Vollmundige Versprechungen sind oft der Ausgangspunkt neuer Technologien: Was wird uns die komplett digitalisierte Produktion nicht alles ermöglichen – mehr Informationen, weniger Handarbeit.; mehr Geschäft und weniger Ausschuss – um nur einige wenige Segnungen der Industrie 4.0 zu nennen. 2014 als „vierte industrielle Revolution“ ausgerufen, wurde der Begriff relativ schnell omnipräsent. Was folgte, waren zahlreiche Enttäuschungen, weil der Weg bis zum produktiven Nutzen steinig und mit unangenehmen Detailfragen gepflastert ist. Doch Lehrgeld zu zahlen, um dann im Tal der Enttäuschung die Brocken hinzuwerfen, greift zu kurz. Denn: Wie bei den meisten Technologieentwicklungen ist dieser Verlauf ganz normal – um den Nutzen zu ernten, ist Durchhaltewillen gefragt. „Wir neigen dazu, die kurzfristige Wirkung einer Technologie zu überschätzen und die langfristige zu unterschätzen“, brachte dies der amerikanische Zukunftsforscher Roy Amara auf den Punkt.
Neue Anlagenbauprojekte im September 2020:
„Wir neigen dazu, die kurzfristige Wirkung einer Technologie zu überschätzen und die langfristige zu unterschätzen“
Beschrieben wird der Verlauf, den neue Technologien von der Idee bis zur produktiven Umsetzung nehmen, im Hype-Zyklus des Beratungsunternehmens Gartner. Die Aufmerksamkeit für ein neues Thema wird dabei über der Zeit aufgetragen und in fünf Abschnitte eingeteilt:
Ausgangspunkt ist ein technologischer Auslöser oder Durchbruch. Der Enthusiasmus dazu steigt in der zweiten Phase, erste Erfolge werden in der Öffentlichkeit „gehypt“ bis der „Gipfel der überzogenen Erwartungen“ erreicht ist. Und weil die Technologie diese nicht erfüllen kann, folgt das Tal der Enttäuschungen – das Thema ebbt in der Berichterstattung ab. Realistische Einschätzungen der Grenzen und des Nutzens einer Technologie führen, so Gartner, schließlich auf den „Pfad der Erleuchtung“, der dann auf das „Plateau der Produktivität“ führt.
Über die Systematik und grafische Darstellung der Hype-Zyklen lassen sich also sowohl die Akzeptanz von Technologien als auch deren Reifegrad ermitteln. Sie bietet schließlich eine Entscheidungsgrundlage dafür, ob und wann es sich einzusteigen lