Achim Weiher, Küttner Martin Technology

"Software ist heute so ausgereift, dass fast alles, was benötigt wird, bereits da ist. Damit das auch genutzt wird, hilft nur: schulen, schulen, schulen."
Achim Weiher, Standortleiter und Senior Projektleiter bei Küttner Martin Technology

CT: Klärschlamm-Recycling erlebt aktuell einen regelrechten Boom, der 2018 auch zur Gründung von Küttner Martin Technology geführt hat. Was treibt den Markt?

Weiher: Ein neues Gesetz schreibt vor, dass große Klärwerke ihren Klärschlamm ab 2029 nicht mehr einfach nur in Müll- oder Kohlekraftwerken verbrennen oder anderweitig entsorgen dürfen, sondern das darin enthaltene Phosphat recyceln müssen. Das heißt, die Kommunen müssen jetzt Klärschlammverbrennungsanlagen investieren. Man rechnet mit 15 bis 20 Anlagen, die in Deutschland zusätzlich benötigt werden.

CT: Welche Wurzeln hat das noch junge Unternehmen?

Weiher: Küttner, Essen, ist Spezialist im Bereich Wirbelschichttechnologie und hat diese in das Gemeinschaftsunternehmen eingebracht. Martin baut Müllverbrennungsanlagen und sorgt für das finanzielle Rückgrat und die Kundenkontakte. Beide sind schon lange im Geschäft und sind zusammen auch Mehrheitsgesellschafter der Firma Würz in Willich, einem Spezialisten für Wärmerückgewinnung. 2020 hat Küttner Martin zudem die Klärschlammaktivitäten von Outotec übernommen.

CT: … von wo Sie ebenfalls zu Küttner Martin gestoßen sind.

Weiher: Richtig. Und wir konnten auch sehr erfahrene Spezialisten aus dem Bereich Klärschlamm von Outotec für den neuen Standort Butzbach gewinnen.

Zur Person: Achim Weiher

Achim Weiher ist Betriebswirt und startete seine Karriere 1992 als kaufmännischer Projektleiter beim Kraftwerks-Anlagenbauer ABB Kraftwerke. Von 1999 bis 2006 war er Leiter der kaufmännischen Projektleitung und des Auftragscontrollings bei Lurgi Metallurgie. Danach CFO bei ALS International und kaufmännischer Leiter der Lahmeyer International. 2012 Rückkehr zur aus Lurgi hervorgegangenen Outotec GmbH als Projektdirektor für diverse Projekte in der Türkei inkl. dem Aufbau und der Leitung der dortigen Tochtergesellschaft; 2020 Wechsel als Standortleiter zu Küttner Martin Technology.

CT: Welche Konsequenzen hat das für die Aufstellung des Unternehmens und die Art, wie Sie Projekte abwickeln?

Weiher: Wir sind 2020 sehr stark gewachsen – in einem sehr dynamischen Marktumfeld, das sich sehr vorteilhaft für uns entwickelt. Wir kümmern uns um die gesamte technische Abwicklung und den Vertrieb. Alles, was wir an Administration brauchen, bekommen wir als Dienstleistung von der Firma Martin. Das ist sehr angenehm. Die einzige technische Abteilung, die wir nicht im Haus haben, ist die Elektrik und Automatisierung, aber auch da greifen wir auf Ressourcen der Firma Martin zurück.

Der Aufbau des neuen Unternehmens war für mich eine tolle Chance. Zunächst ging es darum, die drei Standorte Essen, München und Butzbach zu einem gemeinsam agierenden Unternehmen zu formen. Unsere Aufstellung umfasst die Bereiche Engineering, Projektmanagement, Verfahrenstechnik und den Vertrieb. Daneben haben wir noch Planung und Konstruktion in 3D. Dann haben wir die unterstützenden Abteilungen der Firma Martin und der Firma Küttner – so decken wir zum Beispiel das Thema Anlagenautomatisierung ab.

