Woman investor in clean energy standing in front of solar panels

(Bild: Kzenon – stock.adobe.com)

  • Die Politik ist dazu übergegangen, die Umsetzung von Effizienzmaßnahmen zur Pflicht zu machen bzw. die Auszahlung von Beihilfen daran zu knüpfen.
  • Dabei geht es immer darum, dass diese wirtschaftlich durchführbar sind.
  • Die Grundlage für die Frage, ab wann eine Maßnahme als wirtschaftlich gilt, bilden sogenannte Valeri-Berechnungen.

Viele Energieverbräuche sind in der chemischen Industrie nicht zu vermeiden. Dennoch gibt es Ansatzpunkte für Energieeinsparungen und die Dekarbonisierung. Viele der entsprechenden Maßnahmen wurden bisher jedoch nicht umgesetzt – auch solche, die sich wirtschaftlich durchaus rechnen.

Zum Beispiel die „Kurzstudie Energieeffizienzmaßnahmen in der Industrie“ der Hochschule Niederrhein hat ergeben, dass in der deutschen Industrie Effizienzpotenziale brachliegen, die mit standardmäßig verfügbaren Technologien und ohne Produktionseinschränkungen bei hoher wirtschaftlicher Zusatzrendite gehoben werden könnten. Damit ließen sich demnach 44 % des Endenergiebedarfs des Jahres 2021 – also 410 von 940 TWh pro Jahr – einsparen. Das entspricht ungefähr der Produktionsmenge von acht großen Kern- oder Kohlekraftwerken und der Kapazität von vier der sechs neuen LNG-Terminals. 60 % dieser Energieeffizienzpotenziale, das sind 248 TWh pro Jahr, werden aktuell jedoch nicht genutzt.

Aus diesem Grund ist die Politik dazu übergegangen, die Umsetzung von Effizienzmaßnahmen zur Pflicht zu machen bzw. die Auszahlung von Beihilfen daran zu knüpfen. Das betrifft aktuell verschiedene Regularien, die auch für Unternehmen der Chemiebranche relevant sind.


EnSimiMaV

Die Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung über mittelfristig wirksame Maßnahmen (Mittelfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung – EnSimiMaV) gilt für alle Unternehmen mit einem Gesamtverbrauch von über 10 GWh pro Jahr, die nach dem Energiedienstleistungsgesetz (EDL-G) zur Erstellung von Energieaudits verpflichtet sind. Sie wurde im Sommer 2022 beschlossen, um einen drohenden Gasmangel abzuwenden, indem energieintensive Unternehmen ihre Effizienzpotenziale ausschöpfen. Hierfür schreibt die EnSimiMaV neben der Prüfung und Optimierung der Heizung auch zwingend die Umsetzung aller wirtschaftlich durchführbaren Effizienzmaßnahmen vor, die im Rahmen des Energiemanagements oder Energieaudits identifiziert wurden. Die Frist für die Maßnahmenumsetzung endet am 1. April 2024.

Zwei Mitarbeiter vor einer Anlage
Ein Großteil der Effizienzpotenziale in der deutschen Industrie wird noch nicht genutzt. (Bild: BFE)

Besondere Ausgleichsregelung (BesAR)

Im Gegensatz zur EnSimiMaV geht es bei der Besonderen Ausgleichsregelung um den Erhalt von Beihilfen: Über sie können stromkostenintensive Unternehmen, die in der Liste antragsberechtigter Branchen aus dem Energiefinanzierungsgesetz aufgeführt sind und einen jährlichen Stromverbrauch von mehr als 1 GWh je Abnahmestelle haben, von der Reduzierung bestimmter Umlagen auf den Strompreis profitieren: Aktuell wird die KWKG-Umlage von 0,357 ct/kWh und die Offshore-Netz-Umlage von 0,591 ct/kWh branchenabhängig auf 15 bzw. 25 % dieser Summen begrenzt. Ein Unternehmen kann damit in einem Jahr rund 7.000 bis 8.000 Euro pro GWh einsparen.

