Ein neuentwickeltes Verfahren setzt Abfälle ohne aufwendige Vorbehandlung effizient in Wasserstoff und Synthesegas um. Maßgeschneiderte Sensorlösungen stellen die präzise Überwachung der komplexen Prozesse in der Pilotanlage sicher.
Jens Hundrieser, Regional Industry Manager Europe Power & Energy, Endress+HauserJens Hundrieser, Regional Industry Manager Europe Power & Energy,Endress+Hauser
VeröffentlichtGeändert
Mit der MIHG-Technologie lassen sich aus Deponie-Müll nachhaltige Energieprodukte herstellen und die Deponielast reduzieren.(Bild: echolot p)
Anzeige
Die energetische Nutzung von Abfall rückt nicht nur das Kreislaufdenken stärker ins Zentrum industrieller Wertschöpfung, sondern erschließt auch bislang ungenutzte Potenziale für eine dezentrale, resilientere Energieversorgung.
Technologien wie das MIHG-Verfahren zeigen, dass Klimaschutz, Rohstoffeffizienz und wirtschaftliche Skalierbarkeit keine Gegensätze mehr sein müssen, sondern sich im besten Fall gegenseitig verstärken.
Müll gehört zu den größten Problemen unserer Zeit. Allein in der Prozessindustrie entstehen jährlich mehrere Millionen Tonnen nicht wiederverwertbarer Abfall, der auf riesigen Deponien gelagert wird – ein wesentlicher Treiber der Umweltverschmutzung, der zudem fünf Prozent der weltweiten Kohlenstoffemissionen verursacht.
Doch was wäre, wenn es eine Möglichkeit gäbe, Abfall in erneuerbare Energien und Wasserstoff umzuwandeln? Genau dieses Ziel verfolgt das australische Cleantech-Unternehmen Wildfire Energy. Doch solche Anlagen zu entwickeln und betreiben, ist komplex und erfordert eine präzise Überwachung kritischer Prozessparameter. Um diese Anforderungen zu meistern, setzt das australische Start-up bei der Entwicklung der Pilotanlage auf die Messtechnik-Expertise von Endress+Hauser.
Angesichts der wachsenden Nachfrage nach kosteneffizienter Wasserstofferzeugung bei gleichzeitig reduzierten Treibhausgasemissionen hat Wildfire Energy ein neuartiges Anlagendesign zur Gewinnung von Wasserstoff und Synthesegas aus Abfall entwickelt. Basierend auf dem bewährten Vergasungsprozess bei über 800 °C unterscheidet sich diese Technologie grundlegend von herkömmlichen Verfahren. Bei der horizontalen Vergasung mit beweglicher Injektion (Moving Injection Horizontal Gasification, MIHG) injiziert das Verfahren Sauerstoff horizontal unter die Abfallschicht, wodurch der Abfall besonders effizient in erneuerbares Synthesegas und Wasserstoff umgewandelt wird.
In einem nachgelagerten Prozess reinigen und separieren spezielle Verfahren den Wasserstoff, sodass er für verschiedene Anwendungen nutzbar wird. Einerseits kann der gewonnene Wasserstoff direkt als emissionsfreier Energieträger für Brennstoffzellen zum Einsatz kommen, beispielsweise im Verkehrssektor oder zur dezentralen Energieversorgung. Andererseits bietet sich die Nutzung in industriellen Prozessen an, etwa in der Stahl- und Chemieindustrie, wo grüner Wasserstoff fossile Brennstoffe ersetzt. Alternativ lässt sich das erzeugte Synthesegas direkt in Turbinen oder Motoren einsetzen, um Strom zu erzeugen – ein entscheidender Vorteil für Regionen mit begrenztem Zugang zu erneuerbaren Energien. Mit seinem Ansatz strebt das Unternehmen einen günstigen Wasserstoffpreis von 2 USD/kg an und schafft damit die Voraussetzungen für eine breite Anwendung des MIHG-Verfahrens.
Das Verfahren bietet eine Vielzahl von Vorteilen, die es von herkömmlichen Vergasungstechnologien unterscheiden. Erstens ermöglicht es die Verarbeitung heterogener Abfälle ohne eine aufwendige und kostspielige Vorbehandlung. Während andere Verfahren Abfälle oft erst sortieren und zerkleinern müssen, verwertet MIHG unterschiedlich zusammengesetzte Materialien direkt. Dies spart nicht nur Kosten, sondern reduziert auch den Energieaufwand in der Vorbereitungsphase und macht den Prozess insgesamt effizienter.