Küttner-Martin-Anlage
Das Herzstück der Küttner-Martin-Anlagen ist der Wirbelschichtofen. Dieser wurde mit der Software Inventor parametrisiert. (Bild: Küttner Martin)

CT: Und das Baustellenmanagement läuft im Projektmanagement mit?

Weiher: Ja. Weil wir bereits zwei Projekte in der Abwicklung haben – darunter das Großprojekt Bitterfeld – und 2020 vier weitere Aufträge gewinnen konnten, besteht die Hauptaufgabe für dieses Jahr darin, uns ein Netzwerk an Montagefirmen und Bauleitern zu schaffen. Wir werden maximal ein bis zwei eigene Bauleiter einstellen; außerdem haben unsere Gesellschafter in Essen und München entsprechende Kapazitäten – da müssen wir uns einfach gut abstimmen. Die Zusammenarbeit mit den Gesellschaftern ist wirklich exzellent, hier tauschen wir Ressourcen aus.

CT: Wie funktioniert die Verrechnung mit den anderen Konzerngesellschaften?

Weiher: Das ist gar nicht so schwierig, da werden einfach Stunden zu vereinbarten Sätzen verrechnet.

CT: Für ein Anlagenbau-Start-up erscheint die Projektlast ziemlich hoch.

Weiher: Stimmt – wir müssen tatsächlich schauen, wie wir das auch gestemmt kriegen. Wir wickeln diese Projekte als EPC-Aufträge zum Festpreis ab – das ist die Königsdisziplin. Die Projekte laufen in der Regel drei Jahre, das heißt, man weiß erst am Schluss, ob man damit tatsächlich Geld verdient. Auch deshalb ist es wichtig, effizient zu arbeiten.

CT: In letzter Zeit sind die Baupreise extrem gestiegen. Wie gehen Sie damit um?

Weiher: Ja, das stimmt, die Stahl- und Kupferpreise zeigen steil nach oben. Natürlich haben wir in Langläuferverträgen auch Preisgleitklauseln drin, aber das reicht meist nicht, um das Risiko komplett abzufedern. Wir übernehmen mit unseren Verträgen sowieso schon extreme Risiken im Hinblick auf die Leistungsdaten der Anlagen – das können wir, weil wir dazu technologisch in der Lage sind. Aber den Ausfall von Lieferanten oder die Preissteigerungen zu managen, ist nicht einfach.

CT: Effizienz und Qualität in der Abwicklung ist auch eine Frage der verwendeten Engineering-Tools. Wie haben Sie sich hier aufgestellt?

Weiher: Wir hatten das Glück, dass wir bei Küttner-Martin frei auswählen konnten, was wir für die erfolgreiche Abwicklung unserer Projekte brauchen. Natürlich haben wir erst geschaut, was bei unseren Gesellschaftern vorhanden ist. Aber zum Schluss war klar, wir brauchen andere Tools, weil wir anders abwickeln.

CT: Wieso? Was ist bei Küttner-Martin anders als zum Beispiel bei Martin?

Weiher: Die Firma Martin ist eher ein klassischer Maschinenbauer. Unser Fokus liegt auf der gesamten Anlagenplanung. Das bedeutet, wir haben verschiedene Planungs- und Engineeringtools, die miteinander kommunizieren müssen. Die bei Martin eingesetzten Systeme kommunizieren nicht über definierte Schnittstellen, sondern über eigenprogrammierte Schnittstellen. Wir wollten aber eine Software, die verschiedene Teile unseres Engineerings integriert und bei der alle Daten aus einer Datenbank miteinander kommunizieren.

Monoklärschlammverbrennung
Standard-Fließbild einer Monoklärschlammverbrennung. Ziel des Digitalisierungsprojektes war eine Software, die verschiedene Teile des Engineerings integriert und bei der alle Daten aus einer Datenbank miteinander kommunizieren. (Bild: Küttner Martin)

CT: Wie sieht das konkret aus?

