- Der Anlagenbau als Branche muss seine Stärken mehr nach außen kommunizieren.
- Unternehmen sollten im Rahmen der Vernunft auf individuelle Bedürfnisse von Mitarbeitenden eingehen.
- Im Unternehmen aufzusteigen, muss nicht heißen, Personalverantwortung zu übernehmen.
Schaut man in die Zeitung oder konsumiert anderweitig Nachrichten, sei es über Webseiten, den Fernseher, Instagram oder Youtube könnte man sich wundern, dass bei all den Rufen nach Arbeitskräften wirtschaftlich überhaupt noch etwas in unserem schönen Land läuft. Genau genommen hakt es natürlich schon an der ein oder anderen Stelle, aber ob das an den Fachkräften oder an fragwürdigen Entscheidungen Einzelner liegt, könnte Seiten füllen und soll nicht Gegenstand dieses Textes sein.
Wie kommt es also, dass eine vielfältige Branche wie der Anlagenbau, der zwar großer CO2-Emittent ist, jedoch gleichzeitig zur Energiewende und Dekarbonisierung der Industrie beiträgt, nicht als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen wird? Schließlich wird den jüngeren Generationen doch ein starkes Umweltbewusstsein nachgesagt. „Hier gilt: Tu Gutes und rede darüber. Im Gegensatz zur Kleidungsindustrie, die viel über Zirkularität redet, tun wir zwar viel Gutes, reden aber nicht viel darüber“, fasst Hannes Storch, Geschäftsführer & Vice President Metals and Chemicals Processing bei Outotec, das Problem zusammen. „Wir haben beispielsweise Trainee-Programme, aber wir sind schlecht im Marketing“, gibt auch Martin Oetjen, Vorstand Supply Chain und Produktion bei MAN Energy Solutions, zu. Auch wenn er der Meinung ist: „Das 1,5- oder auch das 2-Grad-Ziel geht nur mit uns.“ Mit uns ist in dem Fall der Anlagenbau gemeint.
Gilt nun also Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? Eher nicht. Jörg Engelmann, CEO bei CAC Engineering, ergänzt noch einen weiteren Hemmschuh: „Neben Lieferketten ist auch der Wissenstransfer auf der Strecke geblieben.“ Soll heißen: Mitarbeitende gehen, bevor ihre Nachfolger im Unternehmen sind, und hinterlegen ihr Wissen nirgends, sodass es mit ihnen das Unternehmen verlässt. Dabei finden jüngere Mitarbeitende, wie Laura Geltinger, Global Process Owner Production & Plant Maintenance bei Krones, es sehr hilfreich, Wissen von langjährigen Kolleginnen oder Kollegen mitgegeben zu bekommen.
Nachwuchs schon in der Schule gewinnen
Es gibt also nicht nur eine, sondern mehrere Baustellen, die die Branche beheben muss, um als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden und Mitarbeitende zu halten. Wo also anfangen? In der Schule! Sind sich Alina Artkämper-Piotrowski, Senior Program Mangerin bei Thyssenkrupp Uhde, und Prof. Dr.-Ing. Matthias Oechsner, Vizepräsident für Forschung an der TU Darmstadt, einig. Artkämper-Piotrowski spricht aus ihrer eigenen Erfahrung, dass in der Schule der Fokus kaum auf den Naturwissenschaften lag.
Oechsner ergänzt seine Aussage mit einer Anekdote vom Girls Day, als eine Gruppe Mädchen an der TU Darmstadt zu Besuch war und eins von ihnen sagte: „Wir sollen uns anschauen, was die Jungs später machen.“ Das zeige laut Oechsner das größte brach liegende Potenzial für naturwissenschaftliche Studienfächer und damit langfristig für Ingenieurberufe im Anlagenbau: Frauen. Und denjenigen, die sich bereits in sogenannte MINT-Studienfächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) eingeschrieben haben, sollten Unternehmen sich präsentieren in dem sie sich an passenden Hochschulen vorstellen, um mögliche Berufsbilder und Arbeitgeber an die Studierenden heranzutragen.
