
Die Einschätzung zur Situation unterscheidet sich zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften deutlich. (Bild: Andrii Yalanskyi – stock.adobe.com)
Die Runde in Hessen ist die bundesweit erste regionale Verhandlung im Rahmen der diesjährigen Chemie-Tarifrunde – und können als Fingerzeig für die folgenden regionalen und bundesweiten Verhandlungen gelten.
In ihren Forderungen orientiert sich die die Tarifkommission Chemie Hessen der Gewerkschaft IG BCE weitgehend an dem vor gut einer Woche auf Bundesebene beschlossenen Forderungskatalog. So fordert die Gewerkschaft in Hessen eine Erhöhung der Löhne und Gehälter, „die sicherstellt, dass die Kaufkraft der Beschäftigten in der Chemieindustrie nachhaltig gesteigert wird“ – das heißt, eine Steigerung, die über der Inflationsrate liegt. Diese betrug im Februar nach den vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes 5,1 % im Vergleich zum Vorjahr.
Die Forderungen der Chemiegewerkschaft in Bildern

Die Chemie-Tarifverhandlungen betreffen deutschlandweit rund 580.000 Beschäftigte in der chemisch-pharmazeutischen Industrie. Die Gespräche zwischen der Gewerkschaft und den Arbeitgebern sind am 2. März zunächst auf regionaler Ebene gestartet, am 21. März wird in Hannover erstmals auf Bundesebene verhandelt. (Bild: IG BCE)

Ins Zentrum ihrer Forderungen hat die Chemiegewerkschaft die Erhöhung der Löhne und Gehälter sowie der Ausbildungsvergütungen gestellt. Angesichts des Fachkräftemangels seien Investitionen ins Personal im ureigenen Interesse der Chemiebetriebe. "Sie brauchen dringend eine Investitionsoffensive – mit Blick auf ihre Attraktivität als Arbeitgeber, die Wertschätzung ihrer Beschäftigten, die Nachwuchsarbeit“, sagte der stellvertretende IGBCE-Vorsitzende Ralf Sikorski. (Bild: K.-U. Häßler – stock.adobe.com)

Eine genaue Zahl, um wieviel die Entgelte steigen sollen, nennt die Gewerkschaft nicht. Da die Beschäftigten wie der Rest der Bevölkerung derzeit von der hohen Inflation betroffen ist, müsse aber am Ende "ein Plus oberhalb der Teuerungsrate" stehen. Die Inflationsrate in Deutschland lag im Januar 2022 bei 4,9 % (im Vergleich zum Vorjahr). (Bild: sewcream – stock.adobe.com)

Gefordert wird außerdem eine Erhöhung der Schichtzuschläge für die Beschäftigten in Nachtschichten auf einheitlich 25 %. „Es waren die Schichtarbeiter, die in der Pandemie 24/7 den Laden am Laufen gehalten haben, während ihre Vorstände im Homeoffice arbeiten konnten“, so Gewerkschaftsfunktionär Sikorski. Heute sei Schichtarbeit für junge Menschen unattraktiver denn je. „Wir müssen und werden das ändern.“ (Bild: Thorsten Frisch – stock.adobe.com)

Die Attraktivität des Arbeitsplatzes steht auch beim Thema "mobile Arbeit" und Homeoffice im Vordergrund. Die Arbeitswelt werde sich in den nächsten Jahren "massiv verändern", glaubt die Chemiegewerkschaft. Daher bedürfe es klarer tariflicher Leitplanken für betriebliche Vereinbarungen, "damit wir für die gesamte Branche zu einheitlichen Qualitätsanforderungen an gute mobile Arbeit kommen". (Bild: Jürgen Fälchle – stock.adobe.com)

Eine weitere wichtige Forderung betrifft die Ausbildung. In der Corona-Krise hatten zudem viele Chemieunternehmen ihre Ausbildungsanstrengungen zurückgefahren, so die Gewerkschaft. Das sei "ein falsches Signal an die junge Generation". Die IGBCE will deshalb neue Fördermöglichkeiten zur Ausbildung Jugendlicher schaffen. (Bild: industrieblick – stock.adobe.com)

Ihre Forderungen stützt die Gewerkschaft auf die Beobachtung, dass die wirtschaftliche Situation der Chemie- und Pharmabranche positiv sei. In einer Umfrage gaben 78 % der befragten Beschäftigten an, ihrem Arbeitgeber gehe es gut bis glänzend. (Bild: IG BCE)