Zweitens zeichnet sich das Verfahren durch eine hohe Energieausbeute aus, wenn es darum geht, Abfälle in nutzbare Energieträger zu verwandeln. So lassen sich beispielsweise etwa 42 kg Wasserstoff pro Tonne Einsatzmaterial (bei einem gemischten Abfall mit einem Heizwert von 12 MJ/kg) erzeugen. Diese hohe Effizienz ist ein wesentlicher Faktor, um die Wasserstoffproduktion wirtschaftlich attraktiv zu gestalten und den Rohstoffabfall bestmöglich zu verwerten.
Anzeige
Zusätzlich können die im erzeugten Synthesegas enthaltenen Fraktionen von Kohlenmonoxid (CO) und Wasserstoff (H₂) flexibel weiterverarbeitet werden. Neben der direkten Nutzung als Brennstoff besteht die Möglichkeit, diese Komponenten zur Herstellung synthetischer Kraftstoffe wie Methanol oder Ethanol zu verwenden. Diese vielseitige Verwertungsmöglichkeit macht das MIHG-Verfahren besonders interessant für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft und die Dekarbonisierung verschiedener Industriezweige.
Dank eines modularen Aufbaus dürfte das MIHG-Verfahren auch die Möglichkeiten kleiner, flexibler Anlagen eröffnen – ein wichtiger Faktor, um das Verfahren wettbewerbsfähig gegenüber der herkömmlichen Abfallverbrennung zu machen, die heute meist in Großanlagen weitab von städtischen Zentren erfolgt. Dies ermöglicht kurze Transportwege von der Erzeugung bis zur Verwertung des Abfalls und eine entsprechende CO₂-Reduzierung beim Transport.
Mithilfe von zuverlässigen Prozessmessgeräten zeigt die Pilotanlage von Wildfire Energy, dass die Produktion von Wasserstoff und Synthesegas aus Biomasse und Restmüll möglich ist.(Bild: Endress+Hauser)
Messtechnik als wichtiger Hebel für die Technologie
Die Umsetzung des Verfahrens bringt jedoch verschiedene technische Herausforderungen mit sich, insbesondere im Hinblick auf die präzise Überwachung der komplexen Abläufe innerhalb der Anlage. Um eine stabile und effiziente Abfallumwandlung zu gewährleisten, braucht es Sensoren, die kontinuierlich die Druckverhältnisse erfassen und eine präzise Prozesssteuerung ermöglichen. Temperaturfühler sind essenziell, um die Hitzeentwicklung zu überwachen, da sie direkt die Effizienz des Verfahrens beeinflusst. Gleichzeitig messen Durchflussmesser den Gasstrom, sodass die entstehenden Gase optimal genutzt und gezielt reguliert werden können. Damit die Materialzufuhr reibungslos funktioniert und Prozessstörungen vermieden werden, sind zuverlässige Füllstandsensoren erforderlich. Eine enge Zusammenarbeit mit erfahrenen Partnern stellt sicher, dass diese Mess- und Steuerungssysteme optimal aufeinander abgestimmt sind und der Gesamtprozess effizient abläuft.
Für die Entwicklung der Pilotanlage arbeitet Wildfire Energy deshalb eng mit Endress+Hauser zusammen. Durch den lokalen Support konnten im ersten Schritt die spezifischen Messanforderungen detailliert analysiert und geeignete Messinstrumente ausgewählt werden, die sowohl den komplexen Prozessbedingungen als auch den projektspezifischen Anforderungen gerecht werden. Ein besonderer Fokus lag auf der Überwachung der Reaktorleistung bei niedrigem Druck. Hier kam der Druckmessumformer Cerabar PMC51B zum Einsatz, der auch unter diesen Bedingungen zuverlässige Messergebnisse liefert. Die Durchflussmessung wurde mit zwei unterschiedlichen Technologien realisiert: Das Vortex-Durchflussmessgerät Prowirl D 200 eignet sich speziell für Dampf- und Gasströme, während das Coriolis-Durchflussmessgerät Promass E 200 eine hochpräzise Massenstrommessung ermöglicht. Ergänzt wird das System durch den Temperaturmessumformer iTherm Moduline TM111, der auch unter anspruchsvollen Betriebsbedingungen stabile und zuverlässige Temperaturwerte liefert.
Powtech Technopharm, Halle 9 – 233
CT-Fokusthema Wasserstoff
(Bild: Corona Borealis – stock.adobe.com)
In unserem Fokusthema informieren wir Sie zu allen Aspekten rund um das Trendthema Wasserstoff.
Einen Überblick über die ausgewählten Artikel zu einzelnen Fragestellungen – von der Herstellung über den Transport bis zum Einsatz von Wasserstoff – finden Sie hier.