„Der größte Fehler ist, gar nichts zu tun“

Interview mit Alexa Staack, BFE Institut für Energie und Umwelt

Energieeffizienz spart Geld, aber Nachhaltigkeit ist teuer. Alexa Staack, Teamleiterin Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsmanagement vom Beratungsunternehmen BFE Institut für Energie und Umwelt, erklärt aktuelle Herausforderungen für die Industrie.

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Zur Person

Alexa Staack, Teamleiterin Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsmanagement bei BFE Institut für Energie und Umwelt, sammelte nach ihrem Masterabschluss im Chemieingenieurwesen sieben Jahre lang in verschiedenen Positionen Erfahrung in der Pharmaindustrie im Bereich Energieversorgung. Begleitend folgte der Masterabschluss in Unternehmensführung. Sie hat sich jahrelang mit Emissionen aus den Bereichen TEHG und BImSchG beschäftigt. Um noch mehr für den Klimaschutz zu tun, ging sie den bewussten Schritt in die Beratung und bringt ihr Wissen jetzt als Teamleiterin Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsmanagement bei BFE ein.

Alexa Staack, BFE Institut für Energie und Umwelt
„Wenn die Anlage ineffizient ist, bleibt sie das auch mit Digital Twin und KI. Und hinzu kommt, dass Digitalisierung selbst viel Energie frisst.“Alexa Staack, BFE Institut für Energie und Umwelt

CHEMIE TECHNIK: Wie stark sind Bewusstsein und Bereitschaft zur Nachhaltigkeit mittlerweile in den Unternehmen oder auch in der Gesellschaft verankert?
Alexa Staack: Wir merken es wohl alle in den Medien: Das Thema Klimaschutz – oder allgemein Nachhaltigkeit – ist aktuell sehr, sehr schwierig. Andere Themen stehen medial mehr im Fokus. Ich finde, es ist ein großes Problem, dass man die Augen davor verschließt. Früher war es eine originäre Aufgabe von Unternehmern, Risiken und Chancen zu antizipieren. Wenn ich Schneider bin und blaue Pullover mache, dann sollte ich merken, wenn der Markt plötzlich rote Pullover will – sonst bleibe ich auf meinen blauen sitzen. Dasselbe gilt für Energie- und Klimathemen. Aus meiner Wahrnehmung wollen oder können viele diese Chancen und Risiken, die sich aus der Klimaveränderung ergeben, nicht wahrnehmen. Und das ist ein Riesenproblem. Das, was auf uns zurollt, hat branchenübergreifend eine große Marktveränderungskraft.

CT: Gibt es Unterschiede zwischen verschiedenen Branchen? Unterschiedliche Unternehmenskultur oder technische Gründe?
Staack: Es ist eine Mischung aus vielen Faktoren. Grundsätzlich ist es so: Je kleiner das Unternehmen, desto weniger Ressourcen, weniger Erfahrung, weniger Know-how und auch weniger Geld, um Dinge anzugehen – im Verhältnis zu großen Unternehmen. Aber wenn man das branchenweise betrachtet: Es gibt einfach Branchen, die leben mit kürzeren Rüstzeiten oder größerem Druck, etwas tun zu müssen. Zum Beispiel haben wir Kunden aus der Lebensmittelherstellung, die Zulieferer für große Supermarktketten sind. Die bekommen Druck wie: „Schön, dass Sie unser Lieferant sind, aber bitte legen Sie eine CO₂-Bilanz vor, sonst ...“

In anderen Branchen, wie der Pharmaindustrie, wird wenig angegangen. Ich führe das darauf zurück, dass viele Menschen bei Medikamenten eher an ihre Gesundheit denken als an Klimaschutz. Das heißt: Je nach Branche ist der Druck unterschiedlich hoch, auf den Klimaschutz zu achten – je nachdem, wie nah das Produkt am Menschen ist oder wie sichtbar die Umweltauswirkungen sind.

CT: Was sind aus Ihrer Sicht die treibenden Kräfte in den Unternehmen oder Branchen, um Maßnahmen zur Energieeffizienz zu ergreifen?
Staack: Im Kern geht es ja immer um dasselbe: Ich habe ein Unternehmen, sehe Chancen und Risiken – und versuche, diese zu antizipieren. Anfangs war es eher ein Hype: „Alle machen was mit Nachhaltigkeit – also muss ich auch.“ Dann wurde das Thema eine Weile ignoriert. Wenn die anderen nichts tun, muss ich auch nichts tun. Jetzt reift bei manchen das Verständnis, dass Energieeffizienz langfristig eine echte wirtschaftliche Chance ist – oder ein Risiko, wenn man sie ignoriert.

