Dr. Björn Mathes
Dr. Björn Mathes ist seit Februar 2019 stellvertretender Geschäftsführer der Dechema Ausstellungs-GmbH, dem Veranstalter der Achema. Mathes promovierte am Fachbereich Chemie der Philipps-Universität Marburg und hält einen Executive MBA der HHL Leipzig und der Eada Business School Barcelona. Mathes war im Anschluss an seine Promotion u. a. für das Projektmanagement von nationalen und internationalen Projekten im Bereich der Materialforschung, Prozesstechnik und Risikokommunikation bei der Dechema zuständig. Von Juli 2014 an entwickelte er das B2B-Veranstaltungsformat Praxisforum, ehe er 2017 die Verantwortung für den Bereich Veranstaltungen und Gremienbetreuung übernahm.
CT: Kaum ein Thema beschäftigt uns derzeit so sehr, wie der Russland-Ukraine-Konflikt und die Folgen für uns. Wie wird das die Achema treffen?
Mathes: Grundsätzlich ist es eine riesige Katastrophe, was durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine passiert ist – ein humanitäres Leid, das absolut unnötig ist. Deshalb spielen die geschäftlichen Auswirkungen nur eine Nebenrolle. Für uns als Messe hat der Krieg selbstverständlich auch Auswirkungen – obwohl wir kaum Aussteller aus Russland oder der Ukraine haben. Mit der Achema setzen wir dieses Jahr – vielleicht mehr denn je – ein Zeichen dafür, dass technologische Zusammenarbeit über Branchengrenzen, aber auch über Ländergrenzen hinweg sehr wichtig ist, um die bedeutenden Krisen unserer Zeit zu lösen. In Bezug auf die Kennzahlen des Großanlagenbaus bricht in der aktuellen Lage für viele Anlagenbauer und diejenigen, die Spezialapparate und Anlagen für Großanlagen liefern, ein gehöriger Teil des Geschäfts weg. Auf der anderen Seite sehen wir derzeit, dass sich Anbieter aus osteuropäischen Ländern seit dem russischen Angriff stärker gen Westen orientieren. Da ist eine Branchenplattform wie die Achema gerne gesehen, um Neukunden zu gewinnen oder auf sich und Innovationen aufmerksam zu machen.
CT: Ein anderer Aspekt ist das fachliche Programm, das sich ja auch an den Megatrends orientiert. Corona hat uns zur Digitalisierung gezwungen, der Russland-Konflikt zwingt uns nun, die Energietransformation zu beschleunigen. Wird sich das auch im Programm der Achema bemerkbar machen?
Mathes: Ich sehe nicht, dass sich das Programm drastisch verändern wird. Wir werden natürlich zu aktuellen Themen weitere Diskussionsrunden anbieten, aber die Megatrends sind nach wie vor Digitalisierung und Nachhaltigkeit – die von Anfang an auf der Agenda der Achema standen. Die Rohstoffbasis muss drastisch umgestellt werden – die Prämissen haben sich beispielsweise bei der Gasversorgung radikal verändert. Als Branchenplattform können wir in unseren Vortragsformaten und in den Diskussionen an den Ständen einen Nukleus schaffen, in dem die Branche gemeinsam an einer Lösung arbeitet.
CT: Das heißt, zur Diskussion über diesen abrupten Wandel ist der Zeitpunkt der Messe genau der richtige – allerdings ist der Termin zur Ferienzeit im August teilweise umstritten.
Mathes: Wir sind der Meinung, dass das genau der richtige Zeitpunkt ist, und haben diesen bewusst gewählt: Keiner von uns weiß genau, wie sich die Pandemie entwickelt. Viele Veranstalter überlegen, dauerhaft aus Frühjahrs- oder Herbstterminen auszusteigen, weil niemand weiß, wie sich die Situation weiterentwickelt. Die Erfahrung der vergangenen zwei Jahre zeigt, dass zwischen Juni und August mit den geringsten Reisebeschränkungen gerechnet werden muss. Gerade Besucher aus Nationen, die visapflichtig sind, brauchen zudem eine Vorlaufzeit von drei bis vier Monaten – die Verschiebung in den August hat hier für Planungssicherheit gesorgt. Außerdem liegt unser Termin auch noch vor den firmeninternen Budgetverhandlungen für 2023. So können unsere Aussteller noch auf die Budgetrunden im Herbst einwirken und dann auch zeitnah in Projekte und Geschäfte gehen. Ab 2024 werden wir allerdings wieder zu unserem angestammten Rhythmus im Juni zurückkehren.
CT: Mit welchen nachhaltigen Veränderungen durch die Pandemie rechnen Sie?
