KI-generierte Darstellung einer Offshore-Anlage zur Kohlenstoffspeicherung

KI-generierte Darstellung einer Offshore-Anlage zur Kohlenstoffspeicherung (Bild: Dall-E3 / OpenAI)

Die Abscheidung- und Speicherung oder Nutzung (Carbon Capture and Storage, CCS, bzw. Utilization, CCU) von Kohlenstoff, in der Regel in Form von CO2, ist eine viel diskutierte Technologie, um CO2-Emissionen schnell zu senken. Da noch unklar ist, wo und wie lange das abgeschiedene CO2 gelagert oder auf welche Weise es wirtschaftlich zu nutzen ist, ist die Technik umstritten. Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck macht nun jedoch den Weg frei für den Einsatz von CCS/CCU in Deutschland.

Habeck hat Eckpunkte für eine Carbon Management-Strategie und einen darauf basierenden Gesetzentwurf zur Änderung des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes vorgelegt, der die Anwendung von CCS/CCU, den Transport und die Offshore-Speicherung in Deutschland ermöglichen soll. Meeresschutzgebiete werden ausgeschlossen. Der strategische Fokus für den Einsatz von CCS liegt dabei auf schwer oder nicht vermeidbaren Emissionen.

Die Eckpunkte und der Gesetzentwurf bezeichnet das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) als Richtungsentscheidung, der intensive Vorarbeiten vorangegangen sind. Dazu gehörte auch ein eingehender Dialogprozess mit Umweltverbänden, der Wirtschaft und der Wissenschaft im vergangenen Jahr zur Meinungsbildung sowie erste regierungsinterne Abstimmungen. Die Eckpunkte und den Gesetzentwurf hat das Ministerium in die Ressortabstimmung gegeben. Nach Abschluss der Ressortabstimmung folgen die Länder- und Verbändeanhörun, bevor sich das Kabinett damit befasst.

"Verzicht würde uns teuer zu stehen kommen"

„Wir treffen heute eine pragmatische und verantwortungsvolle Richtungsentscheidung: CCS und CCU sollen in Deutschland ermöglicht werden“, fasste Bundesminister Habeck zusammen. „Sonst sind die Klimaziele unmöglich zu erreichen.“ Die Technologie sei auch wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland: „Ein Verzicht darauf würde uns Wettbewerbsnachteile verschaffen und uns teuer zu stehen kommen.“ Mit der Offshore-Speicherung schließe Deutschland außerdem zu Nachbarn wie Norwegen auf, wo CCS/CCU bereits betrieben werden: „Wir stellen uns so der Verantwortung anstatt sie auf andere zu verlagern“, sagte Habeck.

Er betonte außerdem, dass „die CCS-Technologie nur eine notwendige Ergänzung in der Klimapolitik“ sei. Kern der Strategie sei weiterhin, „Emissionen erst gar nicht entstehen zu lassen“. Dies bedeute die Förderung erneuerbarer Energien, den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft und den Ausstieg aus fossilen Energieträgern. Für das ambitionierte Ziel, bis 2045 klimaneutral zu sein, sei Deutschland jedoch auch auf die Abscheidung unvermeidbarer Emissionen angwiesen, etwa aus den emissionsstarken Industriezweigen wie der Zementherstellung und der thermischen Abfallbehandlung.

Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) begrüßte die Ankündigung: „Wir müssen diese Technologien als Chance begreifen. CCS und CCU sind wichtige Puzzlestücke, um unsere Klimaschutzziele zu erreichen“, kommentierte VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. „Der Vorschlag des Bundeswirtschaftsministers trägt diesem Umstand endlich Rechnung. Andere Länder, auch in Europa, sind bereits wesentlich weiter. Wir müssen den Turbo bei den rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland nun endlich zünden, um nicht weiter in Rückstand zu geraten.“ Neben der Dekarbonisierung gehe es dabei auch darum, neue technologische Marktchancen zu erschließen.

"Technisch partout nicht zu vermeiden"

Die energieintensive Chemieindustrie leidet derzeit besonders unter hohen Energiepreisen. Dekarbonisieren und gleichzeitig wettbewerbsfähig bleiben ist daher eine besondere Herausforderung für die Branche. Den Einsatz fossiler Rohstoffe sieht der Verband darum als wichtige Alternative, die durch CCU aktzeptabel werde: „Jedes Gramm Kohlenstoff, das mittels CCU im Kreislauf gehalten werden kann, muss weder durch fossile Quellen neu gewonnen noch mittels CCS im Boden verpresst werden. Deshalb brauchen wir die schnelle und massive Förderung von Forschung und Entwicklung von CCU“, so Große Entrup.