Um diese Privilegierungen zu erhalten, müssen Unternehmen jedes Jahr bis spätestens 30. Juni einen Antrag stellen, der dann für das Folgejahr gilt. Zum 1. Januar 2023 wurde die Antragstellung deutlich vereinfacht, indem die Stromkostenintensität nicht mehr zu bestimmen ist. Gleichzeitig sind die Bedingungen gestiegen: Unternehmen müssen nicht mehr nur ein Energiemanagementsystem vorweisen, sondern auch ökologische Gegenleistungen erbringen. Das bedeutet:

  • 50 % des Begrenzungsbetrags, also der eingesparten Summe, müssen in wirtschaftliche Energieeffizienz- oder Dekarbonisierungsmaßnahmen investiert werden.
    oder
  • Das Unternehmen muss eine Erklärung abgeben, dass es 50 % des Begrenzungsbetrags in wirtschaftliche Effizienzmaßnahmen investieren wird. Diese Investitionen sind spätestens im Jahr 2026 nachzuweisen.
    oder
  • Der Stromverbrauch muss zu mindestens 30 % durch ungeförderten Strom aus Erneuerbare-Energien-Anlagen (EE-Anlagen) gedeckt werden.

BEHG-Carbon-Leakage-Verordnung (BECV)

Um Privilegierungen geht es auch bei der BECV: Unternehmen können einen finanziellen Ausgleich für den nationalen CO2-Preis erhalten. Damit möchte die Politik verhindern, dass Unternehmen mit sehr hohem Brennstoffverbrauch – und damit hohen CO2-Emissionen – ihre Produktion aufgrund der nationalen CO2-Bepreisung ins Ausland verlagern (Carbon Leakage).

Den Ausgleich können Unternehmen beantragen, die einen hohen Verbrauch fossiler Energieträger haben und einem Sektor aus der Liste der Carbon-Leakage-Risiko-Sektoren angehören. Sie beinhaltet – wie auch die „BesAR-Liste“ – unter anderem die Herstellung von Farbstoffen, Düngemitteln und Stickstoffverbindungen, Kunststoffen und synthetischem Kautschuk und anderen organischen und anorganischen Grundstoffen und Chemikalien.

Die Antragsfrist endet ebenfalls wie bei der BesAR am 30. Juni eines jeden Jahres. Die Höhe der Beihilfe hängt vom Brennstoffverbrauch und dem Kompensationsgrad ab. Auch hierfür müssen Unternehmen jetzt ökologische Gegenleistungen erbringen. Dazu gehören ein Energie- oder Umweltmanagementsystem nach DIN EN ISO 50001 oder EMAS und Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen, welche die CO2-Bilanz des Unternehmens verbessern. Das können Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz oder zur Dekarbonisierung des Produktionsprozesses sein, die wirtschaftlich realisierbar sind. Für den BECV-Antrag für das Jahr 2024 müssen diese Maßnahmen bereits bis Ende 2023 umgesetzt sein.

Darüber hinaus wird erwartet, dass die Vorgaben zur Umsetzung ökologischer Gegenleistungen künftig häufiger werden, etwa beim geplanten Energieeffizienzgesetz. Da es in all diesen Fällen um wirtschaftlich durchführbare Energieeffizienz- und Dekarbonisierungsmaßnahmen geht, ergibt sich die Frage: Wie wird ermittelt, ob eine Maßnahme wirtschaftlich ist?

Beispielhaftes Ergebnis einer Valeri-Berechnung.
Beispielhaftes Ergebnis einer Valeri-Berechnung. (Bild: BFE)

Valeri legt Bewertungsgrundlage für Wirtschaftlichkeit

Um hierfür eine standardisierte Systematik zu schaffen, wurde die europäische Norm DIN EN 17463 zur Bewertung von energiebezogenen Investitionen (Valuation of Energy Related Investments – Valeri) entwickelt. Valeri enthält Vorgaben, welche Informationen wie zu sammeln, zu berechnen, auszuwerten und zu dokumentieren sind. Sie baut in erster Linie auf der Kapitalwertmethode auf, also einer dynamischen Bewertungsmethode, die für jede Investition die Kapitalflüsse über die gesamte Nutzungsdauer des Investitionsgutes betrachtet. Darüber hinaus werden sämtliche quantitativen und qualitativen Effekte der Investition berücksichtigt, die sich etwa durch Energieeinsparungen, Fördermittel oder Wartungseffekte ergeben. Als Ergebnis erhält man den Verlauf des Kapitalwerts über die Nutzungsdauer hinweg, die Amortisationszeit sowie Sensitivitätsanalysen für die Einschätzung verschiedener Parameter.

