Zeichnung einer Industrieanlage, im Vordergrund Männer in Anzügen

Industrieverbände empfinden die EU-Lieferketten-Richtlinie als fehlerhaft und unfertig. (Bild: Dall-E / Open AI)

  • Die EU-Lieferketten-Richtlinie verpflichtet Unternehmen, ihre Lieferketten auf Menschrechtsverletzungen und Schädigungen der Umwelt zu kontrollieren. Sie geht in Teilen über das bestehende deutsche Lieferkettengesetz hinaus.
  • Die deutschen Industrieverbände kritisieren die Richtlinie als übermäßig bürokratisch und nicht praktikabel. Sie befürchten Rechtsunsicherheit und insbesondere für KMU nicht zu bewältigende zusätzliche Belastungen.
  • Die Chemie-Gewerkschaft begrüßt die Richtlinie und ermahnt die Industrie, ihrer Verantwortung nachzukommen.

Die EU-Lieferketten-Richtlinie, offiziell die „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit“ (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD oder auch CS3D), soll Unternehmen dazu verpflichten, Menschenrechtsverletzungen und Umweltschädigungen entlang ihrer Lieferketten zu vermeiden und zu verhindern. Ein Gesetz zu diesem Zweck ist an sich in Deutschland nicht neu, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) trat bereits Anfang 2023 in Kraft. Seit 1. Januar 2023 galt es für Unternehmen ab einer Größe von 3.000 Mitarbeitenden, ab 1. Januar 2024 auch für Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitenden.


Was beinhaltet die EU-Lieferketten-Richtlinie?

Die Mitte März angenommene EU-Lieferketten-Richtlinie fügt dem deutschen Lieferkettengesetz jedoch Punkte hinzu oder verschärft es. Ursprünglich sollte die CS3D für Unternehmen ab 500 Mitarbeitenden und einem weltweiten Umsatz von mehr als 150 Mio. Euro gelten. In der angenommenen Fassung sind es 1.000 Mitarbeitende und 450 Mio. Euro Jahresumsatz, die Beschränkung nach Umsatz ist eine Änderung gegenüber dem deutschen Gesetz. Ebenfalls neu ist, dass Unternehmen bei Verstößen gegen ihre Sorgfaltspflichten gemäß der Richtlinie auch zivilrechtlich haftbar gemacht werden, also von direkt Geschädigten vor europäischen Gerichten verklagt werden können.
Gleichzeitig ist der Umfang der definierten Pflichten größer und schärfer definiert. Die Richtlinie nutzt den Begriff „Aktivitätskette“, und meint damit nicht nur unmittelbare Lieferanten wie das deutsche Gesetz, sondern auch die Zulieferer der Lieferanten sowie deren Zulieferer, eben die gesamte Kette. Außerdem sind Unternehmen zukünftig auch downstream mitverantwortlich, nämlich bei Transport, Lagerung und Entsorgung ihrer Produkte durch beauftragte Partner.

Schon vor der ersten Abstimmung Ende Februar 2024 zeigte sich, wie umstritten die Lieferketten-Richtlinie werden würde. In Deutschland konnten sich innerhalb der Ampelkoalition SPD und Grüne auf der Befürworterseite und FDP auf der Gegenseite nicht auf eine gemeinsame Haltung einigen, sodass Deutschland sich bei der Abstimmung enthielt. Die erforderliche Mehrheit von 15 EU-Mitgliedstaaten mit 65 % der EU-Gesamtbevölkerung kam im ersten Anlauf nicht zusammen.

EU-Rat und -Parlament versuchten einen erneut abgeschwächten Kompromiss: Die nach Mitarbeiterzahl und Umsatz festgelegten Grenzen für den Anwendungsbereich wurden angehoben und die Übergangsfristen verlängert, die besondere Aufmerksamkeit für sogenannte Risikosektoren entfiel. Diese Überarbeitung der CS3D wurde am 15. März 2024 angenommen. Deutschland enthielt sich ein weiteres Mal, und dieses auf Streit in einer Regierungskoalition basierende Abstimmungsverhalten ist in Brüssel mittlerweile als „German Vote“ sprichwörtlich.

Wie bewertet der VCI die Lieferketten-Richtlinie?