Auch die Chemieindustrie-Gewerkschaft IGBCE sieht die Entscheidung positiv: „Mit der Carbon-Management-Strategie räumt die Bundesregierung mit einem deutschen Irrweg auf“, kommentierte Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IGBCE sowie Präsident des Dachverbands der europäischen Industriegewerkschaften Industriall Europe. „Während halb Europa bereits CCS-Projekte plant oder betreibt, hat ausgerechnet die Politik des größten Industrielandes der EU die Technologie über Jahre verteufelt. Dabei ist schon lange klar, dass es eine Transformation der Industrie zur Klimaneutralität ohne CCS nicht geben kann. Eine politische Strategie für die Abscheidung und Speicherung derjenigen CO2-Emissionen, die technisch partout nicht zu vermeiden sind, ist zwingend notwendig, um unsere Wettbewerbsfähigkeit in der Transformation zu erhalten und Industriearbeitsplätze und -standorte zukunftsfest zu machen.“ Zudem sei es ein Signal an den Rest von Europa, „dass wir auch bereit sind, vor der eigenen Tür zu kehren und abgeschiedenes CO2 nicht nur an unsere Nachbarn exportieren wollen.“

„Freifahrtschein für CCS“ ist „Etikettenschwindel“

Umweltschutzverbände wie der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sind entschieden gegen CCS/CCU als Technologie, der BUND spricht angesichts der Eckpunkte von einem „Dammbruch im Wirtschaftsministerium“. BUND-Vorsitzender Olaf Bandt sagte: „Das Wirtschaftsministerium hat heute mit der Deregulierung kommerzieller CCS-Technik die Büchse der Pandora geöffnet: Mit den Planungen zu CCS an Gaskraftwerken setzt Bundesminister Robert Habeck den Ausstieg aus den fossilen Energien aufs Spiel. Auch CO2-Mülldeponien unter dem Meer sollen schon bald Realität werden. Tausende Kilometer CO2-Pipelinenetze sollen durch dicht besiedelte Regionen an die Nordsee führen, trotz der gefährlichen Risiken, die Abscheidung, Transport und die Verpressung der klimaschädlichen Abgase für die menschliche Gesundheit und marines Leben mit sich bringen.“ Die begrenzte Anwendung von CCS bezeichnete Bandt als „Etikettenschwindel“: Mit dem verkündeten „Freifahrtschein für CCS“ würden CO2-Leitungsnetze und Deponien zu Geschäftsmodellen für Gaskonzernze, die von höheren CO2-Emissionen profitieren würden. Der Umweltschutzverband fordert, Risiken von CCS auch der Bevölkerung bekannt zu machen, und die „drohende Kehrtwende in der Klimaschutzpolitik“ zu verhindern.

Hintergrund: Das Vorhaben des BMWK

Der Weltklimarat IPCC hatte in seinem jüngsten Bericht klargestellt, dass neben anderen Minderungsmaßnahmen auch CCS/CCU in emissionsintensiven Sektoren mit schwer vermeidbaren Emissionen eine notwendige Klimaschutztechnologie ist, um 1,5 Grad Temperaturerhöhung nicht zu überschreiten. In Europa betreiben bzw. planen Dänemark, Norwegen, die Niederlande, Island, Italien, Frankreich, Kroatien, Polen, Rumänien und das Vereinigte Königreich daher bereits geologische Speicher. Die USA fördern mit dem Inflation Reduction Act die CCS/CCU-Technologien. Auch die Europäische Kommission treibt die europaweite Anwendung der Technologie u.a. über den Net Zero Industry Act voran. Am 6. Februar 2024 wurde zudem eine Mitteilung der Kommission mit einer Industrial Carbon Management Strategy veröffentlicht.

 

Die vorgelegten Eckpunkte zeigen wichtige Weichenstellungen auf, die dann in der Carbon Management-Strategie fachlich tiefer ausbuchstabiert und quantifiziert werden. Die vorliegenden Eckpunkte bilden zudem die Grundlage für Anpassungen des Rechtsrahmens zu CCS/CCU in Deutschland. Hierzu hat das BMWK einen Referentenentwurf für die Novelle des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes (KSpG) vorgelegt, die vor allem einen klaren Rechtsrahmen für den Aufbau einer CO₂-Pipelineinfrastruktur schaffen soll. Im Referentenentwurf wird zudem die Speicherung Offshore, d.h. in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) bzw. dem Festlandsockel, in engen Grenzen und unter Ausschluss einer Injektion von Kohlendioxid in Meeresschutzgebieten, erlaubt. Die Speicherung Onshore wird weiterhin nicht ermöglicht.