Ein fiktives Beispiel verdeutlicht das: Eine neue Anlage mit einer Nutzungsdauer von 20 Jahren erfordert eine Investition von 850.000 Euro. Ab Jahr 1 nach der Investition wird die Summe aller Zahlungsflüsse des Jahres auf der x-Achse abgetragen. Die blaue Linie gibt den Kapitalwert an, das heißt die Summe der jährlichen Zahlungsflüsse. Das Diagramm zeigt zwei Dinge: Ab dem siebten Jahr ist der Kapitalwert positiv (die blaue Linie überschreitet die Nulllinie). Und über die gesamte Nutzungsdauer ergibt sich ein positiver Kapitalwert von 2.496.500 Euro.

Was ist wirtschaftlich?

Damit stellt sich eine weitere Frage: Ab wann gilt eine Maßnahme als wirtschaftlich? Sie lässt sich nicht pauschal beantworten, vielmehr liegt die Messlatte bei den drei genannten Regularien unterschiedlich hoch.

Bei der EnSimiMaV gilt eine Maßnahme dann als wirtschaftlich, wenn sie nach Valeri spätestens nach 20 % der Nutzungsdauer der betreffenden Anlage bzw. spätestens nach drei Jahren einen positiven Kapitalwert erreicht. Betrachtet man nochmal obiges Beispiel, wäre diese Maßnahme nach EnSimiMaV nicht wirtschaftlich, da der Kapitalwert im Jahr drei noch negativ ist. Sie fällt damit nicht unter die Umsetzungspflicht.

Für die BECV und BesAR muss die Maßnahme spätestens nach 60 % der vorgesehenen Nutzungsdauer einen positiven Kapitalwert erreichen. Bei der BECV ist dies zudem begrenzt auf maximal neun Jahre, bei der BesAR gibt es keine weitere Begrenzung. Die Beispielmaßnahme ist also nach BesAR wirtschaftlich, da der Kapitalwert nach zwölf Jahren (= 60 % der Nutzungsdauer) im positiven Bereich liegt. Bei der BECV ist bereits das Jahr 9 entscheidend, auch hier ist der Kapitalwert positiv. Die Maßnahme gilt also sowohl nach BesAR als auch nach BECV als wirtschaftlich.

Für alle Berechnungen nach Valeri gilt: Sie werden, ebenso wie die Anträge zu den Beihilfen bzw. die verpflichtenden Nachweise nach EnSimiMaV, von einem Zertifizierungsunternehmen oder Energieauditor geprüft.


Handlungsempfehlungen für Unternehmen

Fundament für die Erfüllung der regulatorischen Vorgaben ist die umfassende und fundierte Identifikation von Effizienzpotenzialen im Rahmen von Energiemanagementsystemen und Energieaudits. Nun gilt es zu prüfen, welche regulatorischen Vorgaben bzw. Privilegierungen für das jeweilige Unternehmen relevant sind und welche Pflichten und Fristen gelten. Darauf folgen die Berechnungen nach Valeri, durch die sich entscheidet, welche Maßnahmen realisiert werden müssen. An diesem Punkt ist es hilfreich, einen Plan aufzustellen, wann welche Investition am sinnvollsten getätigt werden kann oder sollte, um alle Vorgaben zu erfüllen. Außerdem empfiehlt sich, den gesamten Prozess sauber zu durchlaufen und zu dokumentieren, denn viele Regulatorien fordern eine abschließende Nachweisführung.
Alle betroffenen Unternehmen sollten frühzeitig damit beginnen. Denn im Rahmen der EnSimiMaV müssen die wirtschaftlichen Maßnahmen bereits bis 01.04.2024 umgesetzt sein, bei der BesAR und BECV steht die nächste Antragstellung zum 30.06.2024 an.

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