Die Arbeitgeber sehen dies naturgemäß anders. Trotz der deutlichen Erholung der letzten Monate liege die Produktion der chemisch-pharmazeutischen Industrie nach Rezessionsverlusten und Corona-Krise noch nicht wieder auf Wachstumskurs, erklärte etwa der Hauptgeschäftsführer der Chemie-Arbeitgeber Westfalen Dirk W. Erlhöfer. Außerdem seien die Betriebe „flächendeckend durch massiv gestiegene Energie- und Rohstoffkosten sowie Logistikprobleme belastet“. Die Arbeitgeberverbände weisen die Forderungen der IG BCE daher als „teures Überraschungspaket“ weitgehend zurück. (Bild: wsf-f – stock.adobe.com)
Außerdem will die Gewerkschaft eine Erhöhung der Schichtzuschläge für die besonders belastenden Nachtschichten auf einheitlich 25 % erreichen. Eine weitere Forderung sieht vor, die mobile Arbeit für die Chemiebeschäftigten „gut zu gestalten“. Dabei dürfte es vor allem darum gehen, die Bedingungen für die Arbeit im Home Office zu regeln – etwa was die Ausstattung, Arbeitszeiten und die Erreichbarkeit von Beschäftigten angeht. Zuletzt will die Gewerkschaft auch den Ausbildungs-Tarifvertrag „Zukunft durch Ausbildung und Berufseinstieg“ weiterentwickeln.
„Fass ohne Boden“: Chemie-Arbeitgeber weisen Forderungen zurück
Die Vorstellungen der Arbeitgeber über den Chemietarif 2022 gehen in eine ganz andere Richtung. Der Spaltpilz besteht dabei in der Beurteilung der ökonomischen Lage der Chemie-Unternehmen. Während die Gewerkschaft von einer „guten wirtschaftlichen Entwicklung“ mit hoher Auslastung und steigenden Umsätzen spricht, weist der Arbeitgeberverband Hessenchemie dies als „viel zu positive Konjunkturbewertung“ zurück.
Vielmehr stünden die Unternehmen vor zahlreichen Problemen wie massiv gestiegenen Energie- und Rohstoffkosten sowie Logistikproblemen. Trotz der deutlichen Erholung der letzten Monate läge die Produktion der chemisch-pharmazeutischen Industrie nach Rezessionsverlusten und Corona-Krise noch nicht wieder auf Wachstumskurs.
Und selbst wenn es wieder zu höheren Erträgen kommen, benötige man diese, „um die Herausforderungen Klimaschutz, Kreislaufwirtschaft, Digitalisierung und den demografischen Wandel finanzieren zu können“, erklärte Hessenchemie-Hauptgeschäftsführer Dirk Meyer. Hier sind Investitionen in dreistelliger Milliardenhöhe erforderlich. Die Gewerkschaft hält dagegen: „Ohne qualifizierte und motivierte Belegschaften werden Sie die Herausforderungen der Zukunft nicht bewältigen. Dazu gehört auch gute Bezahlung“, erklärte die hessische Verhandlungsführerin Sabine Süpke.
Auch beim bundesweiten Arbeitgeberverband BAVC hält jedoch man wenig von den Forderungen der Gewerkschaft. Verhandlungsführer Hans Oberschulte bezeichnete diese zuletzt als „Fass ohne Boden“. Auch hier sieht man zu wenig beachtet, dass die explodierenden Preise für Strom, Gas und Öl die Unternehmen sogar noch stärker träfen als die Chemiebeschäftigten. „Je höher die Inflation, desto tiefer sollen die Unternehmen in die Tasche greifen. Das würde bedeuten, die Tarifpolitik von der wirtschaftlichen Entwicklung unserer Branche abzukoppeln“, erklärte Oberschulte. Die derzeit überzeichnete Inflation könne nicht der Maßstab für die Verhandlungen sein.
Die unterschiedlichen Positionen von Gewerkschaft und Arbeitgebern bilden eine spannende Ausgangssituation für die nun startenden Tarifverhandlungen. Nach dem Start in Hessen stehen zunächst weitere regionale Runden an, bevor am 21. März in Hannover erstmals auf Bundesebene gesprochen wird.
Zeitplan der Tarifverhandlungen #Chemie22
- 2. März: Erste regionale Verhandlung für Hessen in Wiesbaden
- 3. März: Regionale Runde Rheinland-Pfalz in Mainz
- 4. März: Regionale Runde Nordrhein
- 8. März: Regionale Runde Nord in Hannover
- 9. März: Regionale Runde Baden-Württemberg in Karlsruhe
- 10. März: Regionale Runde Bayern
- 14. März: Regionale Runde Landesbezirk Nordost
- 15. März: Regionale Runde Saarland
- 16. März: Regionale Runde Westfalen
- 21. März: Start der bundesweiten Verhandlungen in Hannover
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