„50 Prozent mehr Produktivität sind absolut erreichbar“

Martin Mayer, Zeta, zur Zukunft des europäischen Anlagenbaus

Globaler Wettbewerb, wachsende Komplexität, Fachkräftemangel: Der Anlagenbau in Europa steht an einem entscheidenden Wendepunkt. Über die jetzt entscheidenden Weichenstellungen haben wir mit Martin Mayer vom Pharma- und Biotechspezialisten Zeta gesprochen.

Martin Mayer von Zeta
„Wir fokussieren uns zu sehr auf das, was schiefgehen könnte“, meint Martin Mayer.

CT: Die Zeiten für die europäische Industrie und den Anlagenbau sind herausfordernd. Was braucht es, damit in Europa auch in zehn Jahren noch wettbewerbsfähiges Engineering und Anlagenbau möglich sind?
Martin Mayer: Aus meiner Sicht sind zwei Dinge entscheidend: die richtigen Dinge tun – und die Dinge richtig tun. Was meine ich damit? Erstens: die richtigen Dinge tun – im Sinne von LEAN. Wir müssen unsere Prozesse konsequent hinterfragen und auf Wertschöpfung ausrichten. LEAN steht für mich nicht nur für Effizienz, sondern für eine gelebte Kultur der kontinuierlichen Verbesserung. Es geht darum, klare Prioritäten zu setzen und den Fokus auf das Wesentliche zu legen.

Und zweitens: die Dinge richtig tun – durch digitale Exzellenz. Digitale Werkzeuge müssen uns dabei unterstützen, unsere Arbeit effizient und fehlerfrei zu erledigen. Das bedeutet: Systembrüche vermeiden, Mehrfacheingaben eliminieren und Daten nur einmal – an der richtigen Stelle – erfassen. Jede unnötige Eingabe ist ein Effizienzverlust. Wir müssen in den nächsten fünf Jahren unsere Effizienz um mindestens 50 % steigern. Das ist ambitioniert, aber notwendig, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können.

CT: Halten Sie das wirklich für realistisch und in welchen konkreten Prozessen sehen Sie das größte Potenzial?
Mayer: Ja, ich halte dieses Ziel für realistisch – unter einer klaren Voraussetzung: Wir müssen bereit sein, grundlegende Veränderungen zu akzeptieren. Ein „ein bisschen anders, aber bitte nichts ändern“ wird uns nicht dorthin bringen. Es braucht den Mut, bestehende Strukturen zu hinterfragen und neue Wege konsequent zu gehen. Die größten Potenziale sehe ich in drei zentralen Bereichen: Durchgängige Digitalisierung – eine vollständig digitale Prozesskette ist der Schlüssel zu mehr Effizienz und Transparenz. Standardisierung – über die gesamte Lieferkette hinweg.

Einheitliche Standards und Schnittstellen ermöglichen reibungslosere Abläufe und schaffen die Basis für Automatisierung und Skalierbarkeit – nicht nur intern, sondern auch mit Partnern und Lieferanten. Modularität und Wiederverwendbarkeit: Bewährte Lösungen sollten nicht jedes Mal neu erfunden werden. Durch modulare Baukästen und konsequente Wiederverwendung können wir Entwicklungszeiten verkürzen, Fehlerquellen minimieren und Ressourcen gezielter einsetzen. 50 % Produktivitätssteigerung sind kein Selbstläufer – aber mit einem klaren Veränderungswillen, strategischer Ausrichtung und konsequenter Umsetzung absolut erreichbar.

CT: Gibt es Branchen, von denen wir lernen können?
Mayer: Absolut – und zwar besonders von Branchen, die eine konsequente End-to-End-Sicht leben. Ein beeindruckendes Beispiel ist für mich die Entwicklung von Batteriesystemen für Elektrofahrzeuge. Hier wird der gesamte Entwicklungsprozess ganzheitlich betrachtet – und das vollständig virtuell, bevor überhaupt ein physischer Prototyp entsteht: beginnend bei der Simulation der elektrochemischen Prozesse über das Design der Batteriemodule bis hin zur konstruktiven Integration des Batterieträgers als Bauteil im Fahrzeug. Was dabei besonders bemerkenswert ist: Erkenntnisse aus späten Phasen fließen gezielt zurück in vorgelagerte Entwicklungsschritte. So entstehen kontinuierlich bessere Grundlagen und fundiertere Entscheidungen. Diese Art der durchgängigen, digitalen und iterativen Entwicklungskultur ist ein Vorbild – auch für den Anlagenbau und das Engineering. Sie zeigt, wie stark Effizienz, Qualität und Innovationskraft steigen können, wenn man Silos aufbricht und den gesamten Produktlebenszyklus integriert denkt.

