Person im Schutzanzug in einer Chemieanlage

Die neue Gefahrstoffverordnung bringt eine ganze Reihe an Änderungen, die für Betreiber und Beschäftigte in der Chemie wichtig sind. (Bild: Seventyfour - stock.adobe.com)

  • Die novellierte Gefahrstoffverordnung führt risikobasierte Arbeitsplatzgrenzwerte wie Akzeptanz- und Toleranzkonzentrationen ein.
  • Für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Stoffen der Kategorien 1A und 1B müssen geschlossene Systeme verwendet werden.
  • Expositionskataster müssen nun auch fortpflanzungsgefährdende Stoffe umfassen.

Sie markiert einen Meilenstein im Arbeitsschutz: Die am 4. Dezember 2024 in Kraft getretene überarbeitete Gefahrstoffverordnung. Denn die Novelle bringt grundlegende Änderungen für den Umgang mit Gefahrstoffen, insbesondere mit krebserzeugenden, keimzellmutagenen und reproduktionstoxischen Stoffen (KMR-Stoffe) der Kategorien 1A und 1B. Hersteller, Arbeitgeber und Sicherheitsbeauftragte in der chemischen Industrie sind nun gefordert, ihre Prozesse, Schutzmaßnahmen und Dokumentationen an die neuen Anforderungen anzupassen. Im Mittelpunkt stehen dabei erweiterte Anforderungen an die Gefährdungsbeurteilung, das Risikokonzept und technische Lösungen zum Schutz der Beschäftigten.

Expertenforum mit Besichtigung der neuen Bayer-Fertigung

Am 19. und 20. Februar 2025 lädt das Expertenforum Containment nach Köln ein. Technische Entscheider und Anlagenbetreiber aus Pharma und Chemie erhalten praxisnahe Einblicke in wirtschaftliche Lösungen für den Mitarbeiterschutz, die Umsetzung des EU-GMP Annex 1 sowie die Optimierung von OEB- und SMEPAC-Anforderungen. Neben Fachvorträgen und Networking erwartet die Teilnehmer eine exklusive Besichtigung der Bayer-Produktionsanlage SOLIDA-1, dem neuen Kompetenzzentrum für feste Arzneiformen. Das Forum bietet eine ideale Plattform, um Wissen zu vertiefen, innovative Lösungen kennenzulernen und Schutzkonzepte an die steigenden regulatorischen Anforderungen anzupassen. Jetzt Ticket sichern!

https://www.sv-veranstaltungen.de/umwelt/expertenforum-containment/

Für die chemische Industrie bedeutet die neue Gefahrstoffverordnung Herausforderung und Chance zugleich. Ziel der Verordnung ist es, den Schutz der Beschäftigten vor Gesundheitsgefahren durch Gefahrstoffe weiter zu verbessern. Gleichzeitig schafft sie durch präzisere Vorgaben mehr Rechtssicherheit für die Unternehmen. Handlungsbedarf besteht vor allem für die Hersteller von Chemikalien: Sie sind nicht nur verpflichtet, die neuen Anforderungen in ihren Betrieben umzusetzen, sondern müssen auch sicherstellen, dass ihre Produkte die Anforderungen der Verordnung erfüllen.

Eine zentrale Neuerung ist die Einführung von verbindlichen Arbeitsplatzgrenzwerten (BOELVs). Diese verbindlichen Grenzwerte sind direkt in der Verordnung verankert und basieren auf Anhang 3 der EU-Richtlinie 2004/37/EG. BOELVs gelten unmittelbar und setzen neue Maßstäbe für die Gestaltung sicherer Arbeitsumgebungen. Die Hersteller müssen sicherstellen, dass ihre Produkte so formuliert und gekennzeichnet sind, dass diese Grenzwerte eingehalten werden können.

