Bio im Kühlturm

Kühlwasserbehandlung mit Mikrobiologie statt Gefahrstoffen

In Kühltürmen werden meist umweltbelastende Biozide eingesetzt. Eine Reinigung mit Mikroorganismen und Biopolymer-Additiven für die industrielle Kühlwasserbehandlung ist umweltverträglich und reduziert zudem den Wasserverbrauch und die Gesamtkosten.

Large air conditioning cooling fan
Aus offenen Kühlwassersystem können gesundheitsgefährdende Legionellen in die Umwelt gelangen. Bisher werden Desinfektionsmittel eingesetzt, um das zu verhindern.

  • Zur Eindämmung von Mikroorganismen in offenen Kühlsystemen wie Kühltürmen kommen bislang vorwiegend umweltschädliche Biozide zum Einsatz.
  • Ein neuartiges Verfahren nutzt stattdessen natürliche Mikrobiologie und Additive auf Basis von Biopolymeren.
  • Diese genutzten Materialien sind vollständig biologisch abbaubar und umweltverträglich und senken außerdem den Wasserbedarf und die Betriebskosten.

Man sieht sie schon von Weitem: Mit 200 Metern steht der höchste Kühlturm in Niederaußem, westlich von Köln. Türme dieser Art werden überall da benötigt, wo energieintensive Branchen wie die Chemie-, Stahl- oder Energieindustrie Wasser zur Kühlung einsetzen. Laut Destatis nutzt die Industrie 85 % ihres Wasserbedarfs zur Kühlung. Die exakte Zahl ist schwer zu erfassen, doch Experten schätzen, dass es in Deutschland rund 35.000 Kühltürme gibt. Davon basieren etwa 80 % auf der sogenannten Nasskühlung, die als effizienteste Methode gilt.

Das Problem: Aufgrund der warmen Feuchtigkeit vermehren sich im Turm Mikroorganismen, die einerseits die Einbauten von Kühltürmen angreifen und andererseits zu gesundheitlichen Problemen in der Umgebung führen können. Denn Biofilmablagerungen sind ein fruchtbarer Nährboden unter anderem für Legionellen – etliche Krankheitsfälle gab es Anfang der 2010er Jahre in Ulm, Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Warstein und Jülich. Teilweise musste sogar die Produktion wochenlang stillgelegt werden.

Um die Vorgaben der Bundesimmissionsschutzverordnung zu erfüllen, setzt die Industrie deshalb chemische Biozide ein, die das Wachstum von Bakterien und Algen verhindern und damit Krankheitserregern den Boden entziehen. Vereinfacht gesagt handelt es sich um Desinfektionsmittel. So gelangen weltweit rund 1,6 Mio. t toxische Biozide ins Wasser. Diese Substanzen reichern sich in den Gewässern an und stören dort das wichtige Zusammenspiel natürlicher Mikroorganismen. Zudem sind sie für viele Kläranlagen nur schwer oder gar nicht zu entfernen.

Michael Simon (links) und Lars Havighorst haben 2021 Blue Activity gegründet, um die Kühlwasserbehandlung zu revolutionieren. Neben dem Vorteil eines biologisch abbaubaren Produktes spart die Lösung der Heidelberger bis zu 38 % Wasser und bis zu 29 % Kosten.
Michael Simon (links) und Lars Havighorst haben 2021 Blue Activity gegründet, um die Kühlwasserbehandlung zu revolutionieren. Neben dem Vorteil eines biologisch abbaubaren Produktes spart die Lösung der Heidelberger bis zu 38 % Wasser und bis zu 29 % Kosten.

Vollständig biologisch abbaubare Zusätze

Einen komplett neuen Weg geht seit vier Jahren das Unternehmen Blue Activity. Das Heidelberger Cleantech-Start-up setzt auf eine Kombination natürlicher Mikroorganismen in Verbindung mit Additiven mit Biopolymeren. Einerseits werden so die Innenwände der Kühltürme durch die Mikroorganismen ohne schädliche Nebenwirkungen gereinigt und das Wasser im gesamten Kühlkreislauf in seinem natürlichen Gleichgewicht gehalten. Andererseits verhindert das Additiv Korrosion und Ablagerungen und ersetzt klassische Hemmstoffe mit erdölbasierten Polymeren.

Aktuell nutzen Kunden wie BASF, Braskem oder die Salzgitter AG das Produkt an diversen Kühlsystemen. Für die beiden Gründer Lars Havighorst und Michael Simon liegen die Vorteile auf dem Tisch: „Im Schnitt eine hochgradige Wasserersparnis von bis zu 38 Prozent, vollständig biologisch abbaubare Produkte und eine Kostenersparnis von bis zu 29 Prozent.“

Die Technik ist nach etwa zwei Tagen ohne große Investition implementiert. Danach startet mit der neuen Behandlungsweise der Reinigungsprozess für eine nachhaltige Wasserbehandlung. Erste Erfolge sind bereits nach wenigen Wochen sichtbar, so Havighorst. Während des Betriebs kontrollieren Sensoren rund um die Uhr die wichtigsten Kennwerte im Wasser, so dass gesetzlich geforderte Hygienesicherheit und die Anlagensicherheit sichergestellt sind.

Einer der ersten Kunden von Blue Activity war BASF. Erste Gespräche über die biozidfreie Wasserkühlung begannen 2022. Ein sechsmonatiges Pilotprojekt startete Anfang 2023 in Ludwigshafen. Damit konnte der Chemiekonzern den Einsatz von chemischen Behandlungsmitteln vermeiden - zugunsten von biologischen Mikroorganismen und Biopolymeren bei verbesserter Kühlleistung und Anlageneffizienz. Inzwischen wurden mehrere Produktionsstätten auf die nachhaltige und umweltschonende Technologie umgestellt.

Für Havighorst haben die große Wasser-ersparnis und die umweltverträgliche Lösung einen weiteren positiven Effekt für die produzierende Industrie. Denn aufgrund der Europäischen Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) müssen größere Unternehmen entsprechende Kennzahlen erheben. Der Übergang zu der umweltverträglichen Kühlwasserbehandlung schlägt sich bei der CSRD-Berichterstattung vor allem in den Bereichen Wasser und Biodiversität sowie Klimawandel positiv nieder.

Der 48-jährige BWLer Havighorst beschäftigt sich seit 2018 intensiv mit Wasser in der Industrie und gründete sein Unternehmen 2021. Eine Honorierung kam vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, denn als ZIM-Projekt bekam Blue Activity über 2,5 Jahre eine Förderung von knapp 250.000 Euro für diese Innovation. Professionelle Hilfe haben sich Havighorst und Simon bei Partner für Innovation und Förderung (PFIF) geholt. Der badische Förder-Versteher unterstützt seit 30 Jahren innovative Unternehmen, bisher etwa 1.350 Unternehmen und mehr als 6.200 Projekte. Die beiden Gründer sagen, dass in dieser Phase eine professionelle Unterstützung elementar gewesen sei: Fokussiert auf die Produktentwicklung und das Marketing gab es keine Ressourcen im eigenen Unternehmen, um sich zusätzlich auf das bürokratische Verfahren der Projektbeantragung, die treffende Formulierung des Antrags und die Abwicklung mit Berichten zu konzentrieren.

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