Weiher: Das Herzstück unserer Anlage ist der Wirbelschichtofen. Die Konstruktion des Ofens liegt komplett bei uns und wir wickeln diese mit der Software Inventor ab. Eine Besonderheit ist, dass wir den Ofen parametrisiert haben. Das heißt, man legt erst die Anlage aus, und aus der Auslegung resultiert die Größe des Ofens.

Das war der erste Knackpunkt, denn Inventor kommuniziert nicht mit der Software Comos, die bei unserer Mutter eingesetzt wird. Und die 3D-Planung machen wir dann in Cadison. Für alle externen Zuarbeiten und zur Bauplanung haben wir eine Datenbank. Wir kommunizieren mit den Lieferanten über die Schnittstellen die es da gibt, sodass wir alles immer in unser Modell integrieren können. Und dieses Modell ist auch BIM-fähig, es erfüllt also Standards, die speziell für die Projektabwicklung im Bereich Umwelttechnologien vorgeschrieben sind. Dort müssen bestimmte Schritte eingehalten und bestimmte Software eingesetzt werden, die von offiziellen Stellen vorgeschrieben und akzeptiert werden.

CT: Warum haben Sie sich für die 3D-Lösung Cadison entschieden?

Weiher: Wir haben das diskutiert, aber wir wollen smarte, kleine und flexible Tools für die verschiedenen Fachdisziplinen, die alle aus einer Datenbank arbeiten. Außerdem setzen wir stark auf Standardisierung und Modularisierung. Wir haben ja nur eine Technologie – und die bauen wir modular auf – von der Klärschlamm-­Annahme über die Entwässerung, Verbrennung, Abhitze-Verwertung, Wasserdampf-Kreislauf et cetera. Die unterschiedlichen Varianten bilden wir mit Standard-Rohrleitungs- und Instrumentierungsplänen ab. Darauf können wir bereits in der Angebotsphase zurückgreifen und auf Basis dieser P&IDs sehr schnell ein erstes Angebot erstellen. Dazu bauen wir uns auch eine Datenbank auf, in der die Ausrüstungslisten bis hin zur Automatisierung bereits hinterlegt sind

CT: Wie organisieren Sie das Projektmanagement?

Weiher: Dafür nutzen wir die Kollaborations- und Dokumentenmanagement-Software PIRS. Ich hatte das bereits vor vielen Jahren bei Outotec eingeführt. Die Akzeptanz für dieses Tool ist bei allen Projektbeteiligten sehr schnell da, weil es leicht zu nutzen ist. Vor allem das Dokumentenhandling funktioniert sehr einfach. Mittlerweile gibt es auch die Portallösung und wir nutzen diese in der Kooperation für den Dampferzeuger mit Würz und tauschen Daten und Dokumente darüber aus. Außerdem denken wir darüber nach, das Tool „PIRS:Claim“ für das Änderungsmanagement zu nutzen.

Aktuelle Aufträge für KMT

Derzeit realisiert Küttner Martin Technology KMT als Generalunternehmer für den Standortbetreiber Bitterfeld Wolfen ein Projekt zu Klärschlammrecycling bzw. ­-verwertung. In der Anlage sollen rund 270.000 t/Jahr entwässerter wie auch vorgetrockneter kommunaler Klärschlamm verbrannt werden. Die Wirbelschichtfeuerung ist eine KMT-eigene Technologie und minimiert Stickoxidemissionen ohne SNCR. Durch den gewählten Verfahrensaufbau kann die Anlage nicht nur ohne Zusatzbrennstoff, sondern auch mit der eigenen Turbine Überschussstrom ins öffentliche Netz einspeisen. Mit der Asche-Abscheidung trägt man dem Anspruch zur Phosphor-Rückgewinnung Rechnung. Die Gesamtanlage soll innerhalb von 30 Monaten errichtet werden und bereits 2021 in Betrieb gehen.

