Würfel H2 und CO2

(Bild: Fokussiert – stock.adobe.com)

  • Bis die EU einheitliche Regeln und Standards für nachhaltige Wasserstoff-Produktion setzt, helfen freiwillige Zertifizierungssysteme bei der Vermarktung und schaffen Transparenz.
  • Mit der Green-Hydrogen-Zertifizierung von TÜV SÜD haben ein Basis-Chemie-Hersteller und ein Elektrolyse-Betreiber nachgewiesen, dass ihr Wasserstoff entlang der gesamten Wertschöpfungskette 80 bis 90 Prozent CO2-Emissionen einspart.
  • Wenn die EU eindeutige Vorgaben schafft, sind sie bereits bestens gewappnet.

Wasserstoff spielt in der Chemie eine wichtige Rolle, zum Beispiel bei der Produktion von Grundchemikalien wie Methanol oder Ammoniak. Bereits 2020 setzte die Chemieindustrie ca.
1 Mio. Tonnen Wasserstoff ein. Dieser wurde überwiegend per Dampfreformierung aus Erdgas hergestellt und gilt als „grauer Wasserstoff“. Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) schätzt, dass sich der Wasserstoffbedarf der Branche bis 2050 auf rund 7 Mio. Tonnen steigern wird. Dieser Anstieg resultiert aus der von Deutschland sowie der EU angestrebten Dekarbonisierung aller Sektoren bis zur Mitte dieses Jahrhunderts – die Chemieindustrie inbegriffen.

EU setzt auf grünen Wasserstoff

Um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, hat die EU in ihrer 2020 veröffentlichten Wasserstoffstrategie konkrete Schritte für den Aufbau einer sauberen Wasserstoffwirtschaft skizziert. Langfristig setzt sie vor allem auf grünen Wasserstoff, der per Elektrolyse mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen produziert wird. Denn dieser hat nach Ansicht der EU das größte Potenzial zur Dekarbonisierung. Allerdings werden für eine Übergangszeit auch blauer oder türkiser Wasserstoff (siehe Infokasten) toleriert, da diese ebenfalls zu reduzierten Emissionen beitragen können.

Laut Wasserstoffstrategie der EU soll bis 2024 eine Elektrolysekapazität von 6 Gigawatt aufgebaut und so bis zu 1 Mio. Tonnen grüner Wasserstoff produziert werden. Dieser soll zuerst dort eingesetzt werden, wo er den grauen Wasserstoff ersetzt, ohne dass Produktionsprozesse grundlegend verändert werden müssen. Hier ist die Chemieindustrie nicht nur ein großer potenzieller Abnehmer, sondern auch Produzent. Bis 2030 strebt die EU an, die Elektrolyseleistung auf mindestens 40 Gigawatt zu steigern und mehr als 10 Mio. Tonnen erneuerbaren Wasserstoff zu erzeugen.

Kurze Wasserstoff-Farbenlehre

Grauer Wasserstoff wird auf herkömmlichem Weg aus fossilen Quellen gewonnen, meist durch Dampfreformierung, bei der Erdgas durch Hitze in CO2 und Wasserstoff aufgespalten wird. Die Erzeugung ist somit nicht klimaneutral, da CO2 ungenutzt in die Umwelt abgegeben wird.

 

Blauer Wasserstoff wird wie grauer Wasserstoff aus fossilen Quellen gewonnen. Das anfallende CO2 wird jedoch abgeschieden und – meist in unterirdischen Lagerstätten – langfristig gespeichert. Darüber, ob blauer Wasserstoff als klimaneutral betrachtet werden darf, sind Experten geteilter Meinung.

 

Türkiser Wasserstoff wird aus Erdgas durch Pyrolyse gewonnen. Da bei diesem Prozess neben Wasserstoff kein flüchtiges CO2, sondern nur fester Kohlenstoff anfällt, kann dieser Wasserstoff unter bestimmten Bedingungen als klimaneutral angesehen werden. Z. B. muss die Prozesswärme regenerativ erzeugt und der Kohlenstoff langfristig gebunden werden.


Grüner Wasserstoff wird mit erneuerbaren Energien hergestellt.

