Die Abscheidung und Speicherung oder Nutzung (Carbon Capture and Storage, CCS, bzw. Utilization, CCU) von Kohlenstoff, in der Regel in Form von CO2, ist eine viel diskutierte Technologie, um CO2-Emissionen schnell zu senken. Da noch unklar ist, wo und wie lange das abgeschiedene CO2 gelagert oder auf welche Weise es wirtschaftlich zu nutzen ist, ist die Technik umstritten. Länder wie Norwegen praktizieren bereits CCS, indem verflüssigtes CO2 in ehemalige Erdgas-Felder eingepresst wird. In Deutschland ist CCS per Gesetz seit 2012 in Deutschland nur zu Forschungszwecken erlaubt.
Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck hatte im Februar Eckpunkte für eine Carbon-Management-Strategie (CMS) vorgelegt, der die Anwendung von CCS/CCU, den Transport und die Offshore-Speicherung in Deutschland ermöglichen soll. Einen darauf basierenden Gesetzentwurf zur Änderung des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes hat das Bundeskabinett nun beschlossen. Demnach sollen die Anwendung von CCS und CCU sowie der Transport und die Offshore-Speicherung von CO₂ ermöglicht werden.
„Wichtiger Baustein für die Wettbewerbsfähigkeit“
„Mit dem ersten Teil des Industriepakets hat das Bundeskabinett heute eine Richtungsentscheidung getroffen“, so Habeck. „CCS und CCU sollen in Deutschland ermöglicht werden, sonst sind die Klimaschutzziele nicht zu erreichen. Zugleich ist der heutige Kabinettbeschluss ein wichtiger Baustein für die Wettbewerbsfähigkeit unseres Industriestandorts. Wir haben seit der Vorstellung unseres Vorschlags Ende Februar 2024 die Entwurfstexte mit den anderen Ressorts weiterentwickelt und Hinweise aus den Länder- und Verbändeanhörungen aufgegriffen und eingearbeitet.“ Meeresschutzgebiete werden von der CO₂-Speicherung ausgeschlossen. Der strategische Fokus für den Einsatz von CCS liegt auf schwer oder nicht vermeidbaren Emissionen.
Der Erarbeitung der Eckpunkte und des Gesetzentwurfs waren intensive Vorarbeiten vorangegangen, unter anderem ein umfangreicher Dialogprozess mit Umweltverbänden, der Wirtschaft und der Wissenschaft im Jahr 2023. Mit den vom Bundeskabinett beschlossenen Eckpunkten einer CMS stellt die Bundesregierung klare politische Eckpfeiler für den Umgang mit CCS und CCU auf. In einem nächsten Schritt wird nun die ausführliche Carbon Management-Strategie finalisiert. Mit dem Gesetzentwurf für eine Novelle des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes (KSpG) will die Bundesregierung vor allem einen klaren Rechtsrahmen für den Aufbau einer CO₂-Pipelineinfrastruktur schaffen und die Offshore-Speicherung von CO₂ ermöglichen. Der Gesetzentwurf wird jetzt dem Bundestag und Bundesrat zugeleitet und dann im parlamentarischen Verfahren beraten.
Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) hatte bereits die Ankündigung im Februar begrüßt: „Wir müssen diese Technologien als Chance begreifen. CCS und CCU sind wichtige Puzzlestücke, um unsere Klimaschutzziele zu erreichen“, kommentierte VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. „Der Vorschlag des Bundeswirtschaftsministers trägt diesem Umstand endlich Rechnung. Andere Länder, auch in Europa, sind bereits wesentlich weiter. Wir müssen den Turbo bei den rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland nun endlich zünden, um nicht weiter in Rückstand zu geraten.“ Neben der Dekarbonisierung gehe es dabei auch darum, neue technologische Marktchancen zu erschließen.
"Technisch partout nicht zu vermeiden"
Die energieintensive Chemieindustrie leidet besonders unter hohen Energiepreisen. Dekarbonisieren und gleichzeitig wettbewerbsfähig bleiben ist daher eine besondere Herausforderung für die Branche. Kritisch bewertet der Verband einen empfundenen Fokus auf CCS, während der „Blick für CCU-Anwendungen im Eckpunktepapier“ noch „deutlich ausbaufähig“ sei. Den Einsatz fossiler Rohstoffe sieht der Verband als wichtige Alternative, die durch CCU aktzeptabel werde: „Jedes Gramm Kohlenstoff, das mittels CCU im Kreislauf gehalten werden kann, muss weder durch fossile Quellen neu gewonnen noch mittels CCS im Boden verpresst werden. Deshalb brauchen wir die schnelle und massive Förderung von Forschung und Entwicklung von CCU“, so Große Entrup. Ebenfalls kritisch beurteilt der VCI, den vorgesehen Plan, den Aufbau der CO₂-Netze privatwirtschaftlich zu organisieren. Aus Sicht der Industrievertreter müsse stattdessen staatliche Unterstützung erfolgen, um den Netzausbau nicht durch hohe Initialkosten zu behindern.
