Gasanlage

Der Bau von Anlagen im Gas- und Ölsektor in Russland war für europäische Anlagenbauer ein milliardenschweres Geschäftsfeld. (Bild: ANTON – stock.adobe.com)

Nachdem die europäischen Anlagenbauer sehr optimistisch und oftmals mit vollen Auftragsbüchern ins Jahr 2022 gestartet waren, setzte die Invasion Russlands in die Ukraine am 24. Februar der positiven Stimmung ein jähes Ende. "Durch den russischen Angriff auf die Ukraine stellt sich für viele Branchen jetzt die Frage, wie es weitergehen wird", prophezeite Jürgen Nowicki, Vorsitzender des Vorstands der Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau im VDMA, schon im März.

Die Auswirkungen des Krieges sind in allen Branchen massiv. Auch der Anlagenbau ist von den steigenden Energie- und Rohstoffpreisen, längeren Lieferzeiten und höheren Logistikkosten sowie dem Ausfall von Lieferanten betroffen. "Die Abwicklung von laufenden Projekten wird sich massiv verzögern", erklärte Nowicki damals.

Milliardenschwere Projekte in Russland auf Eis gelegt

Während zu diesem Zeitpunkt die konkreten Folgen des Krieges noch weitgehend im Ungewissen lagen, zeichnet sich knapp ein halbes Jahr nach Ausbruch des Krieges ein klareres Bild. Neben den oben genannten Auswirkungen sind für viele Anlagenbauer mit dem Krieg auch ganze Projekte und damit ganz direktes Geschäft quasi von heute auf morgen weggebrochen. Grund dafür sind unter anderem die Sanktionen, die von vielen westlichen Staaten gegen Russland erhoben wurden. Und diese betreffen auch konkret den Anlagenbau. So umfasst die Liste der Ausfuhrbeschränkungen aus der EU unter anderem „Ausrüstungen, Technologien und Dienstleistungen für die Energiewirtschaft in Russland“. Zum Energiesektor gehören dabei unter anderem die Gewinnung und Herstellung von Erdgas, Öl und daraus abgeleiteten Erzeugnissen.

Für Anlagenbauer wie Linde oder Technip fällt damit plötzlich ein großer Markt weg. „Russland ist ein ganz wichtiges Geschäft für uns“, berichtete Mesut Sahin, Vice President German Market bei Technip Energies, auf dem Podium des 8. Engineering Summit am 21. Juli in Darmstadt. Sein Unternehmen hat bereits verschiedene LNG-Projekte in Russland abgewickelt. Erst 2019 hatte das Unternehmen   mit dem Megaprojekt Arctic LNG 2 in Westsibirien einen EPC-Vertrag im Wert von 7,6 Mrd. US-Dollar eingeworben. Die ersten Module für die erste von insgesamt drei geplanten Gasverflüssigungsanlagen hatte das Unternehmen im dritten Quartal 2021 ausgeliefert. Nun musste Technip das komplette Projekt auf Eis legen: Man arbeite „an einem geordneten Ausstieg aus dem Projekt“, heißt es im jüngsten Halbjahresbericht.

Bau einer LNG-Anlage
Bau einer LNG-Anlage für die Projekte Arctic LNG 2 bzw. Yamal. (Bild: Novatek)

Wie wichtig das Russland-Geschäft für Technip ist bzw. war, zeigt auch der Blick Auftragsbestand: Zum Dezember 2021 stammten 23 % aus Russland, Wert:  4,2 Mrd. US-Dollar. „Wir sprechen hier von Milliarden und nicht Millionen“, bestätigte auch Mesut Sahin mit Blick auf das verlorene Geschäft in Russland. Ähnlich geht es dem Mitbewerber Linde: Durch den Wegfall des Russland-Geschäfts musste das Unternehmen fast 1 Mrd. Euro abschreiben, in der Anlagenbau-Sparte stehen 400 bis 500 Arbeitsplätze am Standort Pullach zur Disposition.

