- Nach Rechtsstreitigkeiten um umwelt- und gesundheitsschädliche PFAS zieht sich der US-Konzern 3M aus der Produktion und Verarbeitung dieser Stoffe zurück
- Davon betroffen ist die 3M-Tochter Dyneon in Gendorf, der einzige Hersteller von Fluorpolymeren in Deutschland und einer von wenigen in Europa.
- Die von Dyneon bislang hergestellten Hochleistungskunststoffe sind essenziell für aktuelle Entwicklungstrends wie Wasserstoffwirtschaft, Halbleitertechnik für KI-Anwendungen und moderne Mobilfunk-Technologie, und angemessener Ersatz ist kaum zugänglich.
Poly- und Perfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) sind langkettige Kohlenwasserstoffe, in denen jedoch die Mehrzahl oder sogar alle Wasserstoffatome entlang des Kohlenstoff-Rückgrats durch Fluor ersetzt sind. Die gesamte Stoffklasse umfasst weit über 10.000 einzelne Stoffe.
Was sind PFAS, und was ist das Problem?
PFAS sind chemisch äußerst stabil, sie reagieren kaum bis gar nicht mit anderen Stoffen, selbst aggressiven Chemikalien. Sie sind dadurch auch wasser-, schmutz-, und fettabweisend, weshalb sie beliebte Bestandteile für Oberflächenbeschichtungen von Alltagsgegenständen wie Regenjacken, Outdoor-Schuhen oder Töpfen und Pfannen, aber auch verschiedener Lebensmittelverpackungen sind. Darüber hinaus sind sie als Beschichtungen und Schmiermittel aus zahlreichen Industrieprozessen nicht wegzudenken.
Die große Stärke dieser Substanzen ist gleichzeitig ihre größte Schwäche, genauer gesagt Ursache eines Problems: In der Natur werden sie fast gar nicht oder zumindest nur sehr langsam abgebaut, weshalb sie auch den Beinamen „Ewigkeitschemikalien“ erhalten haben. PFAS reichern sich dadurch in der Umwelt an und sind mittlerweile praktisch überall analytisch nachweisbar: im Boden, in Abwässern und gelegentlich im Trinkwasser, in Flüssen und Fischen, in Fleisch, Eiern und Milchprodukten sowie in menschlichem Blut und Muttermilch.
Diese Allgegenwärtigkeit ist ein Problem, seit bekannt ist, dass einzelne PFAS krebserregend sind. Aufmerksamkeit und Sorge gilt hier besonders den langkettigen perfluorierten Alkylsäuren (Perfluoroalkyl Acids, PFAA) und deren ebenfalls fluorierten Ausgangsstoffen. Einzelne Vertreter dieser Kategorie, beispielsweise die Perfluoroctansäure, sind sogar bereits in der EU verboten. Diese Gesundheitsschädlichkeit war der Auslöser für Bestrebungen, PFAS auf Grundlage der EU-Chemikalienverordnung Reach kategorisch zu verbieten.
Was hat es mit Fluorpolymeren auf sich?
Eine andere wichtige Unterkategorie von PFAS, die bei einem vollständigen Verbot ebenfalls betroffen wäre, sind die sogenannten Fluorpolymere. Dahinter stecken unter anderem die verbreiteten Hochleistungskunststoffe FTP, FKM oder FFKM und PTFE, letzteres besonders bekannt unter dem Handelsnamen Teflon. Ein Verbot, das sich auch auf diese wichtigen Kunststoffe erstreckt, ist in mehrerer Hinsicht umstritten: Erstens gelten sie als gesundheitlich unbedenklich, weshalb es für ein Verbot keinen Anlass gäbe. Ein PFAS-Teilverbot genau abzugrenzen und zu definieren, für welche Stoffe es gelten soll, ist allerdings zeitaufwendiger und komplizierter. Zweitens sind Fluorpolymere im Alltag so allgegenwärtig wie PFAS in der Umwelt, und sind nahezu unersetzlich in zahlreichen geradezu lebenswichtigen Anwendungen.
PFAS-Verbot: Alle? Und wenn ja, wie viele?
