Pressegespräch der Chemieverbände

Chemieindustrie in Hessen durch Corona „gebeutelt“

Die hessische Chemie- und Pharmaindustrie rechnet aufgrund der Corona-Krise mit einem insgesamt schlechten Geschäftsjahr. Die Pandemie sei einer der bisher größten Bewährungsproben, hieß es auf dem Pressegespräch der Chemie.

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Pressegespräch der Chemieverbände Hessen in Frankfurt
Das Pressegespräch der Chemieverbände Hessen fand in Frankfurt sowie online statt.

Dabei ist der Verlauf in der klassischen Chemie schwächer als in der pharmazeutischen Industrie, die im Hinblick auf die Impfstoffentwicklung derzeit eine „Front-Runner-Position“ einnimmt. „Die seit Ende 2018 eingetretene rezessive Entwicklung wurde durch die Folgen der Corona-Pandemie noch einmal deutlich verschärft“, betonte der Vorstandsvorsitzende des Arbeitgeberverbandes Hessenchemie, Oliver Coenenberg (Sanofi-Aventis).

Pharma als Stabilitätsanker

So lag der Gesamtumsatz der chemisch-pharmazeutischen Industrie in Hessen im bisherigen Jahresverlauf mit 17,9 Mrd. Euro um 2,7 % unter dem Vorjahresniveau. Die Produktion verzeichnete einen Rückgang von 2,0 %. Die Beschäftigung blieb hingegen noch stabil. Insbesondere die klassische Chemie als Vorleistungsgüterindustrie ist von den Auswirkungen der Krise stark betroffen. Die Umsätze gingen bis August um 8,8 % zurück, die Produktion sank um 4,7 %. Im Vergleich dazu beweist sich der Pharmasektor mit einem Gesamtumsatz von 8,1 Mrd. Euro als Stabilitätsanker (+ 5,9 %). Die Produktion stieg um 1,6 %.

Daten Weltall
Klimavorreiter oder weltweite Nebenrolle? Die folgenden vier Szenarien sind sehr unterschiedlich.
Grüne Energie
Szenario 1, Speerspitze in eine grüne Zukunft: Im ersten Szenario übernimmt die Chemieindustrie eine tragende Rolle in einer nachhaltigen, kollaborativen Welt. Die Märkte sind offen und die Kunden verlangen immer mehr Produkte, die dem Umweltgedanken gerecht werden. Deshalb wird auch die Chemieindustrie Teil eines großen, orchestrierten und branchenübergreifenden Verbunds. Die europäischen Player schaffen es, Wertschöpfung in einer Kreislaufwirtschaft zu erzielen, und investieren massiv in Innovationen. Zudem entsteht sukzessive ein Netzwerk von Partnerschaften aller Branchenplayer entlang der Wertschöpfungskette. Auch werden Start-ups gegründet, die vermehrt auf digitale Potenziale setzen. Allerdings agieren die Unternehmen unter vergleichsweise strengen Umweltauflagen – die sich aber weltweit angleichen.
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Szenario 2, Anpassung an repressive Rahmenbedingungen: Im zweiten Szenario steht die europäische Chemiebranche kollektiv unter Regulierungsdruck und öffentlicher Beobachtung – anders als in China und den USA. Die Unternehmen müssen sich verändern und Kosten sparen. Die Produktion regionalisiert sich, größere Investitionen rentieren sich kaum. Intelligente neue Ansätze sorgen dennoch für ein Überleben der Firmen. Da es kaum noch Produktinnovationen gibt, spielen die einzelnen Unternehmen international keine große Rolle mehr. Es besteht die Gefahr einer ungewollten und radikalen Konsolidierung, die durch eine entsprechende EU-Stelle kaum aufgehalten werden kann.
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Szenario 3, Flucht in den Protektionismus: Die dritte mögliche Entwicklung führt zu einem Szenario mit starkem Euro-Protektionismus, wenig Innovationskraft und einem gesellschaftlichen Rückschritt hinsichtlich Nachhaltigkeit. Die realisierbaren Margen sind inzwischen teilweise auch von der Politik abhängig. Die Bedeutung des Exports und die Wettbewerbsfähigkeit schrumpfen und es kommt ebenfalls zu einer Konsolidierung. Die verbleibenden Akteure können jedoch – zumindest für eine gewisse Zeit – ein recht geruhsames Leben führen und die Branche auf niedrigem Niveau „verwalten“.
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Szenario 4, Wertschöpfung in der Kreislaufwirtschaft: Im vierten und letzten Szenario gelingt die profitable Wertschöpfung in der Kreislaufwirtschaft. Die Öffentlichkeit ist in Umweltfragen hoch sensibilisiert, was zu gezielten Innovationen und Kollaborationen in der Branche führt. Es herrschen ein Klima des Verbrauchervertrauens und die Bereitschaft, auch höhere Preise zu bezahlen. Jedoch bleiben Strukturen und Assets der Unternehmen weitgehend unverändert, was eine allgemeine Innovationswelle eher ausbremst als befeuert. Insgesamt sind Umwelt und Industrie eine enge Verbindung eingegangen, die Unternehmen zunehmend dazu bringt, ihre Profitabilität im Rahmen einer umfassenden Kreislaufwirtschaft zu sichern und managen.

