Jürgen Nowicki, Linde, ist Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau.

Jürgen Nowicki, Linde, ist Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau. (Bild: Linde)

Die von den Mitgliedern der VDMA Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau (AGAB) in Deutschland verbuchten Auftragseingänge lagen 2019 mit 18,3 Milliarden Euro stabil auf Vorjahresniveau. Damit konnten sich die Unternehmen in einem volatilen Marktumfeld, das von starkem Preis- und Wettbewerbsdruck sowie vielfältigen politischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten geprägt war, gut behaupten. Besonders erfreulich war laut Verband, dass die Mitglieder der AGAB 2019 deutlich mehr Großaufträge als noch im Vorjahr verbuchen konnten. Bei diesen zumeist schlüsselfertigen EPC-Projekten spielen neben der Planung immer häufiger auch Bau, Betrieb und Wartung der Anlagen eine wichtige Rolle.

„Der VDMA-Großanlagenbau unterstreicht mit der Bereitstellung solcher umfassender Leistungspakete seine führende Position als Anbieter von Komplettlösungen über den gesamten Anlagenlebenszyklus hinweg“, ordnet Jürgen Nowicki, Sprecher der AGAB und Senior Vice President & CFO von Linde Engineering, die Entwicklung des vergangenen Jahres ein.

Digitalisierung hilft in der Corona-Krise

Für das aktuelle Jahr wagte der Verband in der Pressekonferenz am 25. März keine Prognose und kassierte die Erwartung aus dem Vorjahr, dass 2020 ein Jahr des Aufschwungs werden soll: Zu hoch sind die Unsicherheiten aufgrund der Corona-Pandemie und des fallenden Ölpreises. „Die kurzfristigen Aussichten für den Industriezweig lassen sich daher nicht seriös prognostizieren, zum jetzigen Zeitpunkt erscheint ein Rückgang der Auftragseingänge im Jahr 2020 unvermeidlich“, so Nowicki: „Wir schauen auf einen sehr guten Auftragsbestand, aber wie lange der ausreicht, um uns durch die aktuelle Krise zu tragen, ist offen.“  Selbst ein Einbruch der Bestellungen wie während der Finanzkrise 2009 kann nicht ausgeschlossen werden. „Der Großanlagenbau reagiert agil und flexibel auf diese Herausforderungen. Die Mitglieder unseres Verbandes stellen damit sicher, das wichtige Funktionen wie etwa die Beschaffungs- und Baustellenorganisationen und das Engineering im Sinne der Kunden arbeitsfähig bleiben“, versichert der AGAB-Sprecher.

Die jüngsten Erfahrungen hätten gezeigt, dass Anlagenbau auch aus dem Homeoffice möglich ist. Als Beispiel führte Nowicki sein Unternehmen Linde Engineering an, bei dem inzwischen 1.800 Mitarbeiter aus Pullach zuhause an Projekten arbeiten: „Die Projekte laufen nach Plan und die Mitarbeiter sind sehr diszipliniert“, berichtet Nowicki: „Es wurden sehr schnell neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit gefunden, das funktioniert überraschend gut.“ Offenbar helfen den Anlagenbau-Unternehmen die Werkzeuge der Digitalisierung. So würden beispielswese Augmented-Reality-Lösungen genutzt, um Personal vor Ort mit Expertenwissen zu unterstützen.

 

USA waren 2019 der wichtigste Exportmarkt

Beim Blick auf das zurückliegende Jahr wird die Bedeutung des Auslandsgeschäfts im Großanlagenbau deutlich. 2019 lag die Exportquote wie im Vorjahr bei 81 Prozent, das Auftragsniveau erreichte einen Wert von 14,7 Milliarden Euro (2018: 14,8 Milliarden Euro). Die USA waren aufgrund mehrerer Großaufträge für metallurgische Anlagen der wichtigste Auslandsmarkt für den VDMA-Großanlagenbau (1,5 Milliarden Euro). „Das ist allerdings dem Trump-Effekt im vergangenen Jahr geschuldet, die aktuellen Aussichten für das USA-Geschäft sind eher pessimistisch“, erklärt Nowicki.
Darüber hinaus wurden Buchungen im Wert von mindestens 1 Milliarde Euro aus Russland, China und Singapur gemeldet. Aufträge für bedeutende Großprojekte wie etwa ein Pumpspeicherkraftwerk, eine Papierfabrik und ein großes Gaskraftwerk gingen darüber hinaus aus Australien, Schweden und Brasilien ein. Die Nachfrage nach Großanlagen im Nahen und Mittleren Osten sank hingegen auf den niedrigsten Wert seit 17 Jahren.

Deutlich weniger Aufträge aus der Chemie

Aus der Chemieindustrie in Deutschland verzeichnete der Großanlagenbau im vergangenen Jahr 27 % weniger Aufträge. „Der deutsche Markt ist zur Zeit sehr ruhig und auch die Aussichten sind nicht sehr gut“, berichtet Jürgen Nowicki. Andernorts auf der Welt sehe die Situation besser aus. Dass viele Projekte verschoben wurden, sei auch der politischen Situation und Unsicherheit im Zuge des Brexit geschuldet.