 

Die Eckpunkte zu CCS/CCU:

Die Eckpunkte für die Carbon Management-Strategie und der Gesetzentwurf zur Änderung des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes wurden auf der Grundlage des Ende 2022 veröffentlichten Evaluierungsberichts zum Kohlendioxid-Speicherungsgesetz erarbeitet. Bei dem breit angelegten Stakeholderdialog von März bis August 2023 waren Vertreterinnen und Vertretern aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft einbezogen. Dabei wurden alle relevanten Fragen zu Quellen, Transport, Nutzung und Speicherung von CO₂ in Deutschland diskutiert, bevor erste regierungsinterne Abstimmungen folgten. Kerninhalte der Eckpunkte der Carbon Management Strategie und des Referentenentwurfs zur Novelle des KSpG:

 

Da Emissionen in bestimmten Bereichen nur schwer oder anderweitig nicht vermeidbar sind, werden die momentan bestehenden Hürden für die Anwendung von CCS/CCU in Deutschland beseitigt. Das betrifft insbesondere Prozesse, die man weder in Gänze vermeiden, noch unmittelbar auf Strom aus erneuerbaren Energiequellen oder Wasserstoff umstellen kann.

 

Um klimaschädliche Emissionen in der Stromerzeugung zu vermeiden, setzt die Bundesregierung auf den beschleunigten Ausbau Erneuerbarer Energien sowie auf den in der Kraftwerksstrategie beschriebenen Kapazitätsmechanismus und im Vorgriff darauf den Neubau von Gaskraftwerken, die auf Wasserstoff umgestellt werden. Für Verstromungsanlagen mit gasförmigen Energieträgern oder Biomasse wird die Anwendung von CCS/CCU im Sinne eines technologieoffenen Übergangs zu einem klimaneutralen Stromsystem ebenfalls ermöglicht, aber jedenfalls bei fossilen Energieträgern nicht gefördert. Es bleibt beim Kohleausstieg; für Emissionen aus der Kohle-Verstromung wird der Zugang zu CO₂-Pipelines ausgeschlossen.

 

Die staatliche Förderung für CCS/CCU wird auf schwer oder nicht vermeidbare Emissionen fokussiert. Der Hochlauf von CCS/CCU muss im Einklang mit den Treibhausgasminderungszielen des deutschen Klimaschutzgesetzes (KSG) und dem Erreichen der Klimaneutralität 2045 stehen. Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, wird die Bundesregierung im Dialog mit den Unternehmen Lösungen suchen, wie Betriebsgenehmigungen für Energieinfrastruktur (Kraftwerke oder Gasleitungen) mit fossilen Brennstoffen rechtssicher so erteilt werden können, dass der Betrieb über das Jahr 2045 hinaus nur mit nicht-fossilen Brennstoffen fortgesetzt werden kann, ohne einen Investitionsstopp, Fehlinvestitionen und Entschädigungsansprüche auszulösen.

 

Um mit dem Bau von CO₂-Pipelines in privater Trägerschaft innerhalb eines staatlichen Regulierungsrahmens beginnen zu können, wird das KSpG entsprechend den Vorschlägen der Bundesregierung im Evaluationsbericht von Ende 2022 aktualisiert. Rechtsunsicherheiten bei der Anwendung des Gesetzes werden behoben. Konkret wird im Referentenentwurf ein einheitliches Zulassungsregime für Kohlendioxidleitungen geschaffen.

 

Die Bundesregierung ratifiziert die Änderung des London-Protokolls zur Ermöglichung des CO₂-Exports zwecks Offshore-Speicherung und nimmt die hierfür notwendigen Änderungen am Hohe-See-Einbringungsgesetz vor. Die Erkundung von Offshore-Speicherstätten in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) bzw. dem Festlandsockel wird gesetzlich ermöglicht. Bei nachgewiesener Standorteignung, unter Berücksichtigung von Sicherheitsstandards und ökologischen Kriterien sowie bei Ausschluss einer Übernutzung des Meeres können entsprechende Speicher für die industrielle Nutzung erschlossen werden. Eine Injektion von Kohlendioxid in Meeresschutzgebieten ist ausgeschlossen. Dagegen wird die dauerhafte Speicherung von CO₂ im geologischen Untergrund auf dem Gebiet des deutschen Festlands (onshore) weiterhin nicht ermöglicht.

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