Eine detaillierte Nachhaltigkeitsberichterstattung wird nicht nur von neuen Gesetzen gefordert, sondern zunehmend auch von Kunden, Partnern und Investoren. Ein ESG-Rating ist hierfür eine sehr gute Basis – wenn es richtig angegangen wird. Doch worum handelt es sich bei einem solchen Rating überhaupt genau und was leistet es? Mit einem ESG-Rating wird der Reifegrad der Nachhaltigkeitsleistung eines Unternehmens und sein Umgang mit entsprechenden Risiken ermittelt. ESG steht dabei für Environmental, Social, Governance – das Rating umfasst also die Komplexe Umwelt, Soziales und verantwortungsvolle Unternehmensführung. Anders als Berichtspflichten aufgrund von Regularien und Gesetzen wie dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) ist ein solches Rating aber nicht von staatlicher Seite vorgeschrieben.
Warum sollte ein Unternehmen sich einem ESG-Rating unterziehen?
Trotzdem gewinnen ESG-Ratings immer mehr an Bedeutung – etwa auf dem Finanzmarkt, wo der Zugang zu Finanzierungsquellen ohne eine entsprechende Bewertung immer schwieriger wird. Für die Aufnahme in einen Index für nachhaltige oder sozial verantwortliche Investitionen, zum Beispiel einen ESG-Fonds, gehört ein ESG-Rating manchmal sogar zu den Voraussetzungen.
Auch große Industrieunternehmen und Konzerne machen ein Rating immer häufiger zur Bedingung für eine weitere Zusammenarbeit mit Zulieferfirmen, manchmal ist es auch Bestandteil eines Geschäftsvertrags. Doch selbst für ein Unternehmen, auf das diese Aspekte (noch) nicht zutrifft, kann es sehr sinnvoll sein, sich einem Rating zu unterziehen. Denn damit können Organisationen sicher sein, aktuelle Umwelt- und Sozialstandards sowie Richtlinien einzuhalten. Zudem ist es auf strengere Gesetze vorbereitet, die in den kommenden Jahren in Kraft treten. Darüber hinaus lernen die Verantwortlichen die Risiken kennen, die sich aus der Lieferkette, aus Missachtung von Berichtspflichten oder mangelhaftem Nachhaltigkeitsmanagement ergeben, und können diese reduzieren oder gar ganz beseitigen.
Indem ein ESG-Rating Ansätze für eine nachhaltige Wertschöpfung aufzeigt, haben Unternehmen außerdem die Möglichkeit, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen und mit der Erschließung neuer, nachhaltigkeitsorientierter Märkte ihr Wachstum zu sichern. Und schließlich können sie ihre Nachhaltigkeitsleistungen datenbasiert und transparent kommunizieren, was zu einem stärkeren Vertrauen von Kunden, Partnern, Mitarbeitenden und anderen Stakeholdern führt.
Um von diesen Vorteilen zu profitieren, reicht es jedoch nicht aus, ein ESG-Rating durchzuführen. Vielmehr müssen Unternehmen dabei eine gewisse Punktzahl erzielen. Hierfür benötigen sie ausgereifte Systeme, Prozesse und Strategien, um ihre ESG-Ziele konsequent zu verfolgen und glaubwürdig erreichen und darstellen zu können.
Wann und wie sollten Unternehmen ein ESG-Rating durchführen?
Es empfiehlt es sich, ein erstes ESG-Rating bereits dann durchzuführen, wenn es noch kein Muss ist. Auf dieser Basis lassen sich dann Verbesserungsmaßnahmen definieren, wie das beispielsweise ein Großhändler für Arzneimittel, medizinische Geräte und Ausrüstungen getan hat. Er kam in seinem ersten Rating auf eine Bewertungspunktzahl von 61 und wandte sich mit diesem Ergebnis an Afry. Das Ingenieur- und Beratungsunternehmen übersetzte daraufhin die Scorecard in einen detaillierten Aktionsplan und entwickelte konkrete Verbesserungsmaßnahmen. Vor dem zweiten Rating hat der Dienstleister den Kunden außerdem bei der Aufklärung über die Bewertungsmethodik, der Verbesserung der Unternehmensleistung sowie der Überarbeitung der relevanten Unternehmenspolicies unterstützt. Schließlich überprüften die Experten die Auswahl der Nachweisdokumente sowie den Rating-Fragebogen vor Einreichung bei der Ratingagentur. Das Ergebnis: Der Großhändler hat seine Punktzahl von 61 in der ersten Bewertung auf 70 in der Neubewertung verbessert und damit den Goldstatus erreicht.
Generell ist für ein ESG-Rating ein ausreichender Zeitrahmen einzuplanen. Abhängig von der Tiefe der Analyse, Umfang und Genauigkeit der Datenquellen sowie der Einbeziehung von Experten und Nachhaltigkeitsberatern dauert der Prozesse üblicherweise zwischen wenigen Wochen und mehreren Monaten.
