- Die Corona-Pandemie hat Vorhersagen zum Ölpreis 2020 hinfällig gemacht, und auch zuverlässige Prognosen für 2021 waren schwierig.
- Nach dem überraschenden Absturz durch die Pandemie und nahezu vollständigem Kollaps mit vorrübergehend negativen Preisen auf dem amerikanischen Markt zeigen sich die Analysten nun wieder vorsichtig optimistisch.
- Grund für diesen Optimismus ist ein langsamer aber stetiger Aufwärtstrend des Ölpreises in der ersten Jahreshälfte 2021.
Eigentlich veröffentlichen wir die Analyse der Ölpreis-Prognosen und die Auflösung der Wette vom letzten Jahr immer zum Jahresanfang. Doch dieses Jahr, nun – irgendwie gab es wichtigere Dinge als Öl. Meinen letzten Überblick der Ölpreis-Prognosen – Titel: „Wieder nichts?“ – habe ich Ende Januar 2020 beendet mit dem Satz: „Unter den derzeitigen Bedingungen scheint nur eins vorhersehbar: die Unvorhersehbarkeit.“ Wir alle wissen: Was dann passierte, war mehr als unvorhergesehen.
Weniger als nichts
Sämtliche in dem erwähnten Überblick aufgegriffenen Prognosen konnte ich nur wenige Monate später unter dem Titel „Niemand will Öl“ als hinfällig erklären. Der Effekt der beginnenden Pandemie auf den Ölpreis war dramatisch, im Rückblick geradezu spektakulär: Unter den weltweit einsetzenden drastischen Maßnahmen zum Infektionsschutz und den damit verbundenen Einschränkungen in Transport und Produktion ließ sich Öl einfach nicht mehr verkaufen. Mitte April 2020 ließ es sich dann nicht einmal mehr lagern: Die Vorratstanks an den Terminals der US-Golfküste und sämtliche verfügbaren vorrübergehenden Lagermöglichkeiten waren voll. Die Händler suchten so händeringend nach Abnehmern, dass sie kurzfristig sogar draufzahlten, um zusätzliche Lagerkosten zu minimieren. Erstmals in der Geschichte des Ölpreises fiel der Wert eines Barrels der Ölsorte WTI unter null – weniger als nichts. Unter diesen Voraussetzungen lässt sich den Analysten kein Vorwurf machen, wie sehr sie mit ihren Prognosen für den durchschnittlichen Ölpreis 2020 danebengelegen haben. Mit Schätzungen von etwas mehr als 60 US-Dollar für ein Barrel Brent waren sich die von uns ausgewählten Organisationen weitgehend einig: verhältnismäßig stabil gegenüber dem Wert von 64,3 USD im Jahr 2019. Der pandemiebedingte Absturz im Frühjahr drückte den Durchschnittspreis 2020 dann tatsächlich auf knapp
42 USD zum Jahresende.
Vorsichtiger Optimismus
Nimmt man diesen prägenden Effekt jedoch aus der Betrachtung, so lagen die Analysten zumindest mit dem Blick auf die langfristige Entwicklung richtig: Auf den Totalausfall im April folgte eine relativ rasche Erholung, den Rest des Jahres pendelte der Ölpreis dann tatsächlich einigermaßen stabil bei etwas mehr als 40 USD – 20 Dollar weniger als erwartet, aber stabil. Ab November begann ein langsamer aber stetiger Anstieg, bei Jahresende lag der Kurs bei 51,2 USD. Im Februar 2021, rund ein Jahr nach dem Absturz, war das Vor-Pandemie-Niveau wieder erreicht.
Entsprechend zeigen die meisten Analysten wieder vorsichtigen Optimismus, dass der Ölpreis zumindest einigermaßen stabil bleibt oder sogar weiter steigt. Hinzu kommt natürlich, dass das Jahr bereits zu gut drei Vierteln um ist, was den weiteren Verlauf leichter abzuschätzen macht. Aber angesichts des großen unerwarteten Schocks im letzten Jahr sei dieser kleine Vorteil bei der aktuellen Ölpreis-Wette gewährt. Dennoch zurückhaltend ist die niederländische Bank ABN Amro, die mit einer Prognose von 63 USD/Barrel noch auf weitere unangenehme Überraschungen oder Entwicklungen eingestellt ist. Am oberen Ende der Prognosen befinden sich diesmal die Citi Group und die Bank Goldman Sachs, mit erwarteten 72 bzw. 72,6 USD/Barrel. Die US-amerikanische Energiebehörde, die bei Prognosen für 2019 noch zu den Pessimisten mit niedriger Prognose gehörte, liegt nun mit 68,7 USD/Barrel im oberen Bereich der Vorhersagen.
Warum eigentlich Öl?
Dem Energiegehalt nach entspricht ein Barrel Erdöl rund 47,3 kg Wasserstoff, dem derzeit angesagten Energieträger der Zukunft. Um gegenüber fossilen Energieträgern konkurrenzfähig zu sein, hat der norwegische Wasserstoffproduzent Nel sich das Ziel gesteckt, die Produktionskosten auf 1,5 USD/kg Wasserstoff zu senken, was auf ein Barrel-Äquivalent hochgerechnet, knapp 71 Dollar entspräche, also vergleichbar mit dem aktuellen Ölpreis. Derzeit, Stand August 2021, ist die Produktion von grünem Wasserstoff mit fast 6 USD/kg allerdings noch rund viermal so hoch, ein Barrel-Äquivalent von 47,3 kg grünem Wasserstoff kostet demnach noch 283,3 Dollar – Tendenz vermutlich fallend.