Noch fehlen einheitliche Regeln

Doch welche Nachhaltigkeitskriterien muss Wasserstoff erfüllen, damit er als „grün“ vermarktet werden darf? Und wie können Erzeuger und Händler gegenüber ihren Kunden quantitativ nachweisen, welche Emissionsminderung über die gesamte Wertschöpfungskette des Wasserstoffs erzielt wurde – von der Erzeugung bis zum Verbrauch? Bisher existiert keine einheitliche, international gültige Definition für grünen Wasserstoff und seine Vermarktung. Dies betrifft sowohl die Erzeugung als auch die Distribution.

So reicht es nicht, nur den für die Elektrolyse eingesetzten Strom zu bewerten. Je nach Art der Wasserstoff­erzeugung müssen auch weitere Faktoren hinsichtlich ihres CO2-Fußabdrucks bewertet werden – wie die Wasseraufbereitung, die Abwasserbehandlung und der Transport des Wasserstoffs. Da bisher nur wenige Regionen Deutschlands und Europas über dedizierte Wasserstoffpipelines verfügen, erfolgt der Transport des Wasserstoffs von der Produktionsstätte zum Kunden meist per Lkw-Trailer. Abhängig von der Entfernung ist dies zum Teil mit signifikanten Emissionen verbunden.

Teilbereiche sind von der EU bereits reguliert. Für den Transportsektor definieren die Regeln der Renewable-Energy-Directive 2018/2001 (RED II), was unter grünem Wasserstoff zu verstehen ist und welchen Beitrag er zur Erreichung der Klimaziele leisten kann. So dürfen künftig mit grünem Wasserstoff hergestellte Kraftstoffe, sogenannte Renewable Fuels of Non-Biological Origin (RFNBO), auf die Kraftstoffquote angerechnet werden.

RED-II wird von der EU weiterentwickelt, sodass künftig auch eindeutige Vorgaben für die Energie-, Stahl- und Chemiebranche zu erwarten sind. Daher sollten alle Akteure, die sich mit der Herstellung, dem Vertrieb und der Nutzung von Wasserstoff im industriellen Umfeld befassen, die aktuellen Entwicklungen intensiv beobachten. Händler und Hersteller müssen jedoch nicht darauf warten, dass die EU eigene Regeln und Standards zum eindeutigen Nachweis der Herkunft und Nachhaltigkeit von emissionsarmem Wasserstoff verabschiedet. Mit bestehenden, freiwilligen Zertifizierungssystemen können die Akteure die Umweltbilanz ihres Wasserstoffs schon jetzt eindeutig dokumentieren. Etabliert haben sich zwei grundsätzlich unterschiedliche Systeme, die verschiedene Bilanzierungsansätze verfolgen: GreenHydrogen und Certifhy.

Massenbilanzielle Erfassung mit GreenHydrogen CMS 70

Die GreenHydrogen-Zertifizierung basiert auf dem TÜV-SÜD-Standard CMS 70 „Erzeugung von grünem Wasserstoff“. Dieser definiert, dass gegenüber dem Referenzwert für Biokraftstoffe mindestens 70 Prozent der Treibhausgasemissionen eingespart werden müssen. Der Grenzwert beträgt damit 28,2 g CO2 eq / MJ H2. Addiert werden hier nicht nur die Emissionswerte aus dem Herstellungsprozess, sondern auch die aus der Distribution des Wasserstoffs. Die schließt neben dem Transport des Wasserstoffs zum Kunden auch die Verteilwege von den Produzenten zu den Händlern ein. Die Wasserstoffwege werden bei der GreenHydrogen-Zertifizierung massenbilanziell erfasst. Grüner und herkömmlicher Wasserstoff können somit in der Verteilkette gemischt werden. Für diese Zertifizierung ist daher keine zusätzliche Infrastruktur notwendig.

Für die Produktion des grünen Wasserstoffs stellt die GreenHydrogen-Zertifizierung Mindestansprüche an die Herkunft der eingesetzten Energie und die Art der Einsatzstoffe. Zu den mit GreenHydrogen zertifizierbaren Verfahren gehören sowohl die Wasserelektrolyse als auch die Elektrolyse von Salzlösungen. In beiden Fällen muss der Strom aus erneuerbaren Energiequellen wie Windenergie-, Solar- oder Wasserkraftanlagen stammen. Zertifiziert werden kann ebenso Wasserstoff, der durch Dampfreformierung aus Biomethan oder durch Pyrolyse mit integrierter Reformierung in Abfallanlagen gewonnen wird.