Auch die Chemieindustrie-Gewerkschaft IGBCE sieht die Entwicklung positiv: „Mit der Carbon-Management-Strategie räumt die Bundesregierung mit einem deutschen Irrweg auf“, kommentierte Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IGBCE sowie Präsident des Dachverbands der europäischen Industriegewerkschaften Industrial Europe. „Während halb Europa bereits CCS-Projekte plant oder betreibt, hat ausgerechnet die Politik des größten Industrielandes der EU die Technologie über Jahre verteufelt. Dabei ist schon lange klar, dass es eine Transformation der Industrie zur Klimaneutralität ohne CCS nicht geben kann. Eine politische Strategie für die Abscheidung und Speicherung derjenigen CO2-Emissionen, die technisch partout nicht zu vermeiden sind, ist zwingend notwendig, um unsere Wettbewerbsfähigkeit in der Transformation zu erhalten und Industriearbeitsplätze und -standorte zukunftsfest zu machen.“ Zudem sei es ein Signal an den Rest von Europa, „dass wir auch bereit sind, vor der eigenen Tür zu kehren und abgeschiedenes CO2 nicht nur an unsere Nachbarn exportieren wollen.“
„Freifahrtschein für CCS“ ist „Etikettenschwindel“
Umweltschutzverbände wie der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sind entschieden gegen CCS/CCU als Technologie, der BUND spricht angesichts der Eckpunkte von einem „Dammbruch im Wirtschaftsministerium“. BUND-Vorsitzender Olaf Bandt sagte: „Das Wirtschaftsministerium hat heute mit der Deregulierung kommerzieller CCS-Technik die Büchse der Pandora geöffnet: Mit den Planungen zu CCS an Gaskraftwerken setzt Bundesminister Robert Habeck den Ausstieg aus den fossilen Energien aufs Spiel. Auch CO2-Mülldeponien unter dem Meer sollen schon bald Realität werden. Tausende Kilometer CO2-Pipelinenetze sollen durch dicht besiedelte Regionen an die Nordsee führen, trotz der gefährlichen Risiken, die Abscheidung, Transport und die Verpressung der klimaschädlichen Abgase für die menschliche Gesundheit und marines Leben mit sich bringen.“ Die begrenzte Anwendung von CCS bezeichnete Bandt als „Etikettenschwindel“: Mit dem verkündeten „Freifahrtschein für CCS“ würden CO2-Leitungsnetze und Deponien zu Geschäftsmodellen für Gaskonzernze, die von höheren CO2-Emissionen profitieren würden. Der Umweltschutzverband fordert, Risiken von CCS auch der Bevölkerung bekannt zu machen, und die „drohende Kehrtwende in der Klimaschutzpolitik“ zu verhindern.
Die Eckpunkte der Carbon-Management-Strategie:
Die laut Bundesregierung wichtigsten Maßnahmen der beschlossenen Eckpunkte für eine Carbon-Management-Strategie sind:
- Die bisher vorhandenen Hürden zum Transport und zur Speicherung von Kohlendioxid werden beseitigt. Zugleich werden Leitplanken für die Nutzung festgelegt.
- Die Speicherung kann zukünftig auf hoher See außerhalb von Meeresschutzgebieten bei nachgewiesener Standorteignung stattfinden. An Land ist dies weiterhin nicht möglich. Allerdings können einzelne Bundesländer für ihr jeweiliges Gebiet eine Speicherung erlauben („Opt-in“).
- CCS/CCU muss im Einklang mit den Zielen zur Minderung der Treibhausemissionen stehen. Die Bundesregierung setzt weiter auf den beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien.
- Die Anwendung von CCS/CCU bei gasförmigen Energieträgern oder Biomasse ist im Sinne eines technologieoffenen Übergangs zu einem klimaneutralen Stromsystem möglich.
- Es bleibt beim Kohleausstieg: Für Emissionen aus der Energieerzeugung aus Kohle (Kraft- und Heizwerke) wird der Zugang zu CO2-Pipelines und CO2-Speichern ausgeschlossen.
- Für CCS/CCU-Anwendungen bei Kraftwerken, die mit fossilen Energieträgern betrieben werden, erfolgt keine Förderung. Auch wird die staatliche Förderung für CCS/CCU auf schwer oder nicht vermeidbare Emissionen fokussiert.