Denn klar ist: Die Energiepreise werden wohl kaum auf das Niveau von vor zehn oder 15 Jahren zurückkehren. Und wenn ich das erkenne, dann handle ich aus unternehmerischem Interesse. Wer weniger Energie verbraucht, zahlt weniger – das ist logisch. Ich hoffe, dass mehr Unternehmen erkennen, dass sich Investitionen in Nachhaltigkeit lohnen und man das Thema nicht nur aus Imagegründen angeht.

CT: Welche typischen Fehler sehen Sie bei der Umsetzung von Energieeffizienzmaßnahmen?
Staack: Der größte Fehler ist, gar nichts zu tun. Natürlich kann man auch Fehler bei der Umsetzung machen – zum Beispiel eine Wärmepumpe installieren, obwohl man es einfacher am Prozessanfang hätte lösen können. Aber viel schlimmer ist diese Verunsicherung: „Soll ich was tun? Was ist das Richtige?“ Wir diskutieren in Deutschland seit Jahren über Technologieoffenheit – und keiner traut sich, etwas zu machen. Es sind noch nicht alle Technologien perfekt marktreif. Aber man kann heute mit ausreichend Kenntnis eine gute Entscheidung treffen.

Ein zweiter häufiger Fehler ist mangelnde Dokumentation: Unternehmen haben Ideen, verfolgen sie nicht weiter, und fangen später, wenn sich die Rahmenbedingungen geändert haben, wieder bei null an.

CT: Gerade in der Chemie- und Pharmaindustrie sind viele Anlagen auf lange Lebensdauer ausgelegt. Stillstände sind ungern gesehen. Wie bewerten Sie das Nachrüstungspotenzial in Bestandsanlagen im Vergleich zur Optimierung bei Neuanlagen?
Staack: Neuanlagen zu optimieren sollte eigentlich Konsens sein. Aber die Realität zeigt: Der klassische Budgetgedanke dominiert noch immer. Da heißt es: „Ja, auf zehn Jahre gerechnet wäre es günstiger, aber kurzfristig ist es eben teuer.“ Ich hoffe, dass sich das ändert, zumal der Markt auch Veränderungen erzwingt.

Bei Bestandsanlagen ist es deutlich schwieriger. Stillstände sind ungern gesehen – besonders bei kontinuierlichen Verfahren. Da müsste man lange Stillstandszeiten einplanen, was schwer umzusetzen ist. Aber genau in diesen Bestandsanlagen steckt noch viel Potenzial – nicht nur bei den Maschinen selbst, sondern auch bei den Gebäuden, in denen sie stehen. Die Gebäudetechnik wird oft vergessen.

CT: Wie groß ist dabei der Einfluss von intelligenten Steuerungen oder KI im Vergleich zu physischen Maßnahmen?
Staack: Beides wird notwendig sein. Aber ich beobachte, dass Digitalisierung oft als Feigenblatt genutzt wird: „Wir machen etwas Digitales, dann sieht es modern aus.“ Aber wenn die Anlage ineffizient ist, bleibt sie das auch mit Digital Twin und KI. Und dann kommt noch hinzu, dass die Digitalisierung selbst viel Energie frisst. Rechenzentren sind echte Stromfresser – es gibt Studien, die zeigen, dass sie bald mehr Energie verbrauchen werden als ganze Länder heute.

CT: Gibt es positive Beispiele, wo Projekte besonders gut funktioniert haben?
Staack: Ja, wir hatten schon mehrere solcher Projekte. Ein Beispiel: Ein Unternehmen im Gesundheitswesen hat ein Konzept zur Emissionsreduzierung erarbeitet. Im Zuge dessen stellte sich heraus, dass auf einem Nachbargrundstück ein Windpark geplant ist. Das Unternehmen hat dann mit dem Betreiber ein PPA abgeschlossen – also Grünstromlieferung direkt vom Nachbarn.

Ein anderes Beispiel: Ein energieintensives Chemie- und Kunststoffunternehmen plant, mithilfe von PPA-Verträgen und eigenen Windanlagen sogar einen Elektrolyseur zu betreiben – für Eigenstrom und Wärmegewinnung. Das sind keine LED-Projekte mehr, sondern komplexe und große Maßnahmen.

