Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), begrüßt den Schritt: „Endlich! In wirtschaftlich als auch politisch schwierigen Zeiten wartet die europäische Industrie auf positive Signale. Die heutige Einigung ist ein wichtiger Schritt – für mehr Wachstum und für eine starke Stellung der EU als souveräner globaler Akteur.“
In einigen EU-Mitgliedstaaten, insbesondere Frankreich und Italien, gibt es noch Widerstände gegen das Abkommen. Ob die nötige Ratifizierung gelingt, ist deshalb nicht sicher. Große Entrup appelliert: „Das Abkommen schafft nicht nur mehr Wachstum, es kann Europa auch wirtschaftlich sicherer aufstellen. Zudem lassen sich damit neue Märkte erschließen. Wir können unsere Abhängigkeit von einzelnen internationalen Partnern mindern und die nötige Diversifizierung vorantreiben.“
Der VCI-Hauptgeschäftsführer betont: „Europa darf sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. China und andere Staaten gewinnen derzeit auf Südamerikas Märkten mächtig an Boden. Scheitert das Vorhaben, wird das in vielen anderen Hauptstädten der Welt sicherlich genau beobachtet werden – so in Washington oder auch in Peking.“
Mercosur-Abkommen verbessert den Marktzugang
Auch der europäische Chemieindustrieverband Cefic begrüßte den Abschluss des Abkommens. Der Verband spricht von einem bedeutenden Meilenstein, „um freie, faire, nachhaltige und widerstandsfähige Handelsbeziehungen“ zwischen den Partnerländern zu fördern. „Das EU-Mercosur-Abkommen eröffnet enorme Chancen für beide Regionen. Aus Sicht der EU ist es eine entscheidende Möglichkeit für Unternehmen, sich durch den Zugang zu einem der größten Märkte der Welt einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Dieses Abkommen verbessert den Marktzugang, ermöglicht es europäischen Unternehmen, auf globaler Ebene wettbewerbsfähiger zu agieren, fördert das Wirtschaftswachstum und stärkt die industrielle Basis der EU. Dies steht vollständig im Einklang mit dem Geist der Antwerpener Erklärung“, sagte Sylvie Lemoine, stellvertretende Generaldirektorin von Cefic.
Der Industrieverband erhofft sich vom EU-Mercosur-Abkommen eine gestärkte wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit sowie neue Arbeitsplätze und erleichterten Marktzugang durch Abbau von Zöllen. Das Abkommen soll wird Lieferketten diversifizieren, Investitionen fördern sowie die Zusammenarbeit in Bereichen wie Nachhaltigkeit und Klimaschutz vertiefen. „Wir fordern nun alle EU-Entscheidungsträger auf, das Abkommen rasch zu ratifizieren und in Kraft zu setzen“, bekräftigt Lemoine.
Kritik an dem Abkommen kommt anderem vom Deutschen Bauernverband, der das Handelsabkommen als „völlig inakzeptablen Kuhhandel“ bezeichnet: „Wegen der Exportinteressen einzelner Industriezweige wird alles, was wir hier in Europa an Umwelt-, Klimaschutz-, Tierwohl- und Prozessstandards haben und einhalten, unterminiert“, kritisiert beispielsweise Carl von Butler, Generalsekretär des Bayerischen Bauernverbands. Die Landwirte befürchten, dass sie trotz der vereinbarten Exportquoten im Wettbewerb mit der starken Landwirtschaft in den Mercosur-Staaten ins Hintertreffen geraten.
Die ARD-Korrespondentin in Brasilien, Anne Herrberg, greift dieses Thema in einem Kommentar zum EU-Mercosur-Abkommen auf und fasst es zusammen als „Autos werden gegen Kühe gehandelt.“ Profiteure des Abkommens seien demnach vor allem Branchen, die „die ohnehin schon stark und wettbewerbsfähig sind“. Zwar kann man sich noch darüber streigen, inwiefern oder wie lange das noch für die Autoindustrie gilt. Gerechtfertigt sind aber Bedenken, dass ein weltweit wachsender Markt für Argentinisches Rindfleisch auch die ohnehin schrumpfenden Regenwälder in Südamerika bedrohen könnte, wenn dafür weitere Weideflächen freigerodet werden. Zusammenfassend betont Herrberg jedoch die generelle Bedeutung von Handelsabkommen in der aktuellen geopolitischen Lage: Um neben oder auch zwischen den USA und China wirtschaftlich bestehen zu können, müssen Europa und Südamerika zusammenarbeiten.
Fakten zum Mercosur-Abkommen
- Mit weit über 200 Milliarden Euro ist der Mercosur (Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay) ein wichtiger Markt für chemisch-pharmazeutische Produkte. Die Liberalisierung des Handels könnte der Industrialisierung der Region und der Transformation der Industrie in Richtung Nachhaltigkeit wichtige Impulse geben.
- Bei Exporten von knapp 5 Milliarden Euro gibt es für die deutsche chemisch-pharmazeutische Industrie im Mercosur-Raum noch Wachstumschancen, gerade auch im Wettbewerb mit chinesischen oder US-amerikanischen Anbietern.
- Die durchschnittlichen Zölle auf chemische Produkte liegen in Argentinien und Brasilien bei 7,7 und 5,3 Prozent. Diese Zölle zwischen den beiden Partnern würden durch das EU-Mercosur-Abkommen abgeschafft. Bislang besteht für die Mercosur-Staaten zudem die Möglichkeit, Zollsätze auf im Schnitt bis zu 20 Prozent zu erhöhen.
Quelle: VCI