CT: Was verstehen Sie genau unter digitaler Durchgängigkeit im Engineering-Kontext – und welche konkreten Vorteile bringt sie für Unternehmen?
Mayer: Digitale Durchgängigkeit bedeutet für mich: Daten nur einmal erfassen – und dann systemübergreifend nutzen. Ein Beispiel aus der Praxis:
Wenn wir heute ein Datenblatt für ein Ventil als PDF erhalten, daraus manuell Spezifikationen ablesen und diese anschließend in eine Datenbank übertragen, ist das nicht zukunftsfähig. Ebenso wenig, wenn ein E&IC-Ingenieur dieselben Informationen später erneut in seinem Planungstool erfassen oder fragmentarisch importieren muss – etwa für die Anlagenliste. Das ist nicht durchgängig, sondern ineffizient. Die Vision ist eine konsistente Datenbasis, in der jedes Objekt nur einmal digital beschrieben wird. Neue Informationen (Properties) werden ergänzt, nicht dupliziert. So entsteht ein digitaler Zwilling, der über alle Disziplinen hinweg nutzbar ist – von der Planung über die Beschaffung bis zur Inbetriebnahme. Für Unternehmen bedeutet das konkret, schneller, kostengünstiger und fehlerfreier agieren zu können.

Engineering Summit 2025 – Jetzt anmelden!

Engineering Summit

Am 4. und 5. November 2025 diskutieren auf dem wichtigsten Branchentreffpunkt für den Anlagenbau im deutschsprachigen Raum hochkarätige Branchenvertreter aktuelle Herausforderungen und Perspektiven:

  • Welt im Umbruch – Chance oder Herausforderung für den Anlagenbau?
  • Wie Digitalisierung und künstliche Intelligenz den Anlagenbau voranbringen.
  • Wie Kollaborationsmodelle den Anlagenbau stärken.
  • Welche Chancen Dekarbonisierung und Energiewende (immer noch) bieten.

Hier lesen Sie eine ausführliche Vorschau auf das Programm.

Top-Speaker aus Industrie, Politik und Forschung liefern Impulse, Best Practices und kontroverse Debatten – ergänzt durch Networking-Sessions und eine Fachausstellung. Der Engineering Summit bietet damit einmal mehr die Plattform, um Trends zu setzen und Projekte der Zukunft auf den Weg zu bringen.

Mehr Infos und Anmeldung unter www.engineering-summit.de

CT: Können Sie das noch ein wenig ausführen?
Mayer: Aus Engineering-Sicht hat jedes Objekt – beispielsweise ein Ventil – viele unterschiedliche Aspekte, die in verschiedenen Disziplinen relevant sind: Materialeigenschaften, bauliche Ausprägung inklusive 3D-Modell, elektrische Eigenschaften, Zertifikatsanforderungen und vieles mehr.

Diese Informationen existieren in der Regel bereits – sie liegen beim jeweiligen Businesspartner oder Lieferanten vor. Das Problem ist jedoch: Sie sind oft nicht in einer Form digital verfügbar, die eine durchgängige und effiziente Weiterverarbeitung im Engineering-Prozess ermöglicht. In der Praxis arbeiten wir daher gemeinsam mit unseren Partnern daran, diese Daten strukturiert und standardisiert bereitzustellen. Ein zentraler Ansatzpunkt ist dabei die Nutzung von Standards wie der Asset Administration Shell (AAS). Ziel ist es, dass alle Beteiligten – vom Lieferanten bis zum Betreiber – eine einheitliche Sichtweise auf das Objekt haben und dieselben digitalen Strukturen nutzen.

