Interview mit Sami Pelkonen, Executive Vice President Green Hydrogen, Renewable Fuels and P2X, Andritz Environment & Energy
Anlagen- und Maschinenbauer Andritz expandiert in der Wasserstoff-Wirtschaft und hat in Erfurt die Produktion von Elektrolyse-Stacks aufgenommen. Sami Pelkonen erklärt als Experte für grünen Wasserstoff die Hintergründe und erwarteten Marktentwicklungen.
„Längerfristig wird Wasserstoff dort produziert, wo die Energiekosten günstig sind.“Sami Pelkonen, Andritz Environment & Energy(Bild: Andritz)
Anzeige
Zur Person
Sami Pelkonen ist als Executive Vice President des Bereichs Green Hydrogen, Renewable Fuels and P2X bei Andritz Environment & Energy verantwortlich für die gesamte Wertschöpfungskette von der Technologie über die Fertigung bis hin zum Service. Er promovierte in Chemieingenieurwesen an der Universität Dortmund und erwarb einen Master an der Technischen Universität Helsinki. Bevor er zu Andritz kam, war er 25 Jahre bei Thyssenkrupp tätig, wo er mehrere Geschäftsbereiche leitete – darunter den Chemieanlagenbauer Uhde und Thyssenkrupp Uhde Chlorine Engineers (heute Thyssenkrupp Nucera).
CHEMIE TECHNIK: Die Chemieindustrie hat ein großes Interesse daran zu dekarbonisieren. Das bringt Chancen für Anlagenbauer wie Andritz, die Sie jetzt unter anderem als Anbieter von Elektrolyse-Stacks wahrnehmen. Was macht dieses Projekt für Sie zu etwas Besonderem? Sami Pelkonen: Wir bringen hier viele Ideen und Kompetenzen aus unterschiedlichen Perspektiven zusammen: unter anderem die Elektrolyse-Kompetenz von Hydrogen Pro aus Norwegen, die Schwerindustrie- und Maschinenbau-Erfahrung von Andritz Schuler, und unsere Elektrolyse- und Anlagenbau-Kompetenz aus unserem Geschäftsbereich Environment & Energy in Wien. In unserem Team haben wir gezielt Experten eingestellt, die unterschiedliche Hintergründe in der Elektrolyse haben. Hinzu kommt das Zusammenspiel mit unserem ersten Kunden, dem Stahlkonzern Salzgitter. Für diesen realisiert Andritz eine 100-Megawatt-Elektrolyse, und das ist Realisierung im Schnelldurchgang: Viele unserer Ideen wurden hier in ein deutlich verbessertes Produkt gepackt und direkt implementiert.
Die Gigafactory in Erfurt
In der Gigafactory am Standort des Andritz-Tochterunternehmens Schuler in Erfurt werden seit April 2025 Elektrolyse-Equipment mit einer Gesamtkapazität bis 1 GW/a produziert. Dieses Geschäft soll noch deutlich wachsen: Das Werk ist für einen Ausbau der Kapazitäten auf bis zu 4,5 GW/a ausgelegt. Die Elektrolyseure basieren auf der Technologie des Andritz-Partners Hydrogen Pro aus Norwegen. Erster Abnehmer ist der Stahlkonzern Salzgitter, der die emissionsarme Produktion von Stahl anstrebt. Den grünen Wasserstoff zu diesem Zweck soll eine Elektrolyseanlage von 100 MW liefern. Deren 20 Stacks mit je 5 MW Leistung befinden sich derzeit in Erfurt im Bau.
CT: Das Geschäftsfeld grüner Wasserstoff und erneuerbare Treibstoffe ist ein vergleichsweise neues. Wie lange ist Andritz bereits in diesem Bereich aktiv? Pelkonen: Andritz ist dort seit vier Jahren aktiv. In einem Startup-Contest hat das ein Kollege von mir initiiert. Dann wurde es aufgebaut, und inzwischen sind wirein Team von über 100 Leuten, die in diesem Bereich arbeiten. Andritz hat da einen Trend gesehen, der es wert ist, darauf aufzuspringen – ohne dass man anfangs ein Chemieanlagenbauer war. Denn letztendlich sind grüne Wasserstoffanlagen auch Chemieanlagen. Diese Kompetenzen hat Andritz auch zum Teil, weil in jeder Zellstoff-Fabrik, in jeder Metallverarbeitung Erfahrungen mit Chemikalien, zum Beispiel Säuren, Laugen, bzw. Gasen, darunter auch Wasserstoff und Sauerstoff, vorweisen können. Dies sind wertvolle Kompetenzen, die für den Elektrolyseanlagenbau nutzbar sind und selbstverständlich auch eingebracht werden. Eine Transformation dieser Kompetenzen in das Gebiet von Energy & Environment ist Andritz somit verhältnismäßig leicht gefallen.
