CT: Exyte hat seit der Gründung im Jahr 2018 ein beeindruckendes Wachstum gezeigt: von 3,5 Mrd. Euro Umsatz auf 8 Mrd. Euro, die Sie 2023 erwarten. Bis 2027 wollen Sie sogar die 10-Mrd.-Euro-Marke knacken. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?
Büchele: Wir haben unsere Strategie von Anfang an auf drei Zielbranchen mit langfristig überproportionalem Wachstum fokussiert: Halbleiter, Biopharma und Life-Sciences sowie Datencenter – und davon sind wir nicht abgewichen. Inzwischen ergänzen wir diese Strategie: Wir verstärken uns in der Vertikalen. Der Bereich Technology und Services bietet auch Maschinen und Apparate wie beispielsweise Dosiereinrichtungen oder Abgasreinigungsanlagen an, die für unsere Hauptarbeitsgebiete kritisch sind. Damit können wir unseren Kunden neben Engineering, Design und Projektabwicklung nun ein noch breiteres Portfolio anbieten. Für den Bereich Technology und Services planen wir weitere Akquisitionen.
CT: Laufen Sie damit nicht Gefahr, die Neutralität und Wahlfreiheit zu verlieren, die bei der Equipment-Auswahl im EPC-Geschäft ebenfalls wichtig ist?
Büchele: Aus meiner Sicht ist das eine Symbiose, die nicht notwendigerweise bedeutet, dass wir bei jedem EPC-Auftrag auch unser Equipment einsetzen. Wir bieten unsere Systeme natürlich an, der Kunde hat jedoch nach wie vor die freie Wahl. Wir haben im umgekehrten Fall Kunden, die noch kein EPC mit uns machen, aber Equipment bei uns kaufen. Über die Anlagenausrüstung verschaffen wir uns so einen Zugang zu weiteren potenziellen EPC-Kunden.
10. Engineering Summit
Bereits zum zehnten Mal veranstalten die VDMA Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau und Hüthig Medien / CHEMIE TECHNIK den Engineering Summit. Vom 1. bis 2. Oktober 2024 treffen sich auf der branchenübergreifenden Kommunikationsplattform Führungskräfte aus allen Segmenten des Anlagenbaus sowie Betreiber und Zulieferer. Dort werden strategische Fragestellungen, Herausforderungen und Chancen des Anlagenbaus thematisiert. In diesem Jahr stehen die Aspekte Agilität in volatilen Zeiten, Verbesserung der Wirtschaftlichkeit, Produktivität und Nachwuchsgewinnung auf dem Programm. Nähere Informationen und Tickets unter www.engineering-summit.de
CT: Mit dem Mittelfrist-Ziel „Pathway to Ten“ planen Sie, bis 2027 den Umsatz auf 10 Mrd. Euro zu steigern. Welche Rolle spielt darin das Ausrüstungsgeschäft?
Büchele: Das Equipment-Geschäft generiert zwar relevante Umsätze, mögliche Zukäufe sind aber nicht Bestandteil der Umsatzplanung von „Pathway to Ten“. Denn der Zukauf von Unternehmen, die Equipment herstellen, und der damit verbundene Umsatz lassen sich nicht verbindlich vorhersagen. Wir planen das Wachstum bis 2027 organisch – und hier sehe ich große Chancen, dass wir das 10-Mrd.-Euro-Ziel bereits vor 2027 erreichen könnten.
CT: Anlagenbau ist ein „People Business“. Aktuell klagen viele Anlagenbau-Unternehmen über den Fachkräftemangel. Exyte hat alleine im Jahr 2021 2.500 zusätzliche Mitarbeiter eingestellt und will auch in den kommenden Jahren jährlich 1.500 neue Stellen besetzen. Wie gelingt Ihnen dies?
Büchele: Wir investieren viele Ressourcen, um neue Mitarbeiter zu gewinnen – trotzdem wäre es vermessen, zu sagen, dass dies ein Selbstläufer ist. Wir nutzen
Social-Media-Kanäle genauso wie die gezielte Ansprache von möglichen Kandidaten durch Recruiter. Außerdem ermuntern wir unsere Mitarbeiter mit Incentives dazu, für Jobs bei Exyte zu werben. Und natürlich müssen wir permanent an unserer Kultur arbeiten, damit sich Mitarbeiter bei uns wohlfühlen und bleiben. Da haben wir noch Verbesserungspotenzial – derzeit verlassen uns rund fünf Prozent der neuen Kolleginnen und Kollegen in den ersten sechs Monaten wieder. Dieser Anteil soll deutlich sinken.
CT: Was ist der Grund dafür?
Büchele: Die Gründe dafür sind vielfältig und individuell. In unserem Fall ist ein Aspekt sicherlich die Wachstumsdynamik. Wenn man schnell wächst, dann besteht eine Herausforderung für Führungskräfte darin, neben ihren Projekt- und Fachaufgaben neuen Mitarbeitern genügend Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken und diese bestmöglich beim Onboarding zu unterstützen. Daran arbeiten wir, indem wir unter anderem die Führungsstrukturen ausbauen. Aber ich sehe noch eine weitere Herausforderung.
CT: ... und die wäre?
Büchele: Insbesondere junge Leute wollen heute immer weniger reisen und sind immer weniger bereit, Projekte in der Bauphase über längere Zeit auf der Baustelle vor Ort zu begleiten. Machen wir uns nichts vor: Eine hochkomplexe Halbleiterfabrik baut sich nicht von Dienstag bis Donnerstag und auch nicht aus dem Homeoffice. Wir brauchen Mitarbeiter, die ein solches Projekt managen können und bereit sind, dies vor Ort zu tun. Vor Ort heißt in diesem Fall in Malaysia, Singapur oder im Nordwesten der USA, aber auch an verschiedenen Standorten in Europa.
CT: Das Thema beschäftigt auch andere Anlagenbauer – diese setzen vermehrt auf Fachkräfte aus dem Ausland.
Büchele: Da haben wir dann das Problem einer nicht mehr zeitgemäßen deutschen Bürokratie gemeinsam. Wenn man Fachkräfte von außerhalb der EU rekrutieren will, sind die Prozesse extrem langsam und unnötig kompliziert. Wir brauchen in Deutschland Zuwanderung – aber die bürokratischen Hürden sind hoch: Als international tätiges Unternehmen finden wir es beispielsweise hinderlich und antiquiert, wenn deutsche Behörden von Fachkräften aus dem Ausland Unterlagen zwingend in deutscher Sprache fordern. Die Pensionswelle der Babyboomer fängt gerade erst an, und wenn Deutschland nicht dringend erforderliche Reformen umsetzt, dann werden wir wie bei vielen anderen Themen am Schluss der zweite oder dritte Sieger sein, weil sich andere Länder deutlich schneller anpassen. Der Mangel an qualifiziertem Personal gefährdet dann unser Wachstum und letztlich den Wohlstand.
CT: Im Vergleich zum Umsatz wächst der Gewinn von Exyte nur langsam. Welche Erwartungen haben Sie beziehungsweise die Eigentümer von Exyte?
Büchele: Wenn man über die Marge im Dienstleistungs- und Projektgeschäft spricht, muss man natürlich immer das Risiko berücksichtigen, das ein Unternehmen hat – und wir haben kein Risiko. Wir legen unseren Kunden unsere Kalkulation offen – und bei einem Open-Book-Vertrag zahlen die Kunden natürlich keine zweistellige Marge. Nur wenn wir verstärkt ins Risiko gehen würden, wären höhere Gewinne möglich – aber das ist nicht unsere Absicht. Ein weiterer Aspekt sind regionale Unterschiede. In Asien ist der Wettbewerb weniger stark als beispielsweise in den USA – das wirkt sich ebenfalls auf die Margen aus. Im Produktgeschäft sind höhere Renditen möglich – auch das spricht für unsere Vertikalisierung.
Die Höhe der Marge ist also nicht alles. Wir wollen profitabel wachsen. Mit dem Umsatzwachstum steigt dann natürlich auch das Ergebnis in absoluten Zahlen – und unsere Eigner partizipieren mit einer höheren Dividende an unserem Erfolg.
CT: Bei neuen Technologien wie der Batteriefertigung sind die technologischen Risiken höher. Vor allem für den Bau von Batterie-Gigafabs scheinen Sie in Europa derzeit lediglich Wettbewerber aus Asien zu haben – wie schätzen Sie die Situation ein?
Büchele: Auch hier arbeiten wir mit der Vertragsform „Open Book“ und gehen nicht ins Risiko. Denn oft steht bei der Auftragsvergabe noch nicht final fest, was die Kunden schlussendlich bauen wollen. In der Halbleiterindustrie ist es ein bewährtes Modell, erst im Laufe eines Projekts, wenn alle Rahmenbedingungen klar sind, einen Kontrakt in einen Festpreisvertrag umzuwandeln.
CT: Der Boom bei Batteriefabriken ist zwischen USA und Europa auch ein Rennen um Subventionen und politische Rahmenbedingungen. Was sollte hier aus Ihrer Sicht geschehen?
Büchele: Ich würde mir grundsätzlich eine schnellere Veränderung beziehungsweise Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen wünschen. Es geht mir dabei vor allem darum, dass der Standort Deutschland nicht den Anschluss an den internationalen Wettbewerb verliert. Sowohl die Batterieproduktion als auch die Halbleiterfertigung brauchen beispielsweise eine prognostizierbare, stabile Energieversorgung zu bezahlbaren Preisen. Und was die Subventionen angeht: Man kann darüber streiten, ob und in welcher Höhe diese angemessen sind, aber in der Vergangenheit war staatliche Förderung der Grund für die vielen Halbleiterprojekte in Asien. Und eine Halbleiter- oder Batteriefabrik bringt nicht nur langfristige Arbeitsplätze, sondern zieht eine ganze Zulieferindustrie nach sich.
CT: Als internationaler Anlagenbauer, der seinen Kunden folgt, könnte Ihnen eigentlich egal sein, wo die Projekte realisiert werden.
Büchele: Mir geht es um den Standort Deutschland und dessen langfristigen Perspektiven. Ich sehe die Verpflichtung, künftigen Generationen, auch meinen Kindern und ihren Kindern, vernünftige Rahmenbedingungen zu hinterlassen. Eine Volkswirtschaft, die nicht mehr produziert, die technologisch nicht führend ist, kann ihren Wohlstand nicht halten – und das treibt mich in der Frage mehr als meine Rolle als Chef eines Anlagenbau-Unternehmens.
CT: Der prognostizierte Bedarf für Batteriefabriken ist riesig. Werden die Kapazitäten des Anlagenbaus primär in Regionen mit den besseren Rahmenbedingungen zur Verfügung stehen?
Büchele: Der Boom in der Elektromobilität steht erst am Anfang. Die Kapazitäten werden dem Bedarf folgen – da mache ich mir keine Sorgen. Kurzfristig mag es Verwerfungen und Kostenunterschiede geben, aber Batterie- und Zellfabriken entstehen derzeit weltweit.
Um den Ausbau der Batterieproduktion sicherzustellen, sollten die Produzenten sich langfristige Planungsziele stecken – ähnlich wie im Halbleitermarkt. Voraussetzung dafür sind Rahmenverträge mit den Fahrzeugherstellern. Solche langfristigen Ausbaupläne würden Planungssicherheit für Zulieferer und Anlagenbauer schaffen. Wir könnten auf dieser Basis unsere Kapazitäten ausbauen und damit das Wachstum unserer Kunden begleiten.
Ein Aspekt ist mir hier wichtig: Wir sollten in Europa sicherstellen, dass die Subventionsgelder auch die hiesige Zulieferindustrie stärken und Arbeitsplätze schaffen. Da sind die Amerikaner cleverer: Chips Act und Inflation Reduction Act knüpfen die Zahlung von Subventionen an die Bedingung, Subaufträge an amerikanische Unternehmen zu vergeben, die wiederum Maßnahmen zur sozialen Verantwortung wie Kindergartenplätze etc. nachweisen müssen.