Mathes: Ich glaube, dass wir leider auch in Zukunft mit Corona und mit anderen Viren werden leben müssen. Die Messe- und Veranstaltungsbranche wird sich nachhaltig verändern – aber nicht unbedingt zum Schlechteren. Den Menschen ist bewusst geworden, wofür eine B2B- und Fachbesuchermesse steht und welche Vorteile sie hat. Messen sind elementar für die Bestandskundenpflege, aber auch für die Präsentation im Wettbewerb und die Gewinnung von Neukunden. Die kapitalintensiven und erklärungsbedürftigen Investitionsgüter, um die es auf der Achema geht, kann man nicht über eine Internetseite vertreiben. Wenn man in Technologien investiert, die 30 Jahre zuverlässig in einer Anlage ihren Dienst verrichten sollen, ist es wichtig, persönliche Beziehungen zu knüpfen und Vertrauen aufzubauen.
Es gab im letzten Jahrzehnt immer wieder Kritik am Format Messe allgemein. Zudem haben nicht alle Messen noch eine Daseinsberechtigung. Allgemein werden wir im Messebereich noch eine wesentlich stärkere Digitalisierung sehen. Das wird die Kommunikation und Kundeninteraktion verändern. Die Messe wird in Zukunft ein Ort sein in dem das multisensorische Erlebnis im Vordergrund steht, an dem man sich im Kontext der Wettbewerber positioniert, aber auch Inhalte kreiert, die dann über eigene Kanäle wie Social Media, Webseite oder Ähnliches verbreitet werden.
CT: Wie unterstützen Sie die Aussteller dabei?
Mathes: Wir haben letztes Jahr die Digitalveranstaltung Achema Pulse abgehalten und dabei gemeinsam mit den Ausstellern und Besuchern viel gelernt. Wir wollen künftig am Format der Pulse festhalten, es aber konzeptionell anders aufziehen. Wir werden diese viel enger mit der Achema verzahnen, uns bei der Pulse aber stärker auf die Vortragsinhalte konzentrieren. Hochkarätige Vorträge und Diskussionsrunden funktionieren im Virtuellen sehr gut, eine digitale Ausstellung dagegen weniger. Die Teilnehmer bewegen sich auf digitalen Veranstaltungen eher inkognito und suchen weniger das vertiefende Gespräch an den Ständen. Dafür steht dann die physische Messe. Eine reine Online-Veranstaltung, die im Kern eine Messe sein will, lohnt sich vom Aufwand her weder für uns als Veranstalter noch bringt sie den Ausstellern den gewünschten Mehrwert. Die Pulse wird deshalb vorgreifend auf eine Achema in unserem Drei-Jahres-Rhythmus die Zeiten füllen, in denen keine Achema vor Ort stattfindet.
CT: Wagen Sie einen Blick in die Glaskugel im Hinblick auf die Ausstellerzahlen oder Größe der Messestände?
Mathes: Wir haben durch die zweimalige Verschiebung aufgrund der Corona-Pandemie Verluste bei den Ausstellerzahlen und eine Verkleinerung der Ausstellungsfläche hinnehmen müssen. Was den Geländeplan angeht, haben wir ein weitgehend volles Messegelände, in einigen Hallen aber auch noch freie Flächen.
Wir erwarten derzeit mehr als 2.000 bis etwa 2.200 Aussteller. Damit sind wir kleiner als eine übliche Achema, bieten jedoch immer noch ein substanziell großes internationales Schaufenster der Prozessindustrie. Manche Aussteller haben aus Termingründen abgesagt, andere die Verschiebung zum Anlass genommen, ihre Messeauftritte dieses Jahr grundsätzlich neu zu evaluieren. Anfang November standen noch alle Messeplanungen der Aussteller auf Vollgas, mit Aufkommen der Omikron-Variante und der damit wieder steigenden Unsicherheiten haben viele damals wieder auf Stopp gedrückt. Wir haben aber auch sofort mit Bekanntgabe der Verschiebung Neuanmeldungen von Unternehmen erhalten, die andernfalls nicht gebucht hätten.
CT: Die mechanische Verfahrenstechnik wird nun in Halle 12 zu finden sein. Inwiefern dividieren sich Achema und Powtech in dem Bereich stärker auseinander?
Mathes: Als globaler Branchentreffpunkt wollen wir allen eine Heimat bieten. Die Anpassung, die wir durch den Wegfall der Halle 5 in 2022 vornehmen mussten, ist rein räumlicher Natur. Für uns gehören die mechanischen als auch die thermischen Verfahren weiterhin zum Kern der Ausstellungsgruppen, weil es Gruppen sind, die eminent wichtige Technologien zeigen, um chemisch-pharmazeutisch produzieren zu können.