Ein Pauschalverbot von PFAS wurde bereits im Vorfeld von Industrievertretern und Organisationen kritisiert – zu viele essenzielle Verbindungen wären kurzfristig nicht oder nur sehr schwer zu ersetzen, ganze Lieferketten könnten ins Wanken kommen oder brechen. Bei der europäischen Chemiekalien-Behörde ECHA in Helsinki sind bis zum Ende der Konsultationsfrist Ende September 2023 insgesamt über 5.600 Stellungnahmen von mehr als 4.400 Organisationen, Unternehmen und Einzelpersonen eingegangen. „Ein solches großes Verfahren hat die ECHA noch nie erlebt“, verdeutlicht der Fluorpolymer-Experte Dr. Michael Schlipf, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmens Fluorocarbon Polymer Solutions. Die Zahl der Eingaben übertriftt bei weitem das bislang größte Verfahren der Behörde: Als es um Mikroplastik ging, erfolgten gut 800 Eingaben.
Bevor die ECHA ein Urteil fällen oder ein Verbot einzelner Verbindungen oder von PFAS als Ganzes anordnen kann, müssen diese Stellungnahmen gesichtet, geprüft und bewertet werden, und zwar sowohl vom Ausschuss für Risikobewertung wie auch vom Ausschuss für Sozioökonomische Analyse. Die Auswertung der 800 Eingaben zum Mikroplastik dauerte etwa fünf Jahre. Zwar ist anzunehmen, das die ECHA den Prozess angesichts der Menge der Eingaben beschleunigen wird. Dennoch ist mit einer schnellen Entscheidung nicht zu rechnen, „in diesem Jahr wird definitiv nichts passieren“, schätzt Schlipf. Auch angesichts der anstehenden Europawahlen würden derartige Entscheidungen vorerst vertagt. Viele Unternehmen bereiten sich dennoch bereits auf das Worst-case-Szenario PFAS-Verbots vor: einerseits mit der Entwicklung PFAS-freier Alternativen in ihrem Produktportfolio, andererseits mit Vorbereitungen, sich aus der PFAS-Produktion und Verarbeitung zurückzuziehen.
Warum soll Dyneon geschlossen werden?
Eigentümer des im Industriepark Gendorf ansässigen Fluorpolymer-Herstellers Dyneon ist der US-amerikanische Konzern 3M. Dieser hat angekündigt, den Standort Dyneon zu schließen und rückzubauen. Verschiedene Ansätze, den Standort zu retten, sind gescheitert: Während die deutsche Niederlassung von 3M einem Fortbestand des Standortes etwa in der Hand einer Stiftung gegenüber aufgeschlossen ist, ist die US-Zentrale an einem Verkauf nicht interessiert. Hintergrund ist ein Rechtsstreit von 3M mit verschiedenen Umweltorganisationen in den USA. Um den in diesem Verfahren zu zahlenden Schandenersatz auf 10 Mrd. US-Dollar zu begrenzen, hat sich der US-Konzern im Gegenzug bereit erklärt, seine PFAS-Produktion einzustellen und sich aus diesem Geschäftszweig vollständig zurückzuziehen, ohne wirtschaftlich davon zu profitieren. Die Produktion nicht zu beenden, sondern mit einem Verkauf an einen anderen Betreiber abzutreten, ist dem Konzern dadurch rechtlich zu riskant. Ein Ausweg wäre die bereits erwähnte Lösung, Dyneon und all dessen Verantwortlichkeiten an eine Stiftung zu überschreiben, die den Betrieb in Deutschland fortführt – doch auch dies lehnt der Konzern ab. Derzeit (Stand Juli 2024) setzt sich neben Vertretern von Industrie und Arbeitnehmern auch die Politik für diese Stiftungslösung ein, sowohl die bayerische Landesregierung als auch das Bundeskanzleramt unterstützen diesen Ansatz, um sowohl Arbeitsplätze im bayerischen Chemiedreieck als auch die Versorgung mit Fluorpolymeren über Deutschland hinaus zu sichern.