Darüber hinaus wird die Verwendung von risikobasierten Konzentrationen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung verpflichtend. Diese Konzepte - wie Akzeptanz- und Toleranzkonzentration - sind bereits aus der Technischen Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 910 bekannt und ermöglichen eine differenzierte Bewertung von Expositionsrisiken. Für die Hersteller bedeutet dies, dass sie den Umgang mit ihren Stoffen unter Berücksichtigung dieser Konzentrationen planen und dokumentieren müssen, insbesondere wenn es um die Einstufung und Kennzeichnung geht.

Wesentliche Änderungen beim Umgang mit krebserzeugenden Stoffen

Der Umgang mit krebserzeugenden Stoffen der Kategorien 1A und 1B wird durch die Novelle deutlich stärker in den Fokus gerückt. Ein zentrales Element ist die vollständige Integration des risikobezogenen Maßnahmenkonzeptes der TRGS 910 in die Gefahrstoffverordnung. Dies hat weitreichende Konsequenzen für den Arbeitsschutz in der chemischen Industrie:

1: Substitutionsgebot: Soweit technisch möglich, ist die Verwendung krebserzeugender Arbeitsstoffe durch weniger gefährliche Alternativen zu ersetzen. Dieser Grundsatz war schon bisher Bestandteil des Arbeitsschutzes, wird nun aber in der Verordnung explizit hervorgehoben.

2: Verwendung in geschlossenen Systemen: Ist eine Substitution nicht möglich, dürfen krebserzeugende Stoffe nur in geschlossenen Systemen verwendet werden, da diese das Expositionsrisiko deutlich minimieren. Diese Anforderung wird in § 10 der Verordnung klar definiert und ist nun verbindlich.

3: Minimierung der Exposition nach dem Stand der Technik: Ist der Einsatz geschlossener Systeme nicht möglich, müssen technische Maßnahmen ergriffen werden, um die Exposition so weit wie möglich zu reduzieren. Dabei spielt der risikobasierte Maßnahmenansatz eine entscheidende Rolle: Je nach Konzentration des Gefahrstoffes und dem mit der Exposition verbundenen Risiko müssen Maßnahmen priorisiert werden.

4: Maßnahmenplan erstellen: Wird der Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) überschritten oder handelt es sich um Tätigkeiten mit mittlerem oder hohem Risiko, muss unverzüglich ein Maßnahmenplan erstellt werden. Dieser muss konkrete Schritte zur Reduzierung der Exposition sowie einen Zeitplan enthalten. Der Arbeitgeber ist außerdem verpflichtet, diesen Plan zusammen mit der Gefährdungsbeurteilung aufzubewahren.

OEL oder BOELV?

Die Begriffe OEL (Occupational Exposure Limit) und BOELV (Binding Occupational Exposure Limit Value) beschreiben Arbeitsplatzgrenzwerte für gefährliche Stoffe, unterscheiden sich jedoch in ihrer Verbindlichkeit und ihrem rechtlichen Rahmen. Ein OEL ist ein allgemeiner Grenzwert, der von nationalen Behörden festgelegt wird und die maximale Konzentration eines Stoffes in der Luft am Arbeitsplatz definiert, der Arbeitnehmer ausgesetzt sein dürfen. Er dient als Leitlinie und kann je nach Land unterschiedlich streng umgesetzt werden. Im Gegensatz dazu steht der BOELV, ein verbindlicher Grenzwert, der auf EU-Ebene durch Richtlinien festgelegt wird. Dieser muss von allen Mitgliedstaaten in nationales Recht übernommen und durchgesetzt werden, wobei strengere nationale Regelungen zulässig sind. Während OELs flexibel angepasst werden können, bildet der BOELV eine gesetzliche Mindestanforderung, die einheitlich und verpflichtend gilt – vor allem bei Stoffen mit hohem gesundheitlichem Risiko.

