Arbeitgeber und Gewerkschaft erreichen Abschluss

Einigung bei Chemie-Tarif 2022: Lohnerhöhung und Sonderzahlungen

Nach dreitägigen schwierigen Verhandlungen haben sich Arbeitgeber und Gewerkschaft auf einen Tarifabschluss verständigt: Die 580.000 Beschäftigten erhalten demnach eine tabellenwirksame Entgelterhöhung sowie eine Sonderzahlung in zwei Stufen.

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Pressekonferenz nach Abschluss der Chemie-Tarifverhandlungen 2022
Die beiden Verhandlungsführer Ralf Sikorski (links) und Hans Oberschulte erklärten die Einigung in einer Pressekonferenz.

Die Beschäftigten erhalten demnach 3,25 % mehr Entgelt ab Januar 2023 sowie weitere 3,25 % ab Januar 2024. Beide Stufen der Entgelterhöhung sind flexibilisiert: sie können aus wirtschaftlichen Gründen jeweils um bis zu drei Monate verschoben werden. Zusätzlich zahlen die Unternehmen 3.000 Euro pro Kopf als einmaliges steuer- und beitragsfreies Inflationsgeld. Die Auszahlung erfolgt in zwei Tranchen von je 1.500 Euro spätestens im Januar 2023 sowie im Januar 2024. Der geschlossene Tarifvertrag endet am 30. Juni 2024 und gilt für 1.900 Betriebe mit 580.000 Beschäftigten.

Die Sonderzahlungen und tabellenwirksame Entgelterhöhungen erzeugen nach Berechnungen der Gewerkschaft in Summe für Chemie-Beschäftigte eine Nettoentlastung von durchschnittlich 12,94 %, in der Einstiegs-Entgeltgruppe liegt sie bei 15,64 %.

„In dieser historischen Ausnahmesituation mit ungekannten Inflationsraten und drohender Rezession haben die Tarifparteien Verantwortung für die Beschäftigten, den Industriestandort und die Binnennachfrage zugleich übernommen“, sagte der Vorsitzende der Chemiegewerkschaft IGBCE, Michael Vassiliadis. „Dieser Abschluss hat Signalwirkung über die Branche hinaus. Beweist er doch, dass gut gemachte Tarifpolitik zentraler Baustein eines gesamtgesellschaftlichen Bollwerks gegen Inflation und Energiekrieg sein kann.“

Auch Kai Beckmann, Präsident des Arbeitgeberverbandes BAVC zeigte sich zufrieden mit dem Abschluss: „Mit diesem Ergebnis halten wir die Balance zwischen der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und den Interessen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir senden ein Signal für Standort und Beschäftigung: Arbeitgeber und Gewerkschaft ziehen in der Krise an einem Strang“. Selten seien die Sozialpartner so gefordert gewesen wie in dieser Tarifrunde, sagte Beckmann.

Die Einigung im Überblick

  • Entgelterhöhung: Zweimal 3,25 Prozent für 20 Monate

Die Beschäftigten der Chemie- und Pharmabranche erhalten ab 1.1.2023 in einem ersten Schritt zunächst 3,25 % mehr Entgelt. Ab 1.1.2024 steigen die Entgelte um weitere 3,25 %. Die Ausbildungsvergütungen steigen entsprechend. Die Laufzeit des Tarifvertrages beträgt 20 Monate. Die Brückenregelung von April eingerechnet, beträgt die Laufzeit 27 Monate. Die bezirklichen Entgelttarifverträge laufen damit bis Ende Juni 2024.

  • Differenzierung: Flexibilität für die Betriebe

Beide Stufen der Entgelterhöhung sind flexibilisiert. Sie können aus wirtschaftlichen Gründen jeweils um bis zu drei Monate verschoben werden. Bei roten Zahlen wird die Entgelterhöhung um zwei Monate verschoben, bei einer Nettoumsatzrendite unter 3 % um einen Monat. Auf Basis einer Betriebsvereinbarung sind drei Monate Verschiebung möglich.

  • Einmaliges Inflationsgeld: 3.000 Euro brutto für netto

Die Chemie-Sozialpartner haben zudem ein einmaliges steuer- und beitragsfreies Inflationsgeld in Höhe von 3.000 Euro pro Tarifbeschäftigten vereinbart, das in zwei Tranchen von je 1.500 Euro spätestens zum 31.1.2023 bzw. 31.1.2024 ausgezahlt wird. Teilzeitbeschäftigte erhalten eine anteilige Zahlung, mindestens aber je 500 Euro. Auszubildende erhalten je Tranche 500 Euro Inflationsgeld. Ziel ist, gestiegene Lebenshaltungskosten für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Branche teilweise auszugleichen, aber dauerhafte Belastungen der Unternehmen zu begrenzen. IGBCE und BAVC nutzen damit den im Rahmen der konzertierten Aktion entwickelten Spielraum für die Tarifparteien.