Welche Ratingagentur ist die richtige?
Ist seitens des Kunden oder Investors keine spezifische Ratingagentur vorgegeben, steht das Unternehmen vor der Qual der Wahl. Da die Ratings nicht gesetzlich verpflichtend sind, unterliegen sie nicht der Regulierungsaufsicht. Das führt dazu, dass die Agenturlandschaft vielfach als intransparent wahrgenommen wird. Eine durchdachte Auswahl ist jedoch wichtig, denn jede Ratingagentur berücksichtigt andere Nachhaltigkeitsbereiche und nutzt eine andere Methodik.
In der Regel umfasst ein ESG-Rating die Branche, Größe sowie Standort des Unternehmens, seine Offenlegungspraktiken, Risikoexposition und -management sowie Reputation und Medienpräsenz. Doch während einige Ratingagenturen ganze Managementsysteme und Betriebsstrategien bewerten, konzentrieren sich andere überwiegend auf öffentlich zugängliche Medien- und Nachhaltigkeitsberichte.
Die methodischen Ansätze sind sehr vielfältig, sie reichen von branchenspezifischen Fragebögen über die Analyse von Nachweisdokumenten und öffentlichen Unternehmenserklärungen und -berichten bis zu externen Kontroversen-Screenings, Workshops sowie Analystengesprächen und Stakeholder-Interviews.
Einige ESG-Bewertungssysteme stützen sich auf ein bis zwei dieser Methoden, andere kombinieren mehrere, um ein solides Bild des ESG-Risikomanagements und der Leistung des Unternehmens zu zeichnen.
Um die für das eigene Unternehmen passende Ratingagentur zu wählen, hilft es, einige Fragen zu beantworten:
- Wie wird die aktuelle ESG-Leistung des Unternehmens eingeschätzt, wo liegen Stärken und Schwächen?
- Welche Nachhaltigkeitsthemen sind wesentlich für das Unternehmen?
- Gibt es Ratings, die für die Branche, Größe und externe Kommunikation des Unternehmens relevant sind?
- Wer sind die wichtigsten Stakeholder und Zielgruppen für das ESG-Rating?
In den kommenden Jahren werden sich die Nachhaltigkeitsanforderungen an Unternehmen deutlich erhöhen. Dafür sorgt unter anderem die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Sie erweitert nicht nur die bestehenden Regeln der Nachhaltigkeitsberichterstattung ganz erheblich, sondern erhöht auch die Zahl der Unternehmen drastisch, die den European Sustainability Reporting Standards (ESRS) unterliegen. Die ESRS legen branchenbezogen die wesentlichen Nachhaltigkeitsthemen fest. Mit einem frühzeitig durchgeführten ESG-Rating können Unternehmen den kommenden Anforderungen beruhigt entgegensehen.
Das sind die wichtigsten ESG-Ratingagenturen
Ecovadis: Das Ecovadis-Rating umfasst vier Themen: Umwelt, Arbeits- und Menschenrechte, Ethik sowie nachhaltige Beschaffung in der Lieferkette. Es stützt sich auf eine evidenzbasierte Bewertung des gesamten Nachhaltigkeitsmanagementsystems des Unternehmens. Bis 2022 hat die Agentur weltweit über 100.000 Ratings durchgeführt.
CDP bietet fragebogenbasierte Bewertungen zu Klimawandel, Wäldern und Wassersicherheit. Der Fokus liegt auf Berichten zu CO2-Emissionen und Daten zum Klimawandel als Basis für Investitionsentscheidungen. Stand 2022 gab es weltweit 18.700 berichtende Unternehmen.
Institutional Shareholder Services (ISS): In die Ratings fließen 100 branchenspezifische Ratingkriterien ein, beispielsweise zum Klimawandel, zu Biodiversität, Menschenrechten, Arbeitsnormen, Korruption, umstrittenen Waffen und vielem mehr. Vor allem Investoren und Unternehmen, die ESG- und Governance-Risiken ihres Shareholder Values reduzieren möchten, fragen ein Rating von ISS nach.
S&P Global Corporate Sustainability Assessment (CSA): Für das CSA-Rating werden ESG-spezifische Fragebögen ausgewertet, die durch das Unternehmen zu beantworten sind, außerdem öffentlich zugängliche Daten. Die bestbewerteten Unternehmen werden in die DJSI (Dow Jones Sustainability Indices) aufgenommen. Die ca. 8.000 bislang bewerteten Unternehmen repräsentieren 90 % der globalen Marktkapitalisierung.
Weitere Anbieter: Vor allem in den USA relevant sind die Agenturen FTSE Russell und VE / Moody‘s. Finanz- und Investmentgesellschaften setzen zum Beispiel auf MSCI und Sustainalytics.