CT: Wie kam es zu der Zusammenarbeit zwischen Fraunhofer und Evonik?
Dr.-Ing. Ursula Schließmann: Die Idee zu dem Projekt ist bei Fraunhofer gemeinsam mit dem IBBS an der Universität Stuttgart entstanden. Beide sind auf Bioverfahrenstechnik und Biotechnologie spezialisiert. Bei Fraunhofer haben wir immer das Ziel, unsere Forschung immer auch in die Skalierung zu bringen und in der Praxis zu demonstrieren. Da lag der Kontakt zu Evonik nahe: Mit dem früheren Standortleiter Herrn Breuer haben wir schon in dem Projekt Ultra-Effizienzfabrik zusammengearbeitet. Dort ging es um die Effizienz von Prozessen und unter anderem eben auch darum, Kreisläufe zu schließen. Da haben wir bereits gemerkt: Die beiden Partner sind auf der gleichen Linie. Wir wollen etwas Innovatives machen und einen gesamtheitlichen Ansatz verfolgen. Das kommt uns beim neuen Projekt auch entgegen. Denn dort geht es zwar vor allem um Wasserstoff, aber eben auch um zusätzliche Koppelprodukte. Und alles basiert auf Prozessströmen, die bisher nicht verwertet werden.
CT: Was macht die Idee für Evonik so interessant?
Susanne Pausch: Am Standort Rheinfelden stellen wir schon seit vielen Jahrzehnten sogenannten grauen Wasserstoff her. Wasserstoff ist bei uns für viele Prozesse notwendig, wir stellen am Standort unter anderem Wasserstoff-Peroxid, Silica und Silane-Produkte her. Bei Evonik gibt es verschiedene Nachhaltigkeitsinitiativen, daher stellt sich für uns natürlich die Frage, wie wir von grauem zu klimaneutralem Wasserstoff kommen können. Daher war das Fraunhofer-Projekt für uns von Anfang an sehr interessant. Dabei kommt uns entgegen, dass wir am Standort auch diejenigen Stoffe vorliegen haben, die von den Bakterien verarbeitet werden können. Das ist für uns attraktiv, da sich die Aufarbeitung dieser Abfallstoffe aktuell nicht lohnt und wir diese zum Teil aufwendig entsorgen müssen. Wenn wir stattdessen den Kreislauf schließen können und aus den Abfällen wieder Ausgangstoffe machen können: Besser geht’s nicht!
CT: Wie ist der aktuelle Stand im Projekt?
Ursula Schließmann: Aktuell sind wir in den beteiligten Instituten mit der Konzipierung der passenden Anlagen beschäftigt. Ziel ist es, die Skalierung auf einen Reaktor ungefähr im 100-Liter-Maßstab zu schaffen. Diese Anlage wollen wir am Institut einfahren und dann an den Evonik-Standort bringen. Auch dort können wir dann den Prozess noch anpassen. Auf der Basis der praktischen Erfahrungen können wir dann Szenarien rechnen, ob sich eine Anlage im industriellen Maßstab auch wirtschaftlich rentieren würde. Wichtig ist dabei, dass wir einen hohen Grad an Automatisierung vorgesehen haben, unter anderem auch maschinelles Lernen, um die Ausbeute der Anlage zu verbessern.
Susanne Pausch: Schon aktuell stellen wir unsere Abfallströme vom Standort Rheinfelden bereit, um sehen zu können, ob die Bakterien auch wirklich mit unserem Prozesswasser zurechtkommen, oder ob man noch etwas substituieren oder Konzentrationen verändern muss.
CT: Welche Abfallströme nutzen Sie konkret?
Susanne Pausch: Verwendet werden bei diesem Projekt flüssige Abfallströme, die sehr ethanolhaltig sind. Das sind in der Regel Spülwässer, mit denen wir unsere Anlagen reinigen. Diese können zwar noch Produktanhaftungen enthalten, der Hauptteil besteht aber aus Ethanol und Wasser. Da diese Zusammensetzung an vielen Chemiestandorten anfallen dürfte, ist die Idee sicher auch über den Standort Rheinfelden hinaus interessant.
CT: Für welche Betriebe eignet sich das Konzept aus Ihrer Sicht?
Ursula Schließmann: Das ist tatsächlich auch eines der Ziele dieses Projektes: herauszufinden, ob sich der Prozess auf andere Betriebe ausweiten lässt. Da geht es dann darum, zu definieren, was die minimalen Grenzgrößen sind, ab denen sich der Prozess auch wirtschaftlich rechnet. Am Standort eines großen Konzerns wie Evonik fallen mehr Substrate an, die sich nutzen lassen. Bei einem Mittelständler sind da nur deutlich kleinere Mengen verfügbar. Neben der Skalierung ist aber auch die Frage, ob sich der Prozess sogar auf ganz andere Stoffströme übertragen lässt. Klar ist aber auch, dass die Chemieindustrie hier ganz besondere Voraussetzungen bietet. Ein Recyclingunternehmen beispielsweise wird sich ungern eine biotechnologische Anlage auf den Hof stellen. Für einen chemischen Betrieb ist das im Hinblick auf das Geschäftsmodell eine ganz andere Rechnung, da er ohnehin verfahrenstechnische Anlagen betreibt und sich damit auskennt.
Susanne Pausch: Bei der Frage der Wirtschaftlichkeit muss man auch immer in Betracht ziehen, dass Stoffe zum Einsatz kommen, die sonst aufwendig und teuer entsorgt und möglicherweise über große Strecken zum passenden Entsorgungsbetrieb transportiert werden müssten. Diese eingesparten Entsorgungs- und Transportkosten tragen natürlich auch zur Gesamtrechnung bei.