Standardisierung als Schlüssel

One-Stop-Shop für Markthochlauf von grünem Wasserstoff

Grüner Wasserstoff gilt als Schlüssel zur Dekarbonisierung energieintensiver Industrien. Rely, ein Joint Venture von Technip Energies und John Cockerill, will mit Standardisierung, Digitalisierung und einem durchgängigen Serviceangebot den Markthochlauf beschleunigen.

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Die Spezialisten von Rely und John Cockerill Hydrogen haben eine standardisierte und modulare Produktionsanlage für grünen Wasserstoff entwickelt.
Die Spezialisten von Rely und John Cockerill Hydrogen haben eine standardisierte und modulare Produktionsanlage für grünen Wasserstoff entwickelt.

  • Im Zentrum des angestrebten Markthochlaufs von grünem Wasserstoff steht ein ganzheitlicher Ansatz von Engineering und Bau über Betrieb und Wartung bis hin zu digitalen Tools für Prozessoptimierung.
  • Am Beispiel eines Großprojekts in Indien wird deutlich, wie sich Technologieintegration, Standardisierung und Skalierung zu diesem Zweck miteinander verbinden lassen.
  • Zentrale Herausforderungen reichen von Kostensenkung und Materialeinsatz bis hin zu gesellschaftlicher Akzeptanz, für europäische Unternehmen bieten sich jedoch auch Chancen.

Die Energiewende und der Umbau industrieller Prozesse stellen Unternehmen weltweit vor enorme Herausforderungen. Grüner Wasserstoff gilt dabei als Schlüsselelement, um CO₂-intensive Branchen wie Stahl, Chemie oder Zement klimafreundlich zu machen. Doch Skalierung, Kosten und technologische Hürden bremsen den schnellen Hochlauf. Die Unternehmengruppen von John Cockerill und Technip Energies haben ihre Kompetenzen gebündelt und gemeinsam das Unternehmen Rely gegründet mit dem Anspruch, Projekte aus einer Hand und im industriellen Maßstab umzusetzen. Technip Energies S.A. hält dabei einen Anteil von 60 %, John Cockerill S.A. die restlichen 40 %.

„Rely bietet einen zentralen Ansprechpartner für ein komplettes Ökosystem an Produkten und Lösungen rund um grünen Wasserstoff und Power-to-X“, erklärt Mesut Şahin, VP Commercial & Key Account Manager für D-A-CH, Benelux, UK und Südafrika. Damit unterscheidet sich das Unternehmen von anderen Marktakteuren, die sich meist nur auf einzelne Technologien oder angrenzende Bereiche konzentrieren. Der Anspruch sei es, den gesamten Weg der Kunden zu begleiten – von der ersten Projektidee über Engineering und Bau bis hin zu langfristigem Betrieb und Wartung.

Mit diesem „One-Stop-Shop“-Ansatz will das Joint Venture nicht nur Komplexität reduzieren, sondern auch Planungssicherheit schaffen. Mesut Şahin betont: „Wir streamlinen die Koordination und bieten gleichzeitig eine volle Bandbreite an Garantien.“ Das Ziel sei es, Kunden in einem dynamischen und technologisch anspruchsvollen Umfeld Orientierung zu geben und die Projekte schneller zur Umsetzung zu bringen.

Herzstück des Bauprojekts in Kakinada, Indien, ist ein Werk mit zwei Anlagen zur Herstellung von 3.000 t/d grünem Ammoniak.
Herzstück des Bauprojekts in Kakinada, Indien, ist ein Werk mit zwei Anlagen zur Herstellung von 3.000 t/d grünem Ammoniak.

Kakinada: Grüne Ammoniakproduktion im industriellen Maßstab

Wie dieser Ansatz in der Praxis aussieht, zeigt das Projekt Kakinada im indischen Bundesstaat Andhra Pradesh. Dort hat Rely von AM Green India einen umfangreichen EPCM-Auftrag erhalten. Herzstück ist ein Werk mit zwei Anlagen zur Herstellung von insgesamt 3.000 t/d grünem Ammoniak.

Zum Einsatz kommen dabei zwei 640-MW-Alkali-Druckelektrolyseure von John Cockerill Hydrogen (JCH2). Sie erzeugen den benötigten grünen Wasserstoff und ermöglichen so die Umstellung einer bestehenden Anlage von grauer auf grüne Ammoniakproduktion. Die Kapazität soll 1 Mio. t/a erreichen, mit einem erheblichen Anteil für den Export nach Europa.
„Das Projekt ist ein wichtiger Baustein in Indiens Plan, bis 2030 jährlich fünf Millionen Tonnen grünen Wasserstoff zu produzieren“, erläutert Mesut Şahin. Der finale Investitionsbeschluss wurde im August 2024 getroffen – ein Beleg für die Marktreife großskaliger Projekte dieser Art.

Synergien zwischen Engineering und Entwicklung

Hinter dem Gemeinschaftsunternehmen stehen zwei starke Muttergesellschaften: John Cockerill und Technip Energies. Beide bringen unterschiedliche, aber komplementäre Stärken in die Partnerschaft ein. Technip ist mit seiner Erfahrung im Engineering und in der Realisierung von Großprojekten ein wichtiger Treiber, während John Cockerills Tochtergesellschaft führend in der Entwicklung und Lieferung von Druckelektrolyseuren im industriellen Maßstab ist.

Die Idee zur Unternehmensgründung entstand aus dem gemeinsamen Verständnis, dass die Skalierung von grünem Wasserstoff und Power-to-X-Lösungen dringend vorangetrieben werden muss, um schwer zu dekarbonisierende Industrien wie Stahl, Zement oder Chemie zukunftsfähig zu machen. „Unsere Kooperation basiert auf der Erkenntnis, dass wir nur durch gebündelte Kräfte standardisierte und gleichzeitig wirtschaftliche Lösungen für Projekte ab 100 MW realisieren können“, so Mesut Şahin.

