Interview mit Helmut Schuller, Geschäftsführer von Schuller&Company
Künstliche Intelligenz ist längst in der Industrie angekommen, doch der Anlagenbau tut sich schwer damit. Helmut Schuller, Geschäftsführer des Softwareanbieters Schuller&Company im Gespräch über Chancen, Hemmnisse und warum der deutsche Anlagenbau Gefahr läuft, den Anschluss zu verlieren.
CHEMIE TECHNIK: Herr
Schuller, Sie betonen, dass KI im Anlagenbau kein Zukunftsthema mehr ist. Was
meinen Sie damit?
Helmut Schuller: Digitalisierung ohne KI funktioniert heute
nicht mehr. Mich hat ehrlich gesagt überrascht, wie zögerlich viele Unternehmen
hier noch sind. Wenn ich mir die Geschwindigkeit anschaue, mit der neue
Technologien angenommen werden, wird klar: Wir haben keine Zeit zu verlieren.
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Es hat 16 Jahre gedauert, bis 100 Millionen Smartphones verkauft waren, aber nur zwei Monate, bis ChatGPT 100 Millionen Nutzer hatte. Wer da glaubt, man könne erst mal abwarten, hat die Dynamik nicht verstanden.
Zur Person:
Helmut Schuller ist CEO und Gründer von Schuller&Company, einem 2018 in Eschborn gegründeten Spezialisten für Digitalisierung im Industrieanlagenbau und Bauwesen. Das Unternehmen bietet Softwarelösungen wie Bocad, den digitalen Zwilling sowie BIM-Integrationen und ist Reseller der Aveva Engineering Suite, Revit und BricsCAD. Schuller&Company ist international mit Standorten in Europa und Asien sowie Partnern weltweit vertreten.
CT: Viele Unternehmen
fürchten, überfordert zu sein. Wie sehen Sie das?
Schuller: Ich beobachte eher Angst vor Veränderung. Das
erinnert mich an Kaiser Wilhelm I., der das erste Auto für eine „vorübergehende
Erscheinung“ hielt, und wir wissen, wie das endete. Wenn der Anlagenbau jetzt
zu lange zaudert, wird er vom Fortschritt überrollt.
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Mich erstaunt auch, dass jede Firma für sich bastelt.
Deutschland ist ein Land, das für Kooperation prädestiniert wäre. Stattdessen
treffen wir uns dreimal im Jahr in einem Arbeitskreis und reden. Wenn sich zehn
Unternehmen zusammentun und ihre Innovationsbudgets bündeln würden, könnten sie
in kurzer Zeit Erstaunliches erreichen.
Und noch etwas: KI ist für mich wie ein Kind – man muss ihr
alles Wissen mitgeben, das sie braucht. Wenn wir das nicht tun, verschenken wir
die Erfahrung, die in unseren Köpfen steckt. Gerade in einer Branche, in der
viel Wissen mit dem Ruhestand verloren geht, ist das fatal.
CT: Was ist Ihrer
Meinung nach der richtige Weg?
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Schuller: Man muss einfach anfangen. KI ist kein „perfekter
Hammer“, der jedes Problem löst. Sie ist ein Werkzeugkasten. Man muss lernen,
ihn zu öffnen und die richtigen Werkzeuge zu nutzen. Wir bei
Schuller&Company setzen KI bereits in mehreren Bereichen ein, etwa beim
Coding, in der Schulung und in der Anwendungsentwicklung. Früher hat man alles
gegoogelt; heute hilft uns die KI, Software intuitiver zu gestalten und
Anwender schneller zum Ziel zu bringen. Natürlich gibt es Bedenken: „Dann
verkaufen wir weniger Dienstleistungen.“ Aber ich gewinne dafür mehr Anwender
und erweitere meine Community. Das ist langfristig viel wertvoller.
CT: Viele KI-Projekte
scheitern. Schreckt das Unternehmen ab?
Schuller: Es gibt Studien, die sagen, 90 % der KI-Projekte
laufen nicht wie geplant. Das ist völlig in Ordnung! Das sind oft kleine Tests.
Wer beim ersten Fehlschlag aufhört, hat nichts verstanden. KI ist wie
Marathontraining: Wenn wir in einem halben Jahr laufen wollen, müssen wir heute
anfangen zu trainieren. Wer jetzt abwartet, wird abgehängt. Das gilt auch hier.
CT: Was müsste sich
ändern, damit die Branche vorankommt?
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Schuller: Wir brauchen Führungskräfte mit Vision. In
Deutschland schauen viele CEOs vor allem zurück: Was lief letztes Jahr gut? Wir
müssen nach vorn schauen und bewusst in Projekte investieren, die auch mal
scheitern dürfen. Und wir brauchen Zusammenarbeit. Früher, in den Anfängen der
digitalen Planung, haben große Unternehmen gemeinsame Standards entwickelt und
sich Arbeit geteilt, und das war unglaublich erfolgreich. Heute ist dieser
Geist verloren gegangen.
Natürlich ist der Konkurrenzdruck groß und die Zahl der
Projekte sinkt. Aber gerade deshalb sollten wir uns gegenseitig stützen und
voneinander lernen. Das technische Know-how ist da – wir müssen es nur
gemeinsam nutzen.
CT: Sind Sie
optimistisch, dass das gelingt?
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Schuller: Ja. Ich bin überzeugt, dass es gelingen kann, wenn
wir den Mut haben, jetzt zu handeln.