Anlagenbau muss Alternativen finden

Mit einem kurzfristigen Comeback in Russland rechnet Mesut Sahin derweil nicht. Vielmehr soll das entgangene Geschäft nun in anderen Regionen kompensiert werden: Sahin erwähnte hier vor allem die USA, den Nahen Osten (allen voran Katar) sowie Afrika. Auch Dekarbonsierungs-Projekte in Europa könnten eine Rolle spielen.

Auf der Suche nach Alternativen ist auch Thomas Wehrheim, CEO von TGE Gas Engineering. Sein Unternehmen ist ebenfalls in vielen LNG-Projekten aktiv. So ist TGE etwa – wie auch Linde – am Gazprom-Projekt Baltic LNG an der russischen Ostseeküste beteiligt. „Dass die Sanktionen so strikt durchgezogen wurden, hat uns überrascht“, erklärte Wehrheim. Aber sie wirken: Dass spezialisierte Unternehmen wie Technip, Linde und TGE für Projekte nicht mehr zur Verfügung stehen, treffe die russische Wirtschaft, glaubt Wehrheim. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Russland-Geschäft für die europäischen Anlagenbauer kurz- oder mittelfristig nochmal zurückkommen, sieht auch er nicht.

Podium Engineering Summit
Die Folgen des russischen Angriffes für den Anlagenbau diskutierten auf dem Engineering Summit (v.l.n.r.): Dr. Hannes Storch, Vice President Metals and Chemical Processing bei Metso Outotec, Mesut Sahin, Vice President German Market bei Technip Energies und Thomas Wehrheim, CEO von TGE Gas Engineering. (Bild: Hüthig)

Die Alternativen liegen für Wehrheim vor allem in der boomenden Wasserstoff-Wirtschaft. Welches Geschäftspotenzial in diesem Bereich für Anlagenbauer schlummern, hatte schon Jürgen Nowicki zu Beginn der Anlagenbau-Tagung in seiner Keynote betont. 4,5 Billionen, also 4.500 Mrd. US-Dollar, brauche es weltweit bis 2030 jedes Jahr, um die Dekarbonierungsziele zu erreichen. Und Wasserstoff soll dabei eine große Rolle spielen. Auch der Bau der großen LNG-Terminals in Deutschland und Europa könnten für neue Betätigungsfelder sorgen.

Vertragsgestaltung als Problem

Ganz unabhängig von neuen Geschäftsfeldern wies Thomas Wehrheim aber auf ein weiteres Thema hin, mit dem sich der Anlagenbau nun beschäftigen müsse: das Contracting, also der Bereich Verträge. Lieferverträge zum Festpreis, wie sie bei EPC-Projekten üblich sind, seien unter den derzeitigen Bedingungen nicht mehr machbar. Bei ohnehin knappen Margen sei das Risiko angesichts der in fast allen Bereichen extrem volatilen Preise für die Anlagenbauer kaum noch tragbar.

Dies wusste auch Dr. Hannes Storch, Vice President Metals and Chemical Processing beim Anlagenbauer Metso Outotec zu bestätigen. Sein Unternehmen nehme daher aktuell vermehrt Preisgleitklauseln, welche mögliche Kostenänderungen für den Lieferanten berücksichtigen und das Risiko somit verteilen, in die Verträge mit auf. Ein Allheilmittel sind solche Klauseln jedoch nicht. So sei etwa die Frage, an welchen Materialien und an welchem Index sich diese Preisberechnung orientieren soll, immer schwierig.  Und viele Kunden, vor allem staatliche Unternehmen, akzeptieren überhaupt keine Preisgleitklauseln. In diesen Fällen könne man aktuell kein EPC anbieten. „Das Risiko kannst du nicht nehmen“, stellte Storch klar.

Auch ohne direktes Russland-Geschäft im relevanten Bereich spürt auch sein Unternehmen damit ganz konkrete Auswirkungen. Dies verdeutlicht, dass die Folgen der Ukraine-Krise die ganze Anlagenbau-Branche betreffen und damit wahrscheinlich auch noch eine ganze Weile begleiten werden.

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