Ein zentrales Element der Strategie ist die Standardisierung. Sie soll nicht nur die technische Qualität verbessern, sondern vor allem Kosten und Risiken senken. Dazu gehört die „Mutualisierung“ – also die gemeinsame Nutzung von Ausrüstungen und die Reduktion redundanter Anlagenkomponenten.

Technologische Herausforderungen beim Skalieren

„Durch Standardisierung in Engineering und Equipment steigern wir die Effizienz, senken die Kosten und verbessern zugleich die Qualität“, betont Mesut Şahin. Standardisierte Module und Prozesse vereinfachen die Projektabwicklung, reduzieren Fehlerquellen und erhöhen die Interoperabilität verschiedener Systeme. Skaleneffekte spielen dabei eine entscheidende Rolle: Je mehr Projekte auf derselben technologischen Basis umgesetzt werden, desto geringer die Variantenvielfalt und desto stärker die Kostenreduktion.

„Die Verbesserung der Capex-Effizienz ist entscheidend, um die Levelized Cost of Hydrogen (LCOH) zu senken und grünen Wasserstoff wettbewerbsfähig gegenüber grauem Wasserstoff zu machen“, sagt Mesut Şahin. Zwar machen die Stromkosten einen wesentlichen Teil der Gesamtkosten aus, doch Rely will bewusst auch auf alternative Hebel setzen: Optimierte Lieferketten, schlanke Logistikprozesse und integrierte Technologien sollen die Wirtschaftlichkeit zusätzlich verbessern.

Darüber hinaus stellen Materialien und Sicherheit große Themen dar. Der Einsatz seltener Rohstoffe wie Platinmetalle verteuert nicht nur die Produktion, sondern erschwert auch Recycling und Kreislaufwirtschaft. Gleichzeitig bringt die Handhabung von Wasserstoff besondere Anforderungen mit sich: Das Molekül ist extrem klein und daher anfällig für Leckagen, zudem hochentzündlich. Hinzu kommt, dass die in Elektrolyseuren eingesetzte Lauge stark ätzend ist – ein Faktor, der Sicherheitskonzepte noch komplexer macht.

Neben den technischen Fragen sieht Mesut Şahin auch gesellschaftliche Hürden: „Die öffentliche Meinung spielt eine entscheidende Rolle bei der Einführung von grünem Wasserstoff. Wir müssen Bewusstsein schaffen und Skeptiker von der Relevanz und Dringlichkeit überzeugen.“

Technologische Treiber für den Markthochlauf

Für die Beschleunigung des Markthochlaufs sieht das Unternehmen mehrere Stellschrauben: Modulare Elektrolyseursysteme, die je nach Projektgröße skaliert werden können, reduzieren Komplexität und Investitionskosten. Neue langlebigere und günstigere Katalysatoren und Membranen sollen die Abhängigkeit von seltenen Rohstoffen verringern. KI-gestützte Analytik, Echtzeitdaten und flexible Steuerung verbessern dabei Effizienz und Anlagenverfügbarkeit.

Außerdem muss grüner Wasserstoff nahtlos in bestehende Energie- und Industrieinfrastrukturen eingebunden werden, von der Kopplung mit erneuerbaren Energien bis zur Einbindung in Power-to-X-Anwendungen. Zusätzlich könnten auch Zukunftstechnologien mit niedrigerem Reifegrad neue Anwendungen erschließen und die Kosten weiter senken.
Darüber hinaus bietet Rely auch die Integration jeder anderen Technologie und/oder jedes anderen OEM-Umfangs, die bzw. den seine Kunden ausgewählt haben, um den Präferenzen der Kunden gerecht zu werden. Diese Kunden und Projekte profitieren weiterhin von der (Vor-)Engineering-Kompetenz des Unternehmens sowie von seiner umfangreichen Erfahrung in der Durchführung von Projekten in einem agnostischen Modus.

Europas Rolle im globalen Wettbewerb

Europa verfügt über starke politische Rahmenbedingungen, technologische Kompetenz und klare Klimaziele. Damit sei der Kontinent gut positioniert, um die globale Entwicklung anzuführen. Doch Herausforderungen bleiben: hohe Produktionskosten, unzureichende Infrastruktur und wachsender internationaler Wettbewerb. „Europa hat die Werkzeuge, um seine Führungsrolle zu behaupten. Aber es muss die bestehenden Hürden entschlossen angehen“, resümiert Şahin.

Mit dem Clear100+ haben die Wasserstoff-Spezialisten bei Rely und JCH2 eine standardisierte als auch flexibel konfigurierbare modulare Produktionsanlage für grünen Wasserstoff basierend auf 20-MW-Druck-Alkali-Elektrolyseur-Modulen von JCH2 entwickelt. Während die beiden Unternehmen bei diesen Anlagen zusammenarbeiten, bleiben sie auch verfügbar für Projekte mit anderen Projekten an anderen Anlagentypen.

Ergänzt wird das Produkt durch ein eigenes Energiemanagementsystem (EMS), mit dem sich die Produktion dynamisch an Marktpreise, Energieverfügbarkeit und Flexibilitätsanforderungen anpassen lässt, um Effizienz und Wirtschaftlichkeit zu maximieren. Darüber hinaus bietet das Unternehmen ein durchgängiges Servicepaket – von Machbarkeitsstudien über Engineering, Ausführung und Betrieb bis hin zu langfristigem Operation & Maintenance (O&M). Diese End-to-End-Begleitung schafft Kontinuität, klare Verantwortlichkeiten und Planbarkeit über den gesamten Lebenszyklus einer Anlage hinweg.