Chemie-Tarifverhandlungen: Das sind die aktuellen Positionen
Die Tarifverhandlungen für die Chemieindustrie wurden aufgrund der Ukraine-Krise vorläufig ausgesetzt. Wir zeigen die Positionen und Forderungen, mit denen die Tarifparteien in die für Oktober geplante nächste Runde gehen.
Archiv(Bild: Zuletzt hatten sich die Tarifparteien 2019 auf ein umfangreiches Paket für die 580.000 Beschäftigten in der Branche geeinigt. (IGBCE)
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Update, 5. April 2022:In den Tarifverhandlungen am 4. und 5. April haben sich die Tarifparteien angesichts der Ukraine-Krise auf eine Übergangslösung geeinigt. Die in diesem Artikel dargestellten Forderungen sollen im Oktober weiterverhandelt werden. Wir haben den Artikel entsprechend aktualisiert. Die Details zur sogenannten Brückenlösung finden Sie hier.
Auch nach der Einigung auf eine Brückenlösung in Form einer Einmalzahlung, scheint noch immer Uneinigkeit in der Einschätzung der wirtschaftlichen Lage in der Chemieindustrie: zu herrschen. Während die Gewerkschaft immer wieder auf die positive Bilanz und steigende Umsätze der Branche im Jahr 2021 betont, verweist Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) auf die stark steigenden Energie- und Rohstoffpreise sowie die Unsicherheiten durch den Ukraine-Konflikt.
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Auch die Gewerkschaft konstatierte in den Verhandlungen zuletzt eine „großer Unsicherheit für Beschäftigte wie Unternehmen“, geht jedoch davon aus, dass die Unternehmen die gestiegenen Preise weiterreichen können, während dies für die Arbeitnehmer nicht möglich ist. Oliver Heinrich, Verhandlungsführer Nordost der Gewerkschaft, bezeichnete die Argumente der Arbeitgeber im Vorfeld der ersten Gespräche in Hannover als „Gejammere“, der Arbeitgeberverband sprach von „nicht nachvollziehbaren“ Forderungen. Die Verhandlungen waren vor diesem Hintergrund nicht einfach. Auch nach der Einigung auf eine Zwischenlösung, geht BAVC-Präsident Kai Beckmann nicht davon aus, "dass die Verhandlungen dann einfacher werden".
Höhere Löhne: Das fordert die Chemiegewerkschaft
Denn auch für die Gespräche im Oktober will die Gewerkschaft weiterhin an ihrer Forderung einer "dauerhaften Steigerung der Entgelte noch in diesem Jahr" festhalten. Die Zwischenlösung sei "alles andere als unsere Wunschvorstellung", betonte der Verhandlungsführer und stellvertretende Vorsitzende der IGBCE, Ralf Sikorski, nach der Einigung. Im Mittelpunkt der Forderung der Gewerkschaft stand von Anfang an eine nachhaltige Steigerung der Kaufkraft für die 580.000 Beschäftigten der Branche, das heißt höhere Löhne und Gehälter. Auf einen genauen Prozentsatz hat sich die Gewerkschaft dabei nie festgelegt, der Anstieg sollte aber ursprünglich oberhalb der Inflationsrate liegen.
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Die Forderungen der Chemiegewerkschaft in Bildern
Die Chemie-Tarifverhandlungen betreffen deutschlandweit rund 580.000 Beschäftigte in der chemisch-pharmazeutischen Industrie. Die Gespräche zwischen der Gewerkschaft und den Arbeitgebern sind am 2. März zunächst auf regionaler Ebene gestartet, am 21. März wird in Hannover erstmals auf Bundesebene verhandelt.(Bild: IG BCE)
Ins Zentrum ihrer Forderungen hat die Chemiegewerkschaft die Erhöhung der Löhne und Gehälter sowie der Ausbildungsvergütungen gestellt. Angesichts des Fachkräftemangels seien Investitionen ins Personal im ureigenen Interesse der Chemiebetriebe. "Sie brauchen dringend eine Investitionsoffensive – mit Blick auf ihre Attraktivität als Arbeitgeber, die Wertschätzung ihrer Beschäftigten, die Nachwuchsarbeit“, sagte der stellvertretende IGBCE-Vorsitzende Ralf Sikorski.(Bild: K.-U. Häßler – stock.adobe.com)
Eine genaue Zahl, um wieviel die Entgelte steigen sollen, nennt die Gewerkschaft nicht. Da die Beschäftigten wie der Rest der Bevölkerung derzeit von der hohen Inflation betroffen ist, müsse aber am Ende "ein Plus oberhalb der Teuerungsrate" stehen. Die Inflationsrate in Deutschland lag im Januar 2022 bei 4,9 % (im Vergleich zum Vorjahr).(Bild: sewcream – stock.adobe.com)
Gefordert wird außerdem eine Erhöhung der Schichtzuschläge für die Beschäftigten in Nachtschichten auf einheitlich 25 %. „Es waren die Schichtarbeiter, die in der Pandemie 24/7 den Laden am Laufen gehalten haben, während ihre Vorstände im Homeoffice arbeiten konnten“, so Gewerkschaftsfunktionär Sikorski. Heute sei Schichtarbeit für junge Menschen unattraktiver denn je. „Wir müssen und werden das ändern.“(Bild: Thorsten Frisch – stock.adobe.com)
Die Attraktivität des Arbeitsplatzes steht auch beim Thema "mobile Arbeit" und Homeoffice im Vordergrund. Die Arbeitswelt werde sich in den nächsten Jahren "massiv verändern", glaubt die Chemiegewerkschaft. Daher bedürfe es klarer tariflicher Leitplanken für betriebliche Vereinbarungen, "damit wir für die gesamte Branche zu einheitlichen Qualitätsanforderungen an gute mobile Arbeit kommen".(Bild: Jürgen Fälchle – stock.adobe.com)
Eine weitere wichtige Forderung betrifft die Ausbildung. In der Corona-Krise hatten zudem viele Chemieunternehmen ihre Ausbildungsanstrengungen zurückgefahren, so die Gewerkschaft. Das sei "ein falsches Signal an die junge Generation". Die IGBCE will deshalb neue Fördermöglichkeiten zur Ausbildung Jugendlicher schaffen.(Bild: industrieblick – stock.adobe.com)
Ihre Forderungen stützt die Gewerkschaft auf die Beobachtung, dass die wirtschaftliche Situation der Chemie- und Pharmabranche positiv sei. In einer Umfrage gaben 78 % der befragten Beschäftigten an, ihrem Arbeitgeber gehe es gut bis glänzend.(Bild: IG BCE)
Die Arbeitgeber sehen dies naturgemäß anders. Trotz der deutlichen Erholung der letzten Monate liege die Produktion der chemisch-pharmazeutischen Industrie nach Rezessionsverlusten und Corona-Krise noch nicht wieder auf Wachstumskurs, erklärte etwa der Hauptgeschäftsführer der Chemie-Arbeitgeber Westfalen Dirk W. Erlhöfer. Außerdem seien die Betriebe „flächendeckend durch massiv gestiegene Energie- und Rohstoffkosten sowie Logistikprobleme belastet“. Die Arbeitgeberverbände weisen die Forderungen der IG BCE daher als „teures Überraschungspaket“ weitgehend zurück.(Bild: wsf-f – stock.adobe.com)
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Weitere Forderungen sahen eine Erhöhung der Nachtschicht-Zuschläge auf einheitlich 25 % sowie Verbesserungen für mobile Arbeit und Beschäftigte im Home-Office sowie mehr Ausbildungsanstrengungen der Unternehmen vor. Hier haben sich die beiden Tarifparteien bereits in der Brückenlösung weitgehend geeinigt. Demnach sollen die Nachtzuschläge in der Schichtarbeit auf 20 % vereinheitlicht werden – ursprünglich hatte die Gewerkschaft 25 % gefordert. Außerdem soll die Praxis der mobilen Arbeit in den Unternehmen wissenschaftlich evaluiert werden, um hier zukunftsfähige Konzepte zu finden. Beide Seiten haben darüber hinaus auf Eckpunkte eines Tarifvertrags zur Einführung des so genannten Sozialpartnermodells verständigt, der die betriebliche Altersvorsorge attraktiver machen und bis 30. Juni stehen soll.
Arbeitgeber lehnen Forderungen weitgehend ab
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Für die Arbeitgeber gehen aber insbesondere die Entgelt-Forderungen noch zu weit. BAVC-Verhandlungsführer Hans Oberschulte nannte die Wünsche der Gewerkschaft vor dem Verhandlungsstart in Hannover ein „Fass ohne Boden“. Die derzeit überzeichnete Inflation könne nicht der Maßstab für die Verhandlungen sein. „Nur ein Teil der Betriebe kann diese Kostensteigerung weitergeben. Bei allen anderen geht das zu Lasten der Erträge. Bleibt die IGBCE bei ihrer Forderung, bedeutet das nichts anderes, als dass die Unternehmen doppelt zahlen sollen – mit höheren Kosten und mit noch höheren Tarifentgelten. Das geht zu weit“, so Oberschulte. Diese grundsätzliche Haltung wiederholte der Verhandlungsführer auch nach den Gesprächen über eine Brückenlösung: „Wir müssen austarieren, welche Belastungen wir den Unternehmen dauerhaft zumuten und welche nur temporär sein können", so Oberschulte nach den beiden Verhandlungstagen in Hannover.
Das nach den Verhandlungen im Oktober am Ende auch eine langfristige Entgelt-Steigerung für die Beschäftigten steht, bleibt damit unsicher. Die Gespräche sollen erst zeigen, "ob dauerhafte Entgeltsteigerungen möglich sind", wie der BAVC in seiner Pressemitteilung zur Brückenlösung schreibt. "Aber sie finden hoffentlich auf einer solideren Grundlage und in Friedenszeiten statt", so BAVC-Präsident Beckmann.
Die Arbeitgeber sehen die Chemieindustrie vor einem massiven Umbruch – die Devise laute daher "investieren statt verteilen".(Bild: pics – Fotolia)
Die Arbeitgeber verlangen in ihrer grundsätzlichen Position auch, dass die Gewerkschaft mehr Rücksicht auf den „massiven Umbruch“ nehmen solle, in dem sich die chemische Industrie derzeit befinde. Für die Umstellung auf klimaneutrale Produktion und Kreislaufwirtschaft, für Digitalisierung und demografischen Wandel seien Investitionen in dreistelliger Milliardenhöhe erforderlich. „Wir müssen investieren statt verteilen, damit Standort und Beschäftigung auf Dauer eine gute Zukunft in Deutschland haben“, so Verhandlungsführer Oberschulte.