Rein wirtschaftlich kann sich 3M diesen Ausstieg überraschend gut erlauben, PFAS stellen nur 3% des Gesamtumsatzes des Konzerns dar, Fluorpolymere sind wiederum nur ein Bruchteil davon. „Mengenmäßig betrachtet sind Fluorpolymere ein Nischenprodukt“, erklärt Schlipf: Nur 0,1 % der weltweit produzierten Kunststoffe gehören zu diesen Hochleistungsmaterialien. Damit teilen sie eine Eigenschaft viele hochspezialisierter Lösungen: Sie werden nur in geradezu verschwindend geringer Menge benötigt – aber dort, wo sie nötig sind, sind sie unersetzlich. Die rein am Umsatz gemessen geringe Bedeutung könnte jedoch einem Verbot Auftrieb geben, da sich der finanzielle Verlust für die Hersteller in Grenzen hielte.
Was bedeutet das Dyneon-Ende für die deutsche Wirtschaft?
Die geplante Schließung von Dyneon mit seinen 560 Mitarbeitenden gab das Unternehmen Anfang 2023 bekannt. Ab Januar 2024 begannen erste Entlassungen, ab 2025 soll der Rückbau beginnen. Neben den verschwundenen Arbeitsplätzen hat das Verschwinden von Dyneon noch andere weitreichende Folgen. Dyneon ist beziehungsweise war der einzige Hersteller von Fluorpolymeren in Deutschland und einer von sehr wenigen in Europa. Mit der Schließung des Werkes in Gendorf sinken die Produktionskapazitäten für Fluorpolymere in Europa um rund die Hälfte. Das reißt eine große Lücke in die Lieferketten aller Abnehmer und Verarbeiter dieser Polymere – und das sind nicht wenige.
Die weite Verbreitung der Fluorpolymere beinhaltet, dass sie auch wichtig für viele aktuelle Megatrends sind: Membranen und Dichtungen in Wasserstoff-Elektrolyseuren, Bindemittel in Batterien und Isolierungen von Kabeln in E-Autos sowie Bestandteile der Antennen in 5G-Mobilfunkmasten sind nur einige ausgewählte Beispiele. In der Medizintechnik bestehen ebenfalls viele Implantate wie Stents oder Trockar-Röhren für die mikroinvasive Chirurgie aus dem Fluorpolymer PTFE. In all diesen Bereichen steigt mit dem Dyneon-Aus die Abhängigkeit von ausländischen Lieferanten für eine Materialklasse, die derzeit nur unzureichend zu ersetzen ist.
Und nicht nur die direkte Produktion bekäme Versorgungsschwierigkeiten, auch die Ansiedelung zukünftiger Betriebe könnte Komplikationen erleiden: Um die Versorgungsabhängigkeit in einem anderen Bereich zu senken, nämlich der Halbleiter- und Chip-Produktion, soll der Chip-Hersteller Intel bei Magdeburg eine Produktion aufbauen. Dessen Investitionsentscheidung dürfte jedoch auch stark von der Versorgungssicherheit mit notwendigen Rohstoffen abhängen, und zu diesen Rohstoffen gehören auch Fluorpolymere. „Wenn Dyneon zugemacht wird, wird es kein Intel in Magdeburg geben“, ist Schlipf überzeugt.
Darüber hinaus verschwindet mit dem Ende der Produktion am einzigen Produktionsstandort in Gendorf zusammen mit der heimischen Versorgung auch fast die gesamte Fachkenntnis über Fluorpolymere zumindest vorübergehend vom deutschen Markt. Das Risiko, dass die betroffenen Fachkräfte ins Ausland abwandern und das Know-how langfristig verloren geht, ist groß.
Angesichts all dieser Abhängigkeiten nimmt Schlipf die Politik in die Pflicht, sich mehr für den Erhalt des Standortes Gendorf einzusetzen: „Wir fordern, dass die einzige Produktionsanlage für Fluorpolymere in Deutschland unter neuem Eigentümer weitergeführt wird, weil es ein nationales Interesse Deutschlands daran geben sollte, dass die Versorgung mit Fluorpolymeren und allen davon abhängenden Technologien sichergestellt ist.“
Gibt es auch andere Bezugsquellen für Fluorpolymere?