Weitere Leuchtturmprojekte betreffen die Verbrennung und Verwertung von Kakaoschalen oder Haferschalen in Biomassekesseln. Diese nicht standardisierten Brennstoffe machen dies komplex, aber sie zeigen, was technisch möglich ist.

CT: Welche Rolle spielen Förderprogramme dabei?
Staack: Förderprogramme sind essenziell, um Technologien zu ermöglichen, die wirtschaftlich noch nicht tragfähig sind. Denken Sie zurück: Auch Erdgasheizungen oder Holzpelletanlagen wurden früher gefördert. Heute werden Wärmepumpen gefördert. Innovationen brauchen Starthilfe – sonst würden viele Projekte nicht realisiert. Deshalb hoffe ich, dass die Fördertöpfe nicht gekürzt werden.

CT: Was steht der weiteren Verbreitung solcher Maßnahmen noch im Weg?
Staack: Ein zentrales Problem ist politische Unsicherheit. Gesetze werden angekündigt, zurückgenommen, überarbeitet. Das erzeugt Unsicherheit – und wenn Unternehmen unsicher sind, treffen sie keine Entscheidungen. Viele hoffen, Entscheidungen aufschieben zu können, bis klar ist, wo die Reise hingeht. Aber das funktioniert nicht immer – irgendwann fällt eine Heizung aus, und dann muss es schnell gehen.

Gleichzeitig sollten sich Unternehmen nicht zu sehr auf politische Vorgaben verlassen. Auch von außerhalb der Politik gibt es klare Signale – etwa vom Allianz-Versicherungsvorstand, der erklärte, dass Klimarisiken bald nicht mehr versicherbar sind. Das wäre für Unternehmen ein massives wirtschaftliches Risiko. Der Handlungsbedarf ist also auch jenseits politischer Rahmen eindeutig.

CT: Welche technologischen Ansätze halten Sie für besonders vielversprechend? Gibt es Dinge, die herausstechen?
Staack: Technologieoffenheit, aber bitte zukunftsgerichtet und nicht rückwärtsgewandt, und orientiert an Fakten: Zum Beispiel ist ein batterieelektrisches Auto im Vergleich zu Wasserstoff oder E-Fuels viel effizienter. Warum also auf Technologien setzen, die schon rein physikalisch ineffizienter sind?

Bei Fusionsreaktoren zeigt die Wissenschaft klar: Es wird Jahrzehnte dauern, bis sie nutzbar sind – wenn überhaupt. Die vollständige Elektrifizierung unserer Energieversorgung, inklusive Wärme, erscheint da deutlich sinnvoller. Wenn morgen jemand doch den funktionierenden Fusionsreaktor erfindet – wunderbar. Aber Stand heute müssen wir mit den Technologien arbeiten, die marktnah verfügbar sind. Und das sind nun mal die strombasierten.

CT: Welche Fähigkeiten und Kompetenzen brauchen Unternehmen oder Berater künftig – und wie können gerade kleinere und mittlere Unternehmen unterstützt werden?
Staack: Das Wichtigste ist aus meiner Sicht: Lernbereitschaft. Niemand kann alles wissen, das ist klar. Aber wir müssen bereit sein, uns mit Neuem zu beschäftigen – auch wenn es erst mal ungewohnt oder unbequem ist. Diese Angst vor Veränderung lähmt viele.

Das gilt für beide Seiten: Wenn ich als Unternehmer keine Ahnung habe, kann ich mir von einem schlechten Berater auch alles erzählen lassen. Gleichzeitig brauchen auch Berater und Handwerker die Fähigkeit, sich schnell neues Wissen anzueignen – zumindest so weit, dass sie fundiert einschätzen können, ob eine Technologie für ihren Kunden sinnvoll ist.

Wir sehen das zum Beispiel im Heizungsbau: Viele Installateure haben mit Wärmepumpen wenig Erfahrung – also empfehlen sie weiterhin das, was sie kennen. Das ist verständlich, aber nicht zukunftsfähig. Es braucht Recherchekompetenz, nicht nur Medienkompetenz. Also die Fähigkeit, valide Quellen zu erkennen und zwischen Meinung und Wissen zu unterscheiden.

Und was mir persönlich am Herzen liegt: Früher war es selbstverständlich, in Generationen zu denken – man wollte seinen Betrieb den eigenen Kindern weitergeben. Und eigentlich ist das nichts anderes als Nachhaltigkeit: Denken in Generationen, enkelfähiges Wirtschaften. Und das würde ich mir wieder mehr wünschen – gerade in großen Unternehmen.