potenziale lägen etwa darin, Hilfs- und Betriebsstoffe in Kaskaden zu nutzen oder Maschinen wiederzuverwenden – das sogenannte Remanufacturing.

Außerdem lässt sich durch Substitution von Primär- durch Sekundärrohstoffe viel Energie sparen. Das gilt insbesondere für Materialien mit hoher Energieintensität in der Werkstoffherstellung. Der Plan sieht dazu vor, im bestehenden Fördersystem entsprechende Anreize zu setzen. So soll etwa der mögliche Förderbetrag steigen, wenn Unternehmen neben der reinen Energieeffizienz auch die Ressourcen- und Materialeffizienz angehen.

Eine weitere Maßnahme, welche die Grundstoffindustrie betrifft: Technologien zur Umwandlung von Wasserstoff sollen verstärkt gefördert werden. Das gilt auch für Ansätze für eine Kreislaufführung von CO2, also solche Technologien, die im Anschluss an die Nutzung die Rückführung in den Rohstoffkreislauf ermöglichen.

Energieeffizienz als Geschäftsmodell

Oxygen cylinder with compressed gas. Blue Oxygen tanks for industry. Liquefied oxygen production. Factory
Auch Wasserstoff-Technologien sollen eine stärkere Förderung erfahren. Bild: photoDiod – AdobeStock

Solche Effizienzmaßnahmen sind jedoch kein Selbstläufer. Auch die Bundesregierung weiß, dass die Energiewende nur erfolgreich sein kann, „wenn sie für Unternehmen auch wirtschaftlich attraktiv“ ist. Energiesparen muss ein Rendite- und Geschäftsmodell sein. Energieeffizienz-Projekte scheitern jedoch nicht immer daran, dass sie unwirtschaftlich sind, sondern häufig allein aufgrund von fehlenden Informationen zu Einsparpotenzialen sowie zu passenden Effizienztechnologien. Diesem Hindernis will der Plan durch die stärkere Förderung von Energieeffizienz-Netzwerken, wie sie etwa schon in diversen Chemieparks praktiziert werden, beikommen.

Neben dem Fördern kommt jedoch auch das Fordern in der Effizienzstrategie nicht zu kurz. So sieht der Plan eine „Selbstverpflichtung der Industrie zur beschleunigten Umsetzung von Maßnahmen aus dem Energieaudit und den Energiemanagementsystemen“ vor. Auch die deutsche Industrie wird also in den kommenden Monaten zu ihrem Weg hin zur „effizientesten Volkswirtschaft der Welt“ Stellung beziehen müssen. Auch über den weiteren Weg über 2030 hinaus bis 2050 sollen die Unternehmen, zusammen mit anderen betroffenen Akteuren aus Verbänden und Wissenschaft, dann mitbestimmen.

Bildergalerie: Weltweite Energieffizienz-Potenziale:

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Industrielle Effizienz könnte globalen Kohleausbau stoppen - Anzahl an weltweiten Kohlekraftwerk-Projekten (in 100): Während in Deutschland der Kohleausstieg bis 2038 beschlossene Sache ist, boomt die Stromerzeugung aus dem fossilen Rohstoff auf globalem Maßstab weiterhin. In 59 Ländern sind derzeit knapp 1.400 neue Kohlekraftwerke in Planung oder bereits in Bau. Zu diesem Ergebnis kommt die jüngste Coal Plant Developers List der deutschen Umweltorgsanisation Urgewald. Insgesamt könnten die neuen Kraftwerke demnach eine Gesamtleistung von über 670 GW erbringen. Mit 250 GW haben allein die Projekte in China dabei einen Anteil von mehr als einem Drittel. Der globale Kohleausbau könnte derweil deutlich verringert werden, wenn die Potenziale der Energieeffizienz weltweit ausgeschöpft würden. Allein durch Effizienzmaßnahmen in der Industrie ließen sich nach Einschätzung der IEA bis 2040 knapp 390 EJ (1 EJ = 1018 J) Energie einsparen. Berücksichtigt sind dabei nur solche Maßnahmen, die nach Einschätzung der IEA „wirtschaftlich rentabel“ sind. Würden all diese in der globalen Industrie umgesetzt, könnten etwa 85 % der zusätzlichen Kapazitäten, also knapp 1.200 der neu geplanten Kohlekraftwerke rechnerisch überflüssig werden. Grafik: dule / jacartoon – AdobeStock, CHEMIE TECHNIK
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Im Westen weniger Neues - Investitionen in industrielle Energieeffizienz (Mrd. US-Dollar): Besonders die nordamerikanische Industrie hat 2018 deutlich weniger in Energieeffizienz-Maßnahmen investiert als noch drei Jahre zuvor. Auch in Europa gingen die Investitionen zurück – wenn auch in geringerem Umfang. Ein möglicher Grund dafür: Die „low hanging fruits“ sind in vielen Branchen und Betrieben bereits geerntet. Das heißt die einfacheren und besonders lohnenswerten Maßnahmen wurden bereits umgesetzt – weiteres Effizienzpotenzial ist nun deutlich schwieriger aufzuspüren. In China dagegen boomt der Markt für Energieeffizienz – sowohl was den absoluten Wert der Investitionen als auch den Anstieg in den letzten Jahren angeht. Daten: IEA
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Chemie auf halber Strecke - Verringerung der Energieintensität (in Prozent): Die globale Industrie ist schon weit gekommen – hat aber noch Effizienzpotenzial. So haben die Chemieunternehmen weltweit ihre Energieintensität zwischen 2000 und 2017 bereits um etwa 15 % verringert. Bis 2040 wären jedoch noch einmal Effizienzoptimierungen in einem ähnlichen Umfang möglich. Berücksichtigt sind wiederum nur wirtschaftlich sinnvolle Maßnahmen. Besonders viel getan in Sachen Energieeffizienz hat bereits die Zementindustrie. Die Betriebe im Bereich der Eisen- und Stahlproduktion haben dagegen noch deutlichen Nachholbedarf. Daten: IEA
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Effizienz als Schlüssel gegen Klimawandel - Möglicher Beitrag zu CO²-Einsparungen (Jahr 2040, in Prozent): Bereits seit Längerem ist klar: Mit Business-as-usual wird eine nachhaltige Entwicklung auf der Welt nicht zu erreichen sein – das gilt insbesondere im Bereich Klima. Um die Nachhaltigkeitsziele der UN zu erreichen und den globalen Temperaturanstieg bis 2040 auf höchstens 1,8 °C gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen, müssten die weltweiten CO2-Emissionen von derzeit etwa 32 auf unter 20 Gt heruntergefahren werden. Der größte Schlüssel, um dies zu erreichen ist nach Einschätzung der IEA die Energieeffizienz. Wirtschaftlich sinnvolle Effizienzmaßnahmen in allen Sektoren – einschließlich Verkehr und Industrie – könnten demnach einen Beitrag von 44 % zur notwendigen CO2-Einsparung leisten. Das Potenzial der Energieeffizienz ist damit noch größer als der Einfluss erneuerbarer Energien oder von Technologien zur CO2-Speicherung. Daten: IEA

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