Denn andere Quellen oder Lieferanten von Fluorpolymeren sind schwer zu finden. Der verbleibende europäische Produktionsstandort in Italien wird den Bedarf für ganz Europa nicht decken können, so dass mit drastischen Preissteigerungen zu rechnen ist. Russland und China als Lieferanten lässt die aktuelle geopolitische Lage kaum zu, geht es doch in vieler Hinsicht derzeit darum, die Abhängigkeit insbesondere von diesen beiden Nationen zu verringern. Die an anderen asiatischen Standorten produzierten Fluorpolymere entstehen oft noch unter deutlich größeren Umweltbelastungen, als dies unter den fortschrittlichen Bedingungen am Standorten wie Gendorf der Fall ist. Mit einem wachsenden Verantwortungsbewusstsein und auch wachsender Verantwortung der Betreiber im Rahmen des Lieferkettengesetzes kommen auch diese Bezugsquellen kaum in Frage. Der Rückzug des US-Konzerns 3M aus der gesamten PFAS-Produktion zeigt, dass auch die USA als Zulieferer nicht zuverlässig sind. Alternativen für die Herkunft der Fluorpolymere sind also genauso schwer zu finden wie Alternativen für die Polymere selbst.
Warum sind Fluorpolymere so schwer zu ersetzen?
Zugrundeliegende Eigenschaft der Fluorpolymere ist ihre hohe chemische Stabilität. Dadurch reagieren sie unter Normalbedingungen praktisch gar nicht mit anderen Substanzen, mit denen sie in Kontakt kommen, und bilden stabile und gleichzeitig völlig inerte Oberflächen. Diese Stabilität ist schon auf molekularer Ebene verwurzelt: Die Kohlenstoff-Fluor-Bindung ist die stärkste bekannte Bindung in der organischen Chemie. Aufgrund der Position des Elements Fluor im Periodensystem der Elemente ist eine stärkere oder zumindest vergleichbare Bindung kaum vorstellbar. Gleichermaßen schwierig zu finden ist damit eine Alternative zu Fluorpolymeren, die die gewünschten und geforderten Eigenschaften in sich vereint. Genauso universell einsetzbare Stoffe wie Fluorpolymere ohne deren Probleme sind derzeit undenkbar.
Für einzelne Polymere gibt es zwar bereits Ersatzmöglichkeiten. Diese sind jedoch in der Regel in ihren Eigenschaften hochspezifisch zugeschnitten auf die jeweilige Anwendung und müssen in anderen Bereichen Abstriche in Kauf nehmen. Im Bereich Dichtungen gibt es beispielsweise erste Fortschritte, für PTFE-Dichtungen existieren bereits Ersatzwerkstoffe mit vergleichbarem Leistungsprofil. Für das Hochleistungsmaterial FFKM dagegen ist bislang keine adäquate Alternative verfügbar.
Lassen sich Fluorpolymere recyclen?
Mit Recycling und Kreislaufführung ließen sich die mit Fluorpolymeren verbundenen Probleme vielleicht nicht vollständig lösen, aber zumindest stark abmildern: Einerseits gelangen weniger Abfälle in die Umwelt, andererseits dient das recycelte Material als Rohstoff und damit zusätzliche Quelle, die die Versorgung sichert.
Die notwendige Technologie dazu existiert bereits: Reste und Abfälle etwa aus der Produktion von Fluorpolymer-Halbzeugen lassen sich chemisch in Monomere überführen und aufreinigen, sodass sie wiederum als Ausgansstoff für neue Polymere dienen können. Da es sich um ein chemisches Recycling handelt, ist das Rezyklat in seinen Eigenschaften von Neumaterial praktisch nicht zu unterscheiden. Obendrein ist das Recycling sogar äußerst wirtschaftlich, erklärt Schlipf, da die Produktion fluorierter Monomere auf diesem Weg sogar günstiger ist, als deren klassische Synthese mit Flussspat als Rohstoff. Betreiber dieses Verfahrens können außerdem CO2-Gutschriften in der zehnfachen Menge der hergestellten Monomere erhalten, da der Herstellungsprozess aus Flussspat im Vergleich äußerst energieintensiv ist.
Eine Anlage zur Aufbereitung von Fluorpolymer-Abfällen ist bereits seit 2015 in Betrieb – bei Dyneon in Gendorf. Auch dieses Recycling und die damit verbundene Fachkenntnis entfällt mit einer drohenden Schließung des Dyneon-Werkes.