  • Stärkung der Tarifbindung als gemeinsames Ziel

Darüber hinaus wollen IGBCE und BAVC gemeinsam an der Stärkung der Tarifbindung in Deutschland arbeiten. Sozialpartnerschaft, Tarifverträge und Tarifbindung sind Grundpfeiler der Sozialen Marktwirtschaft, die gerade auch in der Krise ihren Wert für Wirtschaft und Gesellschaft unter Beweis stellen. Die tiefgreifende Transformation unserer Branche erfordert ebenfalls handlungsfähige Sozialpartner mit dem Willen zur Veränderung. In einem strukturierten Prozess werden die Chemie-Sozialpartner im Rahmen der Laufzeit des Tarifvertrages Ideen für tarifliche Regelungen zur Stärkung der Tarifbindung auf beiden Seiten entwickeln.

Bildergalerie: Das waren die Forderungen der Chemiegewerkschaft

Streik
Die Chemie-Tarifverhandlungen betreffen deutschlandweit rund 580.000 Beschäftigte in der chemisch-pharmazeutischen Industrie. Die Gespräche zwischen der Gewerkschaft und den Arbeitgebern sind am 2. März zunächst auf regionaler Ebene gestartet, am 21. März wird in Hannover erstmals auf Bundesebene verhandelt.
Gehalt
Ins Zentrum ihrer Forderungen hat die Chemiegewerkschaft die Erhöhung der Löhne und Gehälter sowie der Ausbildungsvergütungen gestellt. Angesichts des Fachkräftemangels seien Investitionen ins Personal im ureigenen Interesse der Chemiebetriebe. "Sie brauchen dringend eine Investitionsoffensive – mit Blick auf ihre Attraktivität als Arbeitgeber, die Wertschätzung ihrer Beschäftigten, die Nachwuchsarbeit“, sagte der stellvertretende IGBCE-Vorsitzende Ralf Sikorski.
Inflation
Eine genaue Zahl, um wieviel die Entgelte steigen sollen, nennt die Gewerkschaft nicht. Da die Beschäftigten wie der Rest der Bevölkerung derzeit von der hohen Inflation betroffen ist, müsse aber am Ende "ein Plus oberhalb der Teuerungsrate" stehen. Die Inflationsrate in Deutschland lag im Januar 2022 bei 4,9 % (im Vergleich zum Vorjahr).
Nachtbetrieb
Gefordert wird außerdem eine Erhöhung der Schichtzuschläge für die Beschäftigten in Nachtschichten auf einheitlich 25 %. „Es waren die Schichtarbeiter, die in der Pandemie 24/7 den Laden am Laufen gehalten haben, während ihre Vorstände im Homeoffice arbeiten konnten“, so Gewerkschaftsfunktionär Sikorski. Heute sei Schichtarbeit für junge Menschen unattraktiver denn je. „Wir müssen und werden das ändern.“
Homeoffice
Die Attraktivität des Arbeitsplatzes steht auch beim Thema "mobile Arbeit" und Homeoffice im Vordergrund. Die Arbeitswelt werde sich in den nächsten Jahren "massiv verändern", glaubt die Chemiegewerkschaft. Daher bedürfe es klarer tariflicher Leitplanken für betriebliche Vereinbarungen, "damit wir für die gesamte Branche zu einheitlichen Qualitätsanforderungen an gute mobile Arbeit kommen".
Ausbildung
Eine weitere wichtige Forderung betrifft die Ausbildung. In der Corona-Krise hatten zudem viele Chemieunternehmen ihre Ausbildungsanstrengungen zurückgefahren, so die Gewerkschaft. Das sei "ein falsches Signal an die junge Generation". Die IGBCE will deshalb neue Fördermöglichkeiten zur Ausbildung Jugendlicher schaffen.
Umfrage
Ihre Forderungen stützt die Gewerkschaft auf die Beobachtung, dass die wirtschaftliche Situation der Chemie- und Pharmabranche positiv sei. In einer Umfrage gaben 78 % der befragten Beschäftigten an, ihrem Arbeitgeber gehe es gut bis glänzend.
Stop
Die Arbeitgeber sehen dies naturgemäß anders. Trotz der deutlichen Erholung der letzten Monate liege die Produktion der chemisch-pharmazeutischen Industrie nach Rezessionsverlusten und Corona-Krise noch nicht wieder auf Wachstumskurs, erklärte etwa der Hauptgeschäftsführer der Chemie-Arbeitgeber Westfalen Dirk W. Erlhöfer. Außerdem seien die Betriebe „flächendeckend durch massiv gestiegene Energie- und Rohstoffkosten sowie Logistikprobleme belastet“. Die Arbeitgeberverbände weisen die Forderungen der IG BCE daher als „teures Überraschungspaket“ weitgehend zurück.
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