Technische Lösungen als Schlüssel zum Schutz der Beschäftigten

Die technischen Anforderungen der neuen Gefahrstoffverordnung sind anspruchsvoll und erfordern von den Unternehmen ein proaktives Herangehen an den Arbeitsschutz. Technische Lösungen spielen eine zentrale Rolle, um die Sicherheit der Beschäftigten zu gewährleisten. Insbesondere folgende Maßnahmen stehen im Fokus

Lüftungsanlagen und Absaugtechnik: Der Einsatz moderner Lüftungssysteme ist unerlässlich, um die Konzentration gefährlicher Stoffe in der Atemluft zu minimieren. Die Verordnung fordert, dass die abgesaugte Luft ausreichend gereinigt in die Arbeitsbereiche zurückgeführt wird. Dies gilt insbesondere für Tätigkeiten, bei denen eine Exposition gegenüber krebserzeugenden Stoffen nicht völlig ausgeschlossen werden kann.

Personen in Schutzanzügen in einem Labor
Technische Lösungen werden auch in der neuen Gefahrstoffverordnung gegenüber persönlicher Schutzausrüstung priorisiert. (Bild: gorodenkoff - stock.adobe.com)

Persönliche Schutzausrüstung (PSA): Obwohl technische Maßnahmen immer Vorrang haben, bleibt die persönliche Schutzausrüstung ein unverzichtbarer Bestandteil des Schutzkonzeptes. Die Verordnung betont jedoch, dass der Einsatz von PSA keine Dauerlösung sein darf. Ziel ist es, den Einsatz von PSA durch technische und organisatorische Maßnahmen zu minimieren.

Automatisierung und Robotik: Der Einsatz von Automatisierungstechnologien bietet zusätzliche Möglichkeiten zur Reduzierung der Exposition. Automatisierte Prozesse können gefährliche Tätigkeiten übernehmen und damit das Risiko für die Beschäftigten deutlich reduzieren.

Überwachung und Messung der Exposition: Unternehmen müssen regelmäßig überprüfen, ob die Arbeitsplatzgrenzwerte eingehalten werden. Dies kann durch direkte Messungen oder durch Übertragung von Expositionsdaten vergleichbarer Arbeitsplätze geschehen. Neu ist, dass auch für nicht messtechnische Ermittlungsmethoden Fachkenntnisse erforderlich sind, um ein hohes Qualitätsniveau sicherzustellen.

Erweiterte Dokumentations- und Informationspflichten

Die neue Gefahrstoffverordnung legt besonderen Wert auf umfassende Dokumentation und Transparenz. Für Tätigkeiten mit krebserzeugenden oder fortpflanzungsgefährdenden Stoffen wurden die Anforderungen an die Aufzeichnungspflichten erheblich erweitert. Dazu gehören

  • Expositionsverzeichnisse: Diese müssen nun auch reproduktionstoxische Stoffe umfassen und die Daten sind mindestens fünf Jahre nach Ende der Exposition aufzubewahren.
  • Meldepflichten: Arbeitgeber müssen die zuständigen Behörden informieren, wenn der MAK-Wert nicht eingehalten wird oder Tätigkeiten mit hohem Risiko durchgeführt werden. Die Meldung muss innerhalb von zwei Monaten erfolgen und den Maßnahmenplan enthalten.

Die Verordnung sieht Übergangsfristen vor, um den Unternehmen die Anpassung an die neuen Anforderungen zu erleichtern. So gilt beispielsweise eine Übergangsfrist von drei Jahren, bevor die neuen Arbeitsplatzgrenzwerte verbindlich werden. Während dieser Zeit müssen jedoch bereits die grundlegenden Schutzmaßnahmen nach § 10 Abs. 2 und 3 umgesetzt werden. Eine Erleichterung besteht darin, dass für CMR-Stoffe, sofern sie nicht akut toxisch sind, die Pflicht zur verschlossenen Aufbewahrung der Unterlagen entfällt. Diese Änderung verringert den Verwaltungsaufwand für die Unternehmen und ermöglicht eine flexiblere Lagerung von Gefahrstoffen.