Der Verband der Chemischen Industrie steht der EU-Lieferketten-Richtlinie ablehnend gegenüber. Gemeinsam mit den großen Wirtschaftsorganisationen BGA, Gesamtmetall, Mittelstandsverbund, Stiftung Familienunternehmen und Politik, Textil+Mode, VDMA und ZVEI hat sich der Verband bereits vor der ersten Abstimmung im Februar heftig gegen den Entwurf ausgesprochen. Die Organisationen führen aus, dass bereits die Anforderungen des deutschen Lieferkettengesetzes kleine und mittelständische Unternehmen überfordern. Der ihrer Ansicht nach viel zu große Anwendungsbereich der EU-Richtlinie führe zu bürokratischen Belastungen und Rechtsunsicherheiten und erschwere letztendlich den Außenhandel, und bedrohe europäische Arbeitsplätze und Wertschöpfung gefährdet.

Die geplante zivilrechtliche Haftung sehen der VCI und andere Verbände als praxisfremd und risikobehaftet an. Dies führe eher dazu, „dass Unternehmen sich aus schwierigen Märkten zurückziehen“ und diese Märkte weniger kontrollierten Wettbewerben aus anderen Teilen der Welt überlassen. Damit wäre das eigentliche Ziel der Richtlinie verfehlt. Des Weiteren bemängeln die Verbände die fehlende Harmonisierung in wesentlichen Teilen der Richtlinie und fordern eine einheitliche Regelung im gesamten EU-Binnenmarkt.

Besonders schwer wiegt für den VCI, dass die Ampelkoalitionsparteien sich bereits im Dezember 2022 in Brüssel eine „Safe Harbour“-Regelung eingesetzt haben. Danach könnten sich Unternehmen zu Brancheninitiativen zusammenschließen und bürokratischen Aufwand teilen: „Der Einsatz von anerkannten Zertifizierungen würde eine wesentliche Vereinfachung bedeuten und Unternehmen müssten nicht mehr jeden einzelnen Lieferanten von Neuem prüfen.“ Diese Regelung ist in der aktuellen EU-Lieferketten-Richtlinie nicht enthalten.

Was meint der VDMA?

Der Verband der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) macht sich vor allem Sorgen um das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, den Mittelstand. Die in den Kompromiss eingebrachte Anhebung der Mitarbeiterzahl im Unternehmen bezeichnete VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann als „Feigenblatt“, das in derPraxis keine Auswirkungen habe und insbesondere dem Mittelstand nicht weiterhelfe. Als Zulieferer werden kleine und mittelständische Unternehmen denselben Druck erfahren wie ihre Abnehmer, „denn große Unternehmen werden ihren kleineren Partner dieselben Verpflichtungen auferlegen – allein schon aufgrund der Minimierung des Haftungsrisikos, unabhängig davon, was die Direktive sagt“, erklärt Brodtmann.

Dementsprechend sei die Annahme des Entwurfes für den Maschinen- und Anlagenbau „enttäuschend und unverständlich“. Der Verband teilt den Wunsch des VCI nach einer praktikablen sowie unbürokratischen Lösung, sieht diesen Wunsch aber alles andere als erfüllt: „Die in der Schlussminute erfolgten Teiländerungen ändern nichts daran, dass der vorliegende Richtlinien­entwurf handwerklich schlecht gemacht und nicht praktikabel ist.“ Letztendlich werde die Richtlinie nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie auf den globalen Märkten weiter schwächen, Brodtman prophezeite sogar abschließend, die CS3D werde ihr eigentliches Ziel verfehlen: „Das Gesetz wird keine positive Wirkung auf das gesetzte Ziel haben, Menschenrechte zu achten.“

Industriegebäude mit Mitarbeitenden und Europaflagge im Vordergrund
Arbeitgeber und Gewerkschaften sind nahezu gegensätzlicher Meinung über die EU-Lieferketten-Richtlinie. (Bild: Dall-E / Open AI)

Was sagt die Chemie-Gewerkschaft zur Lieferketten-Richtlinie?

Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) begrüßt den Kompromiss zur EU-Lieferketten-Richtlinie als einen wichtigen Schritt, und kritisiert das Vorgehen der deutschen Regierung und Wirtschaft. Deutschlands Enthaltung bei den Abstimmungen weckt Unverständnis, und den Trend des „German Vote“ finden die Gewerkschaftsvertreter besorgniserregend. Die Richtlinie standardisiere die Sorgfaltspflichten von Unternehmen in der gesamten EU bezüglich Menschenrechten und Umweltstandards. Alexander Bercht, Vorstandsmitglied der IGBCE, betont: „Das ist nicht nur ein längst überfälliges Zeichen der EU, sondern verhindert damit auch einen europäischen Flickenteppich von Gesetzen in den Nationalstaaten.“ Damit sei sichergestellt, dass für deutsche Unternehmen dieselben Rahmenbedingungen gelten wie für ihre europäischen Wettbewerber – ein Detail, das die Industrie in Diskussionen um die deutsche Lieferketten-Richtlinie eingefordert habe.