Keine schnelle Erholung erwartet

Laut einer Verbandsumfrage von Hessenchemie bewerten 65 % der Unternehmen ihre derzeitige Wirtschaftslage schlechter als im Vorjahr. 58 % erwarten für 2020 einen Rückgang ihrer Produktion, 52 % sinkende Erträge. Auch wenn die Erwartungen für 2021 wieder etwas positiver ausfallen, wird eine Rückkehr auf das Vorkrisenniveau nicht vor 2022 erwartet.

„Die Pandemie ist eine der größten Bewährungsproben, die wir bisher erlebt haben“, betonte der Vorstandsvorsitzende des VCI Hessen Jochen Reutter (GSK Vaccines). Bei deren Bekämpfung nehmen insbesondere die hessischen Pharmaunternehmen mit der Impfstoffentwicklung und Produktion eine „Front-Runner-Position“ ein. Die Politik müsse hier dem dringlichen Impfstoff-Bedarf gerecht werden und Lösungen für die schnelle Genehmigung der Impfstoff-Produktion auch in neuen Anlagen schaffen.

Zukunftsthemen weiterhin angehen

Die Chemieverbände Hessen fordern von der Politik die relevanten Zukunftsthemen nicht aus den Augen zu verlieren. Der Klimaschutz sei für sie ein essenzielles Thema, so Reutter. „Europa mit dem Green Deal bis 2050 klimaneutral aufzustellen kann gelingen, allerdings nur mit einer Stabilisierung der Strompreise und ausreichenden Kapazitäten bei der nachhaltigen Energieproduktion.“ Ferner sei der Emissionshandel das geeignete Instrument, um den CO2-Ausstoß zu begrenzen.

Die von den Chemieverbänden seit langer Zeit geforderte Unternehmenssteuerreform müsse jetzt kommen und die bestehende Belastung von 31 % auf 25 % absenken. Nur so kann der Standort im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig bleiben, glauben die Verbände.

Rechtsanspruch auf Homeoffice „überflüssig“

Kritik gibt es auch an der Diskussion um die Einführung eines Rechtsanspruchs auf Homeoffe. Mobiles Arbeiten habe sich zwar in der Pandemie als relevantes und funktionierendes Instrument erwiesen, „ein gesetzlicher Anspruch auf Homeoffice geht aber komplett an der betrieblichen Praxis vorbei und wir lehnen dies daher entschieden ab“, so Hessenchemie-Präsident Coenenberg. Anstatt über eine bürokratische Regelung nachzudenken, müsse man vielmehr das Arbeitszeitgesetz modernisieren und flexibler gestalten.

Darüber hinaus sollten die Sozialabgaben auch über 2021 hinaus auf maximal 40 Prozent begrenzt werden, „denn steigende Lohnzusatzkosten verteuern die Arbeit und gefährden die Wettbewerbsfähigkeit“, so Coenenberg abschließend.