Book-and-Claim-Ansatz mit Certifhy

Ein weiteres Zertifizierungssystem wurde 2017 im Rahmen des Certifhy-Projekts von einem Expertenkonsortium eingeführt, dem auch TÜV SÜD angehört. Dieses betrachtet nur die Emissionen während der Erzeugung (ohne den Transport) und definiert für nachhaltig erzeugten Wasserstoff einen Grenzwert von 36,4 g CO2eq / MJ H2. Die Bilanzierung erfolgt nach dem Book-and-Claim-Prinzip. Dabei werden die Zertifikate zum Nachweis der Herkunft gehandelt, ohne dass der physisch bezogene Wasserstoff zwangsläufig emissionsarm erzeugt wurde – ähnlich wie bei Ökostrom.

Certifhy zertifiziert grünen Wasserstoff, der aus Biomasse oder mit erneuerbaren Energien hergestellt wurde. Das niedrigschwellige Zertifikat Certifhy Low Carbon Hydrogen kommt auch für Wasserstoff in Frage, der konventionell aus fossilen Ausgangsstoffen gewonnen wurde, wenn das dabei entstehende CO2 abgeschieden und sicher in ein Endlager gebracht wird (blauer Wasserstoff).

Praxisbeispiele: Chloralkali- und PEM-Elektrolyse

Ein aktuelles Beispiel aus Mitteldeutschland zeigt, dass auch die Chlor-Alkali-Elektrolyse in der Lage ist, ihren Beitrag zum Erreichen der Klimaziele zu leisten. Ein Hersteller von Basis-Chemikalien hat damit begonnen, erstmals in Deutschland zertifizierten grünen Wasserstoff aus einer Chlor-Alkali-Elektrolyseanlage zu vertreiben. Der Wasserstoff wird mit erneuerbaren Energien produziert und ist nach dem TÜV-SÜD-Standard CMS 70 zertifiziert. Die Emissionsminderung im Vergleich zur konventionellen Herstellung beträgt 90 Prozent. Für den Transport des grünen Wasserstoffs an Großkunden nutzt das Unternehmen ein lokales Wasserstoff-Rohrleitungsnetz.

In einem weiteren Beispiel beauftragte der Betreiber einer 6-Megawatt-PEM-Elektrolyseanlage TÜV SÜD mit der Zertifizierung nach dem GreenHydrogen-Standard, um die Umweltfreundlichkeit der Anlage zu dokumentieren. Mit dem Proton-Exchange-Membrane-Verfahren entsteht Wasserstoff in dem für den Einsatz in Brennstoffzellen notwendigen, hohen Reinheitsgrad. Die Stacks des untersuchten Elektrolyseurs erzeugen grünen Wasserstoff mit erneuerbarem Strom aus Wind- und Wasserkraft. Der Wasserstoff wird nach einem Reinigungs- und Trocknungsschritt auf einen Druck von 8 MPa verdichtet, in Gastanks auf dem Gelände gespeichert und zum Teil in das bestehende Gasnetz eingespeist. Überwiegend soll der Wasserstoff jedoch im Mobilitätsektor genutzt werden. Dazu wird dieser auf ein Druckniveau von 22,5 MPa komprimiert und mit Lkw-Trailern zu einer nahegelegenen Wasserstofftankstelle transportiert.

TÜV SÜD analysierte die gesamte Wertschöpfungskette – einschließlich Produktion, Reinigung, Verdichtung, Abfüllung und Transport – und ermittelte einen Emissionswert von 15 g CO2eq / MJ H2. Dieser lag um fast 50 Prozent unter dem geforderten Grenzwert. Mit dem GreenHydrogen-Zertifikat konnte der Betreiber nachweisen, dass er gegenüber herkömmlichem Wasserstoff eine Emissionsminderung von über 80 Prozent erzielen konnte.

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