In der Kraftwerkstechnik legten die inländischen Bestellungen 2019 um 2 Prozent auf 3,6 Milliarden Euro (2018: 3,5 Milliarden Euro) zu. Bemerkenswert war die Entwicklung im Markt für thermische Kraftwerke, hier stiegen die Auftragseingänge um 83 Prozent auf 1,0 Milliarden Euro (2018: 547 Millionen Euro). Allerdings spielten Großaufträge keine wesentliche Rolle, vielmehr standen Modernisierungsprojekte sowie Services im Blickpunkt. Nowicki: „Dass sich dieser Aufschwung in den nächsten Jahren fortsetzen könnte, ist angesichts des absehbaren Endes der Kernenergie und der Kohleverstromung in Deutschland unwahrscheinlich.“

Verband fordert von der Politik, den Anteil deckungsfähiger lokaler Kosten zu erhöhen

Die Unternehmen des VDMA-Großanlagenbaus brauchen mehr denn je einen fairen politischen Rahmen – national wie international – der mit den tiefgreifenden Veränderungen im globalen Projektgeschäft Schritt hält. „Wir appellieren deshalb an die OECD-Mitglieder, den derzeitig deckungsfähigen Anteil an lokalen Kosten rasch auf 50 Prozent des Gesamtumfangs eines Exportauftrags zu erhöhen“, betont der AGAB-Sprecher. Die deutsche Politik sollte auch die steuerpolitischen Rahmenbedingungen den veränderten Realitäten anpassen und deshalb vor allem das Risiko der Doppelbesteuerung weiter reduzieren.

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Die Kundenwünsche im Großanlagenbau werden vielschichtiger. Neben den klassischen Erwartungen nach hoher Produktqualität, kurzen Projektlaufzeiten und niedrigen Investitionskosten artikulieren viele Investoren ihr Bedürfnis nach hoher Transparenz während des gesamten Lebenszyklus einer Anlage immer deutlicher. Zahlreiche Kunden wünschen sich ferner Unterstützung bei der Finanzierung von Projekten, beim Service ihrer Anlagen und bei deren Betrieb. Die Verantwortlichkeit des Anlagenbaus für Gesundheit und Sicherheit der Mitarbeiter sowie den Umweltschutz gewinnt in Folge steigender Kundenansprüche ebenfalls an Bedeutung. Die Implementierung von Managementsystemen, mit denen die Unfallentwicklung beschrieben wird, sind oftmals Voraussetzung, um an einer Ausschreibung im Großanlagenbau überhaupt teilnehmen zu können. „Der VDMA und seine Mitgliedsunternehmen begreifen die kontinuierliche Verbesserung des Arbeitsschutzes als wichtige unternehmerische und soziale Aufgaben und haben bereits umfassende Kompetenzen auf diesem Feld aufgebaut“, erläutert Nowicki.

Klimawandel als Chance, Wasserstoffwirtschaft noch mit vielen Herausforderungen

Die Pläne vieler Staaten, den Klimawandel einzudämmen und dafür Technologien zur Einsparung von Energie und Treibhausgasen zu nutzen, werden konkreter. Dem VDMA-Großanlagenbau eröffnen diese Bemühungen die Chance, neue Angebote am Markt zu platzieren. Nowicki: „Die Branche ist mit ihrer umwelttechnischen Kompetenz ein Wegbereiter der Energiewende und ein zentraler Partner der Industrie bei der Erreichung globaler Klimaziele.“ Beispiele für die Leistungsfähigkeit des VDMA-Großanlagenbaus sind Anlagen für eine CO2 -freie Energieerzeugung, Verfahren zum Recycling von Metallen oder Kunststoffen sowie Systeme zur Vermeidung von Emissionen.

Darüber hinaus liefert der Großanlagenbau Anlagen zur Erzeugung von Wasserstoff, der in der Energiewirtschaft der Zukunft als Stromspeicher und Energieträger eine zentrale Rolle spielen könnte. „Als Voraussetzung für die Etablierung eines solchen nachhaltigen Systems muss die Politik jedoch rasch verlässliche Rahmenbedingungen – etwa für den weiteren Ausbau der
Windkraft – schaffen, auf Basis derer die Unternehmen wirtschaftlich tragfähige Geschäftsmodelle entwickeln können“, mahnt der AGAB-Sprecher zügiges Handeln an. Denn ohne die Nutzung erneuerbarer Energien kann kein Sektor entscheidende Beiträge zum Klimaschutz erbringen: „Grüner“ Wasserstoff und der Ausbau der regenerativen Energien bedingen sich gegenseitig.

Allerdings sind auf dem Weg in eine Wasserstoff-basierte Wirtschaft noch viele Fragen offen. Bei niedrigen Öl- und Gaspreisen und gleichzeitig hohen Kosten für den Umstieg auf Wasserstoff seien noch enorme politische Anstrengungen notwendig. Dass Europa sich zur Realisierung der Klimaziele abschottet, hält Nowicki für keinen gangbaren Weg: „Eine Carbon Tax an den EU-Grenzen würde den freien Weltmarkt extrem behindern. Wir brauchen in der Klimafrage eine globale Lösung.“

(as)

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