Anzeige
Andritz hat auch schon Wasserstoff-Expertise gehabt, der ja unter anderem auch in Stahlwerken oft verwendet wird. Wasserstoff ist also für Andritz nicht völlig neu. Auf diese Kompetenzen konnten wir zurückgreifen. Und das Schöne ist, wir können auch auf die Kompetenzen der gesamten Andritz-Gruppe zurückgreifen, ob das jetzt EPC-Abwicklung oder Fertigung betrifft, wie wir sie hier in Erfurt sehen.
CT: Es heißt, „Change braucht Zeit“. Wie schwierig ist es, vorhandene Kompetenzen neu anzuwenden, wenn man ein Geschäftsfeld so umstellt? Pelkonen: Das ist eine Mischung. Man braucht den Zugang zu diesen Kompetenzen aus dem Markt. Ich komme selbst von Thyssenkrupp aus dem Chemieanlagenbau, ein Kollege von mir hat vorher verschiedene Funktionen bei Linde Engineering gehabt. Andere kommen unter anderem von OMV. Wir haben eine Mischung von Andritz-Leuten und zusätzlichen Kompetenzen, sodass wir die Andritz-Kultur beibehalten können, aber auch neue Talente akquirieren können. Dazu kommt natürlich das Training der Mitarbeiter vor Ort wie hier [in Erfurt]. Um in Kürze eine solche Fertigungs- und Montagetätigkeit auzubauen, braucht es vor allem eine enge Zusammenarbeit im Team.
In der Erfurter Gigafactory produziert Andritz Elektrolyse-Stacks mit einer Kapazität von 5 MW wie diesen für die Herstellung von grünem Wasserstoff.(Bild: Redaktion)
CT: Sie erwarten eine deutliche Hochskalierung des Bedarfes – das neue Werk ist auf mögliche Erweiterungen der Gesamtkapazität der montierten Elektrolyse-Stacks bis 4,5 Gigawatt im Jahr ausgelegt. Worauf stützen Sie die Erwartungen für das Wachstum des Wasserstoff-Marktes? Pelkonen: Das ist ein Henne-Ei-Problem. Für Investitionen benötigen unsere Kunden Planungssicherheit, zum Beispiel klare gesetzliche Vorgaben hinsichtlich der Regulatorik. Die EU hat diese zum Beispiel in Form der RED III vorgegeben, allerdings entsteht Verbindlichkeit nur dadurch, dass auf Mitgliedstaat-Ebene diese Regulatorik in Landesgesetz implementiert wird. Leider ist dieser Prozess noch nicht hinreichend abgeschlossen. Wir sind zuversichtlich, dass diese Regulatorik der entscheidende Treiber für die Wasserstoffökonomie in Europa sein wird, da Industrien wie zum Beispiel Raffinerien den Grünen Wasserstoff in ihrer Wertschöpfungskette zur Erreichung der Regulatorik-Ziele benötigen.
Anzeige
Der zweite entscheidende Treiber ist die Infrastruktur, also das Wasserstoff-Kernnetz bzw. das European Hydrogen Backbone. Dieses Kernnetz schafft die Voraussetzung, dass an den Standorten produziert werden kann, wo die Energiekosten am niedrigsten sind. Der somit deutlich kostengünstiger produzierte Wasserstoff kann mit der Pipeline effizient zu den Orten der Abnahme, zum Beispiel an den Industrie-Clustern, transportiert werden. Das Hauptproblem ist, keiner weiß so genau, wann das so richtig zündet. Wir sind mit unserem Team und unserer Produktion sprichwörtlich in den Startlöchern, aber leider erleben wir noch, dass die Investitionsentscheidungen für die Projekte regelmäßig verschoben werden. Wir glauben, dieses und nächstes Jahr sind entscheidend. Also spätestens Ende nächsten Jahres muss dieser Schwall von Investitionsstaus gebrochen werden, um die Wasserstoffwirtschaft nach vorn zu bringen. Wir haben keinen Zweifel, dass das kommt –aber den Blick in die Kristallkugel zum Timing kann keiner werfen. Aber Andritz hat das Durchhaltevermögen, das zu überstehen.
CT: Wenn Sie die Kapazitäten erweitern, bezieht sich das auf die Stückzahl der montierten Stacks, oder werden die Stacks selbst größer werden? Pelkonen: Beides, Zug um Zug. Wir haben jetzt einige technologische Innovationen implementiert, die wir auch in den Stacks für Salzgitter bereits verbauen. Das wurde natürlich ausführlich verifiziert. Und jetzt haben wir die nächsten Pläne in unserer Roadmap, um den Energieverbrauch weiter zu senken, denn drei Viertel der Kosten von Wasserstoff sind Energiekosten. Deswegen ist der Energieverbrauch der Elektrolyse sehr entscheidend. Wenn dieser Schritt der Roadmap abgeschlossen ist, dann werden wir auch die Stack- und Sytemgröße skalieren.