Fässer für Gefahrstoffe
Erweiterte Dokumentations– und Meldepflichten gehören zu den Neuerungen der GefStoffV. (Bild: bildwert - stock.adobe.com)

Technische Umsetzung der neuen Gefahrstoffverordnung

Wie bereits die REACH-Verordnung und der für die pharmazeutische Produktion wichtige Anhang 1 der EU-GMP-Richtlinie gibt auch die novellierte Gefahrstoffverordnung geschlossenen Systemen und technischen Schutzmaßnahmen beim Umgang mit krebserzeugenden und fortpflanzungsgefährdenden Stoffen den Vorrang. Containment-Technologien bieten hierfür ideale Lösungen, indem sie den direkten Kontakt mit Gefahrstoffen verhindern und Emissionen minimieren. Systeme wie Isolatoren, RABS oder flexible Isolatoren setzen die Anforderungen der GefStoffV effektiv um, insbesondere bei Stoffen mit sehr niedrigen Arbeitsplatzgrenzwerten (AGW).   

Das mit der neuen Verordnung eingeführte risikobasierte Maßnahmenkonzept basiert auf einer differenzierten Expositions- und Risikobewertung. Die Einschließungssysteme sind so flexibel, dass sie an alle Risikostufen angepasst werden können (z. B. mittleres oder hohes Risiko entsprechend den Akzeptanz- oder Toleranzkonzentrationen). Darüber hinaus ist der Einsatz von belastender PSA ausdrücklich nur als Übergangslösung erlaubt, bis technische oder organisatorische Maßnahmen greifen. Containment-Systeme erfüllen diese Forderung in idealer Weise, da sie einen dauerhaften Schutz bieten, ohne die Produktivität einzuschränken.

Ein zentrales Element der Containment-Strategie ist die Einhaltung der Arbeitsplatzgrenzwerte (AGW) und die Berücksichtigung des Occupational Exposure Bandes (OEB). Diese Werte definieren die maximal zulässige Konzentration von Gefahrstoffen in der Luft und den erforderlichen Schutzgrad:

  • OEL (Occupational Exposure Limit): Arbeitsplatzgrenzwerte, die nach der neuen GefStoffV für viele Stoffe verbindlich sind und durch geeignete Maßnahmen eingehalten werden müssen.
  • OEB (Occupational Exposure Band): Die Einstufung eines Stoffes nach seiner Toxizität (z.B. OEB-5 für Stoffe mit einem Grenzwert unter 1 µg/m³) hilft bei der Auswahl geeigneter Containment-Systeme.

Die GefStoffV schreibt vor, dass technische Schutzmaßnahmen wie Absaugung oder geschlossene Systeme eingesetzt werden müssen, um die Einhaltung von Grenzwerten wie dem AGW (Arbeitsplatzgrenzwert) zu gewährleisten. Containment-Systeme sind so konzipiert, dass sie OEL- und OEB-Anforderungen erfüllen, indem sie Expositionsspitzen verhindern und die Konzentration gefährlicher Stoffe weit unter die geforderten Grenzwerte senken. Schließlich sind Containment-Systeme nicht nur sicherer als persönliche Schutzausrüstungen, sondern langfristig auch wirtschaftlicher, da sie helfen, Produktverluste zu vermeiden, die Produktivität zu steigern und regulatorische Anforderungen zu erfüllen.

Fazit: Containment als Enabler der Gefahrstoffverordnung

Die neue Gefahrstoffverordnung und der Trend zu Containment-Lösungen ergänzen sich perfekt. Während die Verordnung strenge Anforderungen an den Umgang mit Gefahrstoffen stellt, bietet Containment die technologischen Möglichkeiten, diese Anforderungen umzusetzen. Die chemische und pharmazeutische Industrie sollte die Chance nutzen, ihre Sicherheitsstrategien durch die umfassende Integration von Containment-Technologien zu modernisieren. Damit wird nicht nur die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen sichergestellt, sondern auch die Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschützt und die Produktqualität nachhaltig verbessert.

Ausführliche Infos zu den Neuerungen und Ergänzungen in der GefStoffV:

 

Verordnung zur Änderung der GefStoffV:
https://www.recht.bund.de/bgbl/1/2024/384/VO.html

Erklärvideo der BG-Chemie:
https://www.bgrci.de/gefahrstoffvideos/videothek/aenderungen-gefahrstoffverordnung-2024

Sie möchten gerne weiterlesen?