
Vor einem Stillstand sollte das Vorhandensein aller erforderlichen Ersatzteile geprüft werden. (Bild: Surasak – stock.adobe.com)
- Beim Turnaround einer Pumpe in der Rohölverarbeitung fehlte das passende Ersatzlaufrad.
- Mittels Reverse Engineering mit einem 3D-Koordinatenmessgerät und 3D-Druck wurde ein neues Laufrad hergestellt.
- Durch die Nachkonstruktion wurde unter anderem das Material des Laufrads und der Wirkungsgrad der Pumpe verbessert.
Bei geplanten Stillständen, sogenannten Turnarounds, ist die Zeit stets knapp bemessen. Daher erwies sich die Revision einer Prozesspumpe in der Rohölverarbeitung bei Shell im Werksteil Köln-Godorf als besonders kritisch: Ein erforderliches Ersatzlaufrad war nicht verfügbar – und ein neues Bauteil hätte mehrere Monate Lieferzeit bedeutet. Angesichts von Stillstandskosten in signifikanter Höhe war klar: Es musste eine Alternative her. Die betreffende Pumpe sollte im Rahmen des Stillstands auf eine doppeltwirkende Gleitringdichtung (DGLRD) umgebaut und generalüberholt werden. Dabei wurde der vorhandene Lagerträger mit einfachwirkender Gleitringdichtung durch einen API-610-Lagerträger der neuesten Generation ersetzt, der für den Einsatz einer doppeltwirkenden Gleitringdichtungs-Cartridge geeignet ist. Dadurch sollten die Prozesssicherheit erhöht und die Anforderungen aus der TA-Luft zur Emissionsminderung eingehalten werden.
Weniger Emissionen, mehr Prozesssicherheit
Doppeltwirkende Dichtungen verfügen über zwei Dichtungspaare mit einem dazwischenliegenden Sperrraum, der in der Regel mit einer Sperrflüssigkeit beaufschlagt wird – die typischerweise 1,5 bis 2,5 bar über dem Stopfbuchs-Raumdruck liegt. So wird verhindert, dass geförderte Medien aus der Pumpe in die Atmosphäre entweichen. Das hat mehrere Vorteile: Zum einen führt ein einfacher Gleitringdichtungsbruch nicht zwangsläufig zum Produktaustritt. Denn das zweite Dichtungspaar dient noch als Barriere und da das System über Sensoren überwacht wird, die bei Defekten alarmieren, wird die Prozesssicherheit erheblich erhöht. Zum anderen reduziert die DGLRD die Emissionen aus der Pumpe.
Vermeintliches Ersatzteil ist ein Fehlstück
Vor dem Stillstand waren alle vorbereitenden Maßnahmen abgeschlossen: Die relevanten Ersatzteile wie Lager, Gleitringdichtungen, Schrauben sowie Verschleißringe waren geprüft und lagen bereit. Auch ein Ersatzlaufrad schien laut Lagersoftware und Sichtkontrolle vorhanden zu sein. Beim Ausbau stellte sich heraus, dass das Laufrad Verschleißspuren aufwies – und das vermeintliche Ersatzteil nicht zum Pumpentyp passte. Tatsächlich war versehentlich ein pumpenfremdes Laufrad eingelagert worden. Ein konventioneller Nachschub hätte Wochen bis Monate in Anspruch genommen – mit erheblichen Mehrkosten im Rahmen des eng getakteten Stillstands.
Mit Reverse Engineering und 3D-Druck gefertigt
Doch Not macht erfinderisch: Das Team kam auf die Idee, das verschlissene Laufrad direkt vor Ort mit einem 3D-Koordinatenmessgerät, einer Art 3D-Scanner, zu digitalisieren. Mittels der gewonnenen Daten konnte der Pumpenhersteller durch Reverse Engineering das digitale Modell vervollständigen und gleichzeitig hinsichtlich Wirkungsgrad und Druckverhalten verbessern. Auf dieser Basis hat der Pumpenhersteller an seinem Standort bei Mailand eine Gussform im 3D-Druckverfahren erstellt und anschließend in der Gießerei aus einem beständigeren Material gegossen – das neue Laufrad war geboren.

Prüfung unter realen Bedingungen
Nach der Fertigung in Mailand brachte der Pumpenhersteller das Bauteil zu seinem Servicecenter in Leuna, wo er es zusammen mit der neuen Gleitringdichtung, dem Lagerträger und dem angepassten Rückendeckel in die Pumpe integrierte. Anschließend erfolgte der Transport der fertigen Pumpe zum Prüfstand im niederländischen Hengelo zum Funktions- und Abnahmetest: Auf dem Prüfstand wird die sogenannte Pumpenkurve aufgenommen, meist Druck in Metern über dem Volumenstrom in m³/h. Ferner werden die elektrische Leistungsaufnahme und die Vibrationen gemessen. Der Test wird für gewöhnlich mit Wasser durchgeführt, über die Ähnlichkeitsgesetze können dann die Werte für das tatsächliche Fördermedium berechnet werden. Das Ergebnis: Die Pumpe bestand den Test und konnte rechtzeitig wieder in Betrieb genommen werden – seither läuft sie störungsfrei.