Die zusätzliche Umsatzschwelle als Kriterium für den Anwendungsbereich empfindet die IGBCE zwar als enttäuschend, sie begrüßt aber die im Vergleich zum deutschen Gesetz neu hinzugekommene zivilrechtliche Haftung der Unternehmen. Positiv sei auch die klare und weiter gefasste Definition des Begriffes Lieferkette: „Das ist ein Punkt, den Gewerkschaften stets angemahnt haben. Menschenrechtsverletzungen finden sich nämlich häufiger am Anfang der Wertschöpfung. Die europäische Richtlinie berücksichtigt diese Tatsache stärker als das deutsche Gesetz“, sagt Bercht. Insgesamt teilt die IGBCE nicht die Kritik der deutschen Industrieverbände aa der EU-Lieferketten-Richtlinie. Die Gewerkschaft fordert die Unternehmen stattdessen auf, die neue Regelung zu akzeptieren: „Die Industrie sollte endlich einsehen, dass sie an diesem Thema nicht mehr vorbeikommt“, betont Bercht.

Was halten die Chemie-Arbeitgeber davon?

Ebenfalls eine politisch bedenkliche Ausgangslage, aber ein völlig anderes Endergebnis als die Gewerkschaft sieht der Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC). Dieser spricht von „einem legislativen Trauerspiel auf europäischer Ebene“, und bescheinigt der Richtlinie „Konstruktionsfehler“, die auch in der jüngsten Fassung „nicht umfassend korrigiert werden“. Auch den Arbeitgebervertretern fehlt die Safe-Harbour-Regelung für Brancheninitiativen, und sie hätten den Verantwortungsbereich eines Unternehmens gern auf die unmittelbaren Lieferanten begrenzt. Das Urteil des Verbandes: „Unter dem Strich bleibt die Richtlinie ungeeignet, sowohl Menschenrechte besser zu schützen als auch die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft sicherzustellen. Sie ist weiterhin in erster Linie ein Katalysator für Bürokratie und Rechtsunsicherheit.“

Wie sehr die verschiedenen Organisationen in Deutschland geteilter Meinung sind, verdeutlicht das Beispiel der sogenannten Risikosektoren. Darunter fallen Industriebereiche, in denen Menschenrechtsverletzungen besonders leicht oder häufig vorkommen. Hierunter fiele beispielsweise der Rohstoffsektor aufgrund der in Teilen der Welt verbreiteten Kinderarbeit im Bergbau unter harschen und gefährlichen Bedingungen. Ursprünglich sollte die EU-Lieferketten-Richtlinie für solche Risikosektoren schärfere Vorgaben machen, im angenommenen Kompromiss ist dies nicht mehr vorgesehen. Für die IGBCE sind diese Streichung und die damit einhergehende zusätzliche Einschränkung des Anwendungsbereiches der Richtlinie „nur schwer tragbare Rückschritte“. Dementgegen bezeichnet der BACV genau diese Anpassung als Fortschritt gegenüber der ursprünglichen Richtlinie.

Ab wann gilt die Lieferketten-Richtlinie?

Die EU-Lieferketten-Richtlinie tritt 20 Tage nach ihrer offiziellen Veröffentlichung in Kraft, voraussichtlich im Mai oder Juni 2024 (Stand Mitte April 2024). Die Mitgliedstaaten der EU haben dann zwei Jahre Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. In Deutschland wird dies voraussichtlich durch eine Änderung oder Anpassung des existierenden Lieferkettengesetzes geschehen. Ein weiteres Jahr später, also ab Mitte 2027, greift die Richtlinie zunächst für Unternehmen mit mehr als 5.000 Mitarbeitern und einem globalen Jahresumsatz von über 1,5 Mrd. Euro. Der Anwendungsbereich wird dann schrittweise erweitert, zunächst 2028 auf Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern und mehr als 900 Mio. Umsatz. Ab 2029, fünf Jahre nach Inkrafttreten, gilt die EU-Lieferketten-Richtlinie dann auch für Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern und mehr als 450 Mio. Euro Umsatz.

10. Engineering Summit

Engineering Summit
(Bild: CHEMIE TECHNIK)

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