Im November 2020 hat KMT den Auftrag von WtE Wassertechnik GmbH für die Zuarbeit zur Genehmigungsplanung von drei Wirbelschichtöfen mit nachgeschaltetem Abhitzekessel für die Klärschlammverwertungsanlage (KVA) Berlin Waßmannsdorf erhalten. Jede der drei Linien hat eine Kapazität von 3,4 t Trockenmasse pro Stunde. Der entstehende Hochdruckdampf wird zur Stromerzeugung genutzt, der Abdampf dann zur Vortrocknung des Klärschlamms. Im Februar 2021 wurde KMT mit dem Detailengineering beauftragt. Die Gesamtanlage soll innerhalb von 36 Monaten errichtet werden.

CT: Welche Vorteile versprechen Sie sich davon?

Weiher: Vor allem Transparenz. Der Projektleiter kann sich sehr schnell einen Überblick verschaffen. Das Dokumentenmanagement ist eine enorme Zeitersparnis und außerdem steigt die Qualität, da immer nur die letzte Revision eines Dokumentes zu sehen ist und bearbeitet werden kann. Nutzt der Partner oder auch der Kunde die Portallösung, dann haben beide Parteien in ihrer Datenbank immer den gleichen Revisionsstand der Projektdokumente.

CT: Wie stellen Sie sicher, dass die Softwaretools auch effizient genutzt werden?

Weiher: Das ist ein zentrales Thema: Es geht darum, Workarounds zu vermeiden, wenn etwas nicht effizient genug funktioniert. Heutzutage ist eine Software meist so ausgereift, dass fast alles, was benötigt wird, bereits da ist. Damit das auch genutzt wird, hilft nur: schulen, schulen, schulen. Nur so lassen sich die Potenziale einer Software ausschöpfen.

CT: Hat die Methoden- und Softwarekompetenz einen Einfluss auf die Marge?

Weiher: Nein, das nicht – dafür ist der Wertanteil des Engineerings in einem EPC-Projekt zu klein. Dennoch ist sie eine Grundvoraussetzung – denn gerade als Unternehmen mit begrenzten Personalressourcen müssen wir diese so effizient wie möglich einsetzen, um die wachsende Zahl an Projekten mit möglichst wenig Aufwand durch Standardisierung stemmen zu können.

CT: Was würden Sie Unternehmen empfehlen, die ihre Engineering-Tools nicht frei wählen können, weil die Struktur historisch gewachsen ist?

Weiher: Da gibt es keinen Königsweg. Allerdings sehe ich häufig, dass die Unternehmen zu anspruchslos in Sachen Qualität sind – seien es Planungsunterlagen, Projektcontrolling etc. Ineffizienzen werden oft kritiklos hingenommen. Gerade bei den Planungsunterlagen ist alles, was wir an Dokumenten produzieren, eine Visitenkarte für das Unternehmen. Ein entscheidender Hebel, um hier besser zu werden, ist die Schulung der Mitarbeiter und das verantwortlich sein jedes Einzelnen für die Qualität seiner Arbeit.

CT: Welche Rolle wird die Digitalisierung für Sie künftig spielen?

Weiher: Das wird immer wichtiger: Wir wollen künftig verstärkt im Bereich Anlagensteuerung/Automatisierung und durch Betriebsunterstützung unserer Kunden Daten und Erfahrungen sammeln, um unsere Anlagen noch besser zu machen.
Zudem ist es hier auch wichtig, nicht jedem Trend hinterher zu laufen, um Prozesse zu heilen, die analog nicht laufen. Das wird nicht funktionieren.

Achim Weiher wird auf dem kommenden Engineering Summit (20. bis 21.07.2022, Darmstadt), den Digitalisierungs-Ansatz von Küttner Martin im Rahmen des Vortrags „Digitalisierung ohne Legacy-Kosten: Beispiel eines neuen mittelständischen EPC-Anbieters“ vorstellen. Infos unter www.engineering-summit.de

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