- Der UN-Weltwasserbericht untersucht den Zusammenhang zwischen Wasser und Wohlstand.
- Ähnlich wie bei der Energie müssen europäische Staaten sich im Sommer Gedanken machen, wem zuerst der Hahn zugedreht wird.
- Durch Trockenschocks entstehen der Industrie zwei- bis viermal so hohe Einkommensverluste wie durch Nässeschocks.
Ulla Burchardt, Vorstandsmitglied der Deutschen Unesco-Kommission, erklärt: „Klimawandel, Kriege, Konflikte und andere Krisen verschärfen den ohnehin ungleichen Zugang zu Wasser. Fast immer sind es die Ärmsten und Schwächsten, die davon am stärksten betroffen sind. Mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung hat sich die Weltgemeinschaft ehrgeizige Ziele gesetzt, auch für das Menschenrecht auf Wasser- und Sanitärversorgung. Der UN-Bericht zieht eine alarmierende Zwischenbilanz. Aus heutiger Sicht werden wir die Nachhaltigkeitsziele für die Wasser- und Sanitärversorgung verfehlen. Die gute Nachricht des Berichts ist jedoch, dass Wasser entgegen allen Erwartungen bislang kein wesentlicher Auslöser von Konflikten ist. Gerade in Europa wird auf Kooperation gesetzt. Die meisten grenzüberschreitenden Wassereinzugsgebiete werden von den Anrainern gemeinsam bewirtschaftet. Die Zusammenarbeit am Rhein gilt international als beispielhaft. Solche Kooperationen brauchen wir auch in anderen Teilen der Welt“, schlussfolgert Burchardt.
Friedensstiftende Wirkung
Derzeit zeigt sich der Zusammenhang zwischen Wasserverfügbarkeit und Wohlstand nur durch indirekte Indikatoren. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis von Investitionen in Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene fällt allerdings positiv aus, da sich Nebeneffekte dieser Investition auf Gesundheit, Bildung und Beschäftigung auswirken. Beispiele wie das Rahmenabkommen für das Einzugsgebiet der Save zwischen Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Serbien und Slowenien sowie das von Angola, Botswana und Namibia gemeinsam verwaltete Cubango-Okavango-Gewässersystem belegen zudem die friedensstiftende Wirkung von Kooperationen im Wassersektor.
Doch auch wenn ärmere Staaten zuerst oder stärker von der zunehmenden Wasserknappheit betroffen sind, heißt es nicht, dass dieses Problem vor den Industrieländern Halt machen würde. Laut Thomas Wollstein, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der VDI-Gesellschaft Bauen und Gebäudetechnik, steht Spanien bereits in vielen Regionen vor dem Zwiespalt, die Bevölkerung mit Trinkwasser versorgen zu müssen, gleichzeitig aber den Gemüseanbau mit Wasser versorgen zu wollen.
Längst überfällige Wasserwende
In einigen Regionen Norddeutschlands treten in der heißen Jahreszeit ebenfalls Engpässe auf, weil Industrie und Landwirtschaft im industriellen Maßstab – vor allem Massentierhaltung und Fleischerzeugung – so viel Trinkwasser verbrauchen. „Die Wasserversorger haben bereits Szenarien entwickelt, in welcher Reihenfolge sie wem den Hahn zudrehen wollen“, erklärt Wollstein. Er vermutet, dass die Entwicklung der von fossilem Treibstoff ähneln wird: Wasser wird teurer werden, und die Industrie wird dazu übergehen, Trinkwasser selbst aufzubereiten und durch andere Wässer zu substituieren – aber nur soweit es sich für sie lohnt. „Dabei wird man die ganze Zeit ängstlich auf die wirtschaftlichen Folgen schielen und dadurch auch die Wasserwende hinauszögern, die ebenso nötig ist wie die Energiewende.“
Auch Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), äußerte sich zum Wasserverbrauch der Industrie in Deutschland: Bereits jetzt seien unsere Gewässer in keinem guten Zustand. Neben der Landwirtschaft und dem Bergbau müsse auch die Industrie Verantwortung für unser Wasser übernehmen. Es wäre zu lange weggesehen worden, während weite Teile der Industrie und der Landwirtschaft auf Kosten unseres Wassers gewirtschaftet hätten. Dieser sorglose Umgang müsse ein Ende finden. Bandt ist der Meinung, wer nutzt, solle zahlen und wer verunreinigt, müsse säubern.
Müssten Unternehmen alle Kosten für die Aufbereitung, der durch sie verschmutzten Abwässer tragen und strengere Abwasser-Einleitungsvorschriften befolgen, könnte das in der Chemieindustrie einen durchschnittlichen Gewinnverlust von 18 % und in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie einen Gewinnverlust von bis zu 116 % verursachen. Geschlossene industrielle Wasserkreisläufe könnten zukünftig für eine geringere Abhängigkeit von Frischwasser-Ressourcen sorgen und ermöglichen, neben Wasser auch andere Roh- und Wertstoffe wiederzugewinnen.
Einkommensverluste durch Wassermangel
Denn auch wenn die Industrie ein großer Wasserverbraucher ist, sorgt sie gleichermaßen für den Wohlstand im jeweiligen Land. Im Umkehrschluss sorgt der Mangel von Wasser oder dessen Mangel an Qualität für Einkommensverluste bei der betreffenden Industrie. Dabei können auch indirekte Probleme auftreten, wenn ein Vorprodukt beispielsweise per Schiff geliefert wird, der Fluss aber zu wenig Wasser führt, um überhaupt für ein Frachtschiff befahrbar zu sein. Oder wenn ein Zulieferer von einer Dürre betroffen ist und dieses Problem dann an die restliche Lieferkette weitergegeben wird.
Der Schaden, der der Industrie direkt oder indirekt durch Wassermangel entsteht, führt zu zwei- bis viermal so hohen Einkommensverlusten wie Schäden, die Nässeschocks wie Überflutungen oder starke Regenfälle hervorrufen. Unternehmen sollten demnach ein wirtschaftliches Interesse daran haben, sich an einer möglichst effizienten Nutzung des vorhandenen Wassers zu beteiligen, denn Wachstum und Wohlstand hängen von einem funktionierenden Management dieser Ressource ab. Nur so können Landwirtschaft, Energiewirtschaft, Industrie und verwandte Branchen die wirtschaftliche Existenz von Milliarden Menschen sichern.