CT: Sinkende Energiepreise in Deutschland sind damit auch für Sie relevant. Wie passt das zu dem Anspruch, dass Deutschland Vorreiter in der Wasserstoffwirtschaft sein will? Pelkonen: Deutschland wird ein großer Abnehmer von Wasserstoff sein. Die Frage ist, wieviel ist Eigenproduktion in Europa und wieviel ist importiert. Längerfristig wird Wasserstoff dort produziert, wo die Energiekosten günstig sind. Und da kommt der H2 Backbone ins Spiel.
Anzeige
Die Montage, die wir hier vornehmen, geht Hand in Hand mit den innovativen Ideen, wie man weniger Energie verbraucht. Die reine R&D-Arbeit findet hier nicht statt, die Komponenten kommen beispielsweise von Hydrogen Pro aus Aarhus in Dänemark. Aber das Feedback, was man verbessern kann, kommt hier eher aus der Praxis. Und hier kommen wir alle zusammen: Hydrogen Pro, Andritz, unsere R&D- und Fertigungsexperten überlegen hier vor Ort am Objekt, was man verbessern kann.
CT: Der erste Kunde ist ein Stahlkonzern. In welchen Branchen erwarten Sie die größte Nachfrage? Pelkonen: Es geht ja nicht nur um Wasserstoff, sondern auch um Anlagen für Wasserstoff-Derivate wie Methanol und Ammoniak. Wir erwarten, dass Methanol als Schiffstreibstoff benötigt werden wird. Dort erkennt man auch bereits das Commitment der Endanwender, den Flottenbetreibern. In der Luftfahrt dagegen, bei e-SAF, dauert es unserer Auffassung nach etwas länger, vielleicht fünf Jahre, vielleicht nur drei oder auch sieben.
Im Bereich der Düngemittelindustrie glauben wir an e-Ammoniak als künftigen Grundstoff; e-Ammoniak ist aber aufgrund seines hohen Wasserstoffanteils im Molekül ein ausgezeichneter Energieträger, um Energie zwischen Kontinenten auf diesem Weg einzuspeisen.dem Seewege zu transportieren.
CT: Woran liegt es, dass dieser Ausbau bislang eher schleppend verlaufen ist? Pelkonen: Das liegt aus meiner Sicht erstmal daran, dass unsere Kunden, die Produzenten, keine Abnahmevereinbarungen über 10 bis 15 Jahre bekommen. Banken benötigen aber genau diese Langfrist-Offtake-Bedingungen, und dies eine hinreichend hohe Kapazität der Anlage abdeckend, um die Finanzierungszusagen geben zu können. Und die Abnehmer sind, wie eingangs erläutert, noch verunsichert aufgrund der unklaren Regulatorik. Nur mit schneller Umsetzung dieser Regulatorik und planbaren Rahmenbedingungen lässt sich dieser Gordische Knoten auflösen.
Anzeige
Allerdings reicht die beste Regulatorik alleine nicht. Die Produktion von grünem Wasserstoff muss wettbewerbsfähiger werden. Und das kommt nur durch die Skalierung, Innovationen und durch die Errichtung der Wasserstoffproduktion in Gegenden mit günstiger erneuerbarer Energie.
CT: Welche zukünftigen Entwicklungen halten Sie in diesem Markt für wahrscheinlich, oder für notwendig? Pelkonen: Gesellschaftlich gesehen war es vor ein paar Jahren so, dass die Menschen bereit waren, auch im privaten Bereich mehr zu tun, zum Beispiel für ein Auto mit grünem Stahl 300 Euro mehr zu zahlen. Diese Bereitschaft ist etwas gesunken, und deswegen glaube ich, in der Bevölkerung muss das Bewusstsein für Klimawandel wieder größer werden, und warum wir das ganze Thema Dekarbonisierung brauchen.
Und zweitens, ich denke insbesondere im Bereich Treibstoffe für Schiffstransport und Flugverkehr wird der Weg in Richtung Wasserstoff gehen, davon bin ich stark überzeugt. Und auch in Richtung grüne Fertilizer. Auf Seiten des Anlagenbaus glaube ich, dass sich die Capex-Kosten für so eine Anlage deutlich reduzieren werden, dass wir erheblich Energiekosten senken werden und dadurch der Wasserstoffpreis lukrativer wird.
Anzeige
Wenn man sich anschaut, wozu in der Zukunft Energie gebraucht wird: Da sind die Data-Center, die werden enorme Mengen an Energie benötigen, und das braucht irgendeinen Energiespeicher, und da kommt auch Wasserstoff zum Tragen, um überschüssige Energie auch zu speichern.
Und ich denke, der Schulterschluss mit der Politik, mit den Produzenten und Auftraggebern und uns Anlagenbauern und Technologiegebern ist sehr wichtig. Die traditionelle Logik mit Kunde und Lieferant, das allein reicht nicht, weil das Thema so vielschichtig ist. Eine Zusammenarbeit aller Beteiligten wird hier sehr wichtig sein.