Mehr als ein einfacher Ersatz
Die Nachkonstruktion brachte mehrere Vorteile: Zum einen konnte das Material des Laufrads so gewählt werden, dass es besser gegen abrasive Medien beständig ist. Zum anderen wurde der Wirkungsgrad der Pumpe verbessert – insbesondere durch eine bessere Gestaltung der Strömungskanäle erhöhte sich der Förderdruck bei gleichzeitig gesenktem Energieverbrauch.
Darüber hinaus erhielt die Pumpe eine vollständige Atex-Zertifizierung. Bis dato lag eine Zündgefahrenbewertung vor. Hintergrund ist, dass ab Juli 2003 auch nichtelektrische Geräte in Ex-Zonen wie Pumpen oder Kompressoren über eine Atex-Zertifizierung verfügen müssen oder – bei Altgeräten vor diesem Datum – eine sogenannte Zündgefahrenbewertung durchgeführt werden muss.
Drei Wochen von Problem bis Lösung
Der gesamte Prozess – vom Auftreten des Problems über das Scannen und das anschließende Modellieren in den Niederlanden, die Fertigung in Italien, den Einbau in Leuna, die Prüfung in den Niederlanden bis hin zur Wiederinbetriebnahme in Köln-Godorf – wurde in rund drei Wochen abgeschlossen. Eine bemerkenswerte Leistung, die zeigt, welches Potenzial der industrielle 3D-Druck heute schon für die Instandhaltung und Verbesserung komplexer Anlagen bietet.

Interview mit Mehmet Sahin Cengiz, Explosion Protection Inspector, Shell
CT: Wie sind Sie bei der Nachkonstruktion des Laufrads vorgegangen?
Mehmet Sahin Cengiz: Als wir beim Öffnen der Pumpe feststellten, dass das eingebaute Laufrad Verschleißspuren aufwies und das gelagerte Ersatzteil nicht zum Pumpentyp passte, mussten wir schnell eine Lösung finden. Die Idee war, das beschädigte Laufrad digital zu erfassen. Dafür kamen Spezialisten aus den Niederlanden mit einem 3D-Scanner und einem Faro-Arm zu uns in den Shell Energy and Chemicals Park Rheinland. Diese Geräte erlauben es, selbst komplexe Geometrien und verschlissene Bereiche sehr präzise aufzunehmen. Die daraus gewonnenen Daten wurden zu einem vollständigen digitalen Modell verarbeitet. Die Konstrukteure des Pumpenherstellers konnten auf dieser Basis die verschlissenen Partien rekonstruieren und gleichzeitig kleinere Optimierungen vornehmen. So entstand ein 3D-Modell, das sowohl die ursprüngliche Geometrie als auch gezielte Verbesserungen beinhaltete – und die Grundlage für die Fertigung des neuen Laufrads bildete.
CT: Was hat sich durch das 3D-gedruckte Laufrad an der Pumpe verändert?
Cengiz: Wir konnten das Material gezielt verbessern, was die Standzeit des Laufrads deutlich verlängern dürfte. Gleichzeitig wurde der Wirkungsgrad der Pumpe erhöht. Der Pumpenhersteller hat die Gelegenheit genutzt, die Strömungskanäle so anzupassen, dass der Förderdruck leicht gesteigert und der Energiebedarf gesenkt werden konnte. Das zeigte sich sowohl auf dem Prüfstand als auch im realen Betrieb mit Kohlenwasserstoffen, die aufgrund ihrer Dämpfungseigenschaften sogar zu geringeren Vibrationen führten. Darüber hinaus erhielt die Pumpe eine vollständige Atex-Zertifizierung, zuvor lag eine Zündgefahrenbewertung vor.
CT: Glauben Sie, dass der 3D-Druck künftig eine größere Rolle bei der Wartung und Ersatzteilstrategie spielen wird?
Cengiz: Auf jeden Fall. Der 3D-Druck eröffnet gerade in unserer Branche große Chancen. Ersatzteile mit langen Lieferzeiten können schneller bereitgestellt werden – und oft gleich in verbesserter Form, was Materialien oder Geometrie betrifft. So lassen sich nicht nur Ausfallzeiten verringern, sondern auch die Anlageneffizienz steigern. Shell betreibt inzwischen eine eigene 3D-Druck-Abteilung in den Niederlanden, die sich mit unterschiedlichsten Anwendungen beschäftigt. Besonders interessant finde ich den Aspekt der Unabhängigkeit von globalen Lieferketten – ein Thema, das spätestens seit der Corona-Pandemie stark an Bedeutung gewonnen hat. Mit einem lokalen oder sogar unternehmenseigenen 3D-Druckzentrum lassen sich viele Herausforderungen schneller und flexibler lösen. Zukünftig könnte man sich sogar ein digitales Warenhaus vorstellen, in dem statt fertiger Ersatzteile nur die digitalen Zwillinge aufbewahrt werden, die quasi „on demand“ gedruckt und dann nur noch geringfügig nachbearbeitet werden müssten. Das wird sicher die Zukunft werden.
Neugierig geworden?
Mehr Berichte wie diesen sowie praxisnahe Vorträge zu Pumpenthemen finden Sie auf der Praktikerkonferenz für Pumpen in der Verfahrens-, Kraftwerks- und Abwassertechnik, die der Ingenieurdienstleister Prof. Dr. Jaberg & Partner GmbH in Graz ausrichtet. 2025 hat die Veranstaltung – deren Medienpartnerin die CHEMIE TECHNIK ist – bereits stattgefunden, aber tragen Sie sich schon jetzt das Datum der nächsten Praktikerkonferenz ein: 13. bis 15. April 2026. Mehr Informationen zur Konferenz und zur Vortragseinreichung finden Sie auf der Veranstaltungswebseite.