Denn Oechsner ist der Meinung, dass „klassische“ Ingenieure nicht zu Google oder Apple gehen, sondern das Interesse an der Energiewirtschaft und Nachhaltigkeit steigt. Vor wenigen Jahren sei die Motivation von Erstsemester-Maschinenbau-Studierenden noch gewesen, Autos oder Flugzeuge zu bauen – mittlerweile zählten vermehrt Umweltaspekte. Das bestätigt auch Artkämper-Piotrowski: „Nachhaltigkeit ist für mich – auch privat – wichtig. Ich passe voll in die Generation Y, ich bin purpose-driven, davon lebt meine Begeisterung für den Job.“
Flexibilität als Schlüssel
Haben Unternehmen passende Mitarbeitende gewonnen, ist es noch nicht ganz getan, schließlich wollen diese Mitarbeitenden auch gehalten werden. Dafür ist es nötig, innerhalb eines vernünftigen Rahmens auf die Bedürfnisse jeder und jedes Einzelnen einzugehen. Sabrina Pfändner, Fachprojektleiterin Anlagenbau und Kraftwerkstechnik bei der mittelständischen Martin GmbH, findet, dass Mehrwert über flexible Modelle geschaffen werden kann. Für Artkämper-Piotrowski ist das Modell Teilzeit eine Realität, der Unternehmen sich stellen müssen, da es nicht mehr weggehen werde. Geltinger, die in ihrem Unternehmen für die Werksstudierenden zuständig ist, merkt in den Bewerbungsgesprächen bereits deren Anspruchshaltung. Und für sie persönlich ist als Pendlerin Homeoffice ein wichtiges Thema.
Dass jüngere Generationen vermeintlich mehr Ansprüche an ihre Arbeit stellen, als es frühere Generationen getan haben, muss nichts Schlechtes sein. Die der Generation Z nachgesagte Faulheit kann zumindest Oechsner nicht bestätigen, er sehe Generationen bezogen keinen Abfall in der Leistungsbereitschaft.
Doch nicht nur über Annehmlichkeiten schaffen Unternehmen es, Mitarbeitende zu gewinnen und zu halten. Wenn sich Menschen zugehörig fühlen und das Gefühl haben, etwas Sinnvolles zu tun, kommt bei ihnen nicht das Bedürfnis nach einem Arbeitsplatzwechsel auf. Für Dr. Stefan Liese, VP Human Resources bei Linde Engineering, ist das Stichwort Storytelling in diesem Zusammenhang entscheidend: „Mehr mit anschaulichen Bildern wie der Formel 1 arbeiten und weniger darüber sprechen wie viel Tonnen Kohlendioxid ausgestoßen werden, darunter kann sich niemand etwas vorstellen.“
Vielfalt als Leistungstreiber
Auf individuelle Bedürfnisse einzugehen, kann auch bedeuten, zu akzeptieren, dass nicht jede und jeder Personalverantwortung als Führungskraft übernehmen will – was ein Aufstieg im Unternehmen in der Regel mit sich bringt. Während die eine konstant dazu lernen will und es kaum erträgt, die gleiche Aufgabe zweimal zu erledigen, ist der andere zufrieden damit seit zehn Jahren haargenau zu wissen, was auf ihn zukommt, wenn er morgens ins Büro fährt.
Solveig Vitz, Head of Group Supply Chain bei Andritz, führt an, dass Unternehmen nur erfahren, was Mitarbeitende wollen, wenn Führungskräfte regelmäßig Feedbackgespräche führen und zusätzlich beispielsweise unternehmensweite Umfragen zur Zufriedenheit der Mitarbeitenden stattfinden. Ihrer Meinung nach, ermöglicht eine Investition in die Mitarbeitenden, dass diese ihre Talente voll entfalten können, wodurch sich auf Dauer die Gesamtleistung des Unternehmens verbessert.
Fazit: Ein gemeinsames Ziel
Die Herausforderungen beim Gewinnen und Binden von Nachwuchs im Anlagenbau sind komplex, aber lösbar – wenn auch nicht allein von der Branche selbst. Eingefahrene Strukturen, wie dass Mädchen in der Schule wenig für MINT-Fächer begeistert, schlimmer noch, wie die Anekdote zeigt, sogar entmutigt werden, ist kein Problem, das der Anlagenbau lösen kann. Das erfordert vielmehr ein gesamtgesellschaftliches Umdenken. Was die Branche allerdings tun kann, ist, ihre Stärken offener zu kommunizieren, etwa ihre Schlüsselrolle in der Energiewende. „Wenn du Klimakleber bist, dann solltest du im Anlagenbau arbeiten“, bringt Helmut Schuller, Inhaber von Schuller & Company, das Potenzial des Anlagenbaus humorvoll auf den Punkt.