CT: Welche Rolle spielt die Standardisierung von Daten und Modularisierung von Anlagen? Stehen wir hier nicht in einem Konflikt zu branchenspezifischen Anforderungen, Prozessen und Regelwerken – wie beispielsweise in der Pharma- und Biotech-Industrie, die Sie ja sehr gut kennen?
Mayer: Ja, auf den ersten Blick wirken Standardisierung und Modularisierung wie ein Widerspruch zu den stark regulierten und individualisierten Anforderungen der Pharma- und Biotech-Industrie. Doch bei genauerer Betrachtung zeigt sich ein differenzierteres Bild. Gerade im zunehmend kompetitiven Pharmamarkt wächst der Druck, Investitionskosten für Neuanlagen zu senken. Unsere Erfahrung zeigt: Durch reduzierte Individualisierung und den Einsatz standardisierter, modularer Konzepte lassen sich Einsparungen von bis zu 15 % realisieren – ohne dabei die regulatorischen Anforderungen zu kompromittieren. Die entscheidende Frage lautet daher: Wie weit ist eine Individualisierung tatsächlich notwendig – und in welchem Maß überwiegen die bewertbaren Vorteile einer Standardlösung? Aus Sicht von GMP, Qualität und Anlagenperformance sehen wir keine grundsätzlichen Nachteile bei modularen Konzepten.

Zur Person

Martin Mayer ist seit über 15 Jahren in einer Vielzahl von Führungspositionen auf internationaler Ebene tätig, unter anderem in den Bereichen Strategie und Geschäftsentwicklung, Forschung und Entwicklung sowie im allgemeinen Management. Mit einem starken technischen Hintergrund und der Kombination von Software- und Prozesswissen hat Martin Mayer seine strategischen und geschäftlichen Fähigkeiten geschärft, um nachhaltige Lösungen für eine Vielzahl von Branchen zu entwickeln, darunter Biotech/Biopharma, Chemie sowie Zellstoff und Papier. Sein Hauptaugenmerk liegt auf Digitalisierung, industriellem IoT, maschinellen Lernanwendungen, Datenmanagement, Datenanalyse und modellbasierter Optimierung (DoE) sowohl in der Fertigung als auch in Labor- und F&E-Umgebungen. 2022 hat er die Position des Business Line Director für die Digital Solutions Business Line von Zeta übernommen.

CT: Welche Rolle spielt KI in Ihren Überlegungen und Zielen?
Mayer: Künstliche Intelligenz spielt bereits heute eine wichtige Rolle im Bereich Engineering und Operations – und ihr Einfluss wird in den kommenden Jahren weiter deutlich zunehmen. Wir arbeiten aktiv mit unseren Softwarepartnern an konkreten KI-basierten Lösungen, unter anderem in folgenden Bereichen: KI-gestützte R&I-Erstellung, KI-Support beim Realisieren von komplexen 3D-Skids, KI-basierte Copiloten. Gemeinsam mit unserem Technologiepartner Andritz haben wir bereits erste Copiloten am Start. Diese Systeme unterstützen das Bedienpersonal, indem sie auf alle relevanten Engineering-Dokumente, Handbücher, Spezifikationen, SOPs und Laufzeitdaten zugreifen, kontextbezogene Antworten auf anlagenspezifische Fragen liefern und bei Bedarf auch Trends und Betriebsdaten visuell darstellen. Diese Copiloten ermöglichen einen völlig neuen Zugang zum gesamten Informationssystem der Anlage. KI ist für uns kein Zukunftsthema, sondern ein strategischer Bestandteil unserer digitalen Transformation – mit dem Ziel, Engineering und Betrieb effizienter, sicherer und nutzerfreundlicher zu gestalten.

CT: Wie weit sind wir auf dem Weg zu Ihrer Vision des Engineering der Zukunft? Welche Technologien und Schritte brauchen wir hier noch, um das Ziel zu erreichen?
Mayer: Gemeinsam mit unseren Softwarepartnern beschäftigen wir uns intensiv mit der Frage, wie die Arbeit im Engineering der Zukunft aussehen wird. Dabei gehen wir davon aus, dass sich auch grundlegende Abläufe verändern werden – beispielsweise der heute etablierte Ablauf von PFD über R&I bis hin zur 3D-Planung. Modularität und Standards könnten es künftig ermöglichen, eine Anlage in einem „Konfigurator“ zusammenzustellen. Die 3D-Darstellung würde automatisch generiert, und die R&I-Fließbilder würden daraus abgeleitet. Durchgängige, digitale Simulationslösungen werden es ermöglichen, die Auswirkungen von Auslegung und Design direkt auf Betriebskosten darzustellen. So können Anpassungen im Design konsequent bewertet und optimiert werden. Planungsprozesse werden dadurch signifikant beschleunigt. Und auch der Anlagenbau selbst muss schneller werden – durch den Einsatz modularer Ansätze.

CT: Technologien sind das eine. Wie können wir aber auch unsere Organisationen und Strukturen auf den Wandel vorbereiten und dabei mitnehmen?
Mayer: Das ist aus meiner Sicht einer der wesentlichen Knackpunkte. Technologie allein bringt keinen Fortschritt – entscheidend sind die Menschen, die sie anwenden. Und die tiefgreifenden technologischen Veränderungen, die vor uns liegen, werden unweigerlich auch unser Arbeitsleben stark verändern. Der Schlüssel zum Erfolg liegt daher im aktiven Management von Veränderungen. Nur wenn es gelingt, unsere Organisationen strukturell und kulturell auf diesen Wandel vorzubereiten, können wir das volle Potenzial neuer Technologien ausschöpfen.

CT: Sind alle Stakeholder auch wirklich bereit für den Wandel? Wo sehen Sie die zentralen Hindernisse, die es noch zu überwinden gilt?
Mayer: Das ist in der Tat ein zentrales Thema. Der steigende Kostendruck zwingt auch die Pharmaindustrie dazu, bestehende Denkweisen zu hinterfragen und einen neuen Mindset zu entwickeln. Dieser Druck entsteht aus mehreren Richtungen – unter anderem durch die politische Situation in den USA sowie durch die absehbare Finanzierungslücke im Gesundheitssystem, insbesondere bei der Erstattung von Medikamenten. Das bedeutet: Das Festhalten an den „erfolgreichen Mustern der Vergangenheit“ ist keine zukunftsfähige Strategie mehr. Und genau hier liegt eine der größten Herausforderungen: den richtigen Zeitpunkt zu erkennen, an dem bewährte Strategien angepasst werden müssen, weil sie in der Zukunft nicht mehr zum Erfolg führen.

Weiterdiskutieren auf dem Engineering Summit

Die Vision des durchgängigen Engineering erläutert Martin Mayer auch auf dem Engineering Summit, dem Branchentreffen des europäischen Anlagenbaus am 4. und 5. November in Darmstadt. Weitere Themen sind die Folgen der neuen Weltordnung für den Anlagenbau sowie praktische Use-Cases für KI im Anlagenbau. Alle Infos und Tickets unter www.engineering-summit.de.

CT: Am 4. und 5. November treffen sich auf dem Engineering Summit die führenden Köpfe des europäischen Engineering und Anlagenbaus sowie deren Endkunden. Was ist Ihre zentrale Botschaft an die Community?
Mayer: Meine zentrale Botschaft an die Community lautet: Europa braucht mehr Mut! Wir verfügen über exzellente Ingenieurinnen und Ingenieure, über hochqualifiziertes Handwerk und über enormes Know-how. Was uns jedoch oft fehlt, ist der Mut zum Risiko – und die Bereitschaft, Fehler als Teil des Fortschritts zu akzeptieren. Wir fokussieren uns zu sehr auf das, was schiefgehen könnte – und viel zu wenig auf das, was möglich wird, wenn es gelingt. Wir brauchen einen Kulturwandel, der Innovation nicht durch Angst bremst, sondern durch Neugier und Lernbereitschaft antreibt. Ein Beispiel: Heute ist es möglich, dass Teile von Raketensystemen aktiv gesteuert zur Erde zurückkehren und wiederverwendet werden. Diese Technologie ist nicht durch Perfektion entstanden, sondern durch zahllose Versuche – und durch das Mindset, aus jedem Fehlschlag zu lernen. Was wir brauchen, ist eine unternehmerische Führung mit Vision und Risikobereitschaft, eine politische Basis, die unternehmerisches Denken fördert, und eine Kultur, die Fehler als Teil des Innovationsprozesses versteht. Nur so kann Europa im globalen Wettbewerb nicht nur mithalten – sondern vorangehen.

Engineering Summit – jetzt schnell anmelden!

Engineering Summit

Mit dem Engineering Summit steigt am 4. und 5. November in Darmstadt die wichtigste Veranstaltung des europäischen Anlagenbaus. Top-Speaker aus Industrie, Politik und Forschung liefern Impulse, Best Practices und kontroverse Debatten – ergänzt durch Networking-Sessions und eine Fachausstellung. Der Summit bietet damit einmal mehr die Plattform, um Trends zu setzen und Projekte der Zukunft auf den Weg zu bringen.

Mehr Infos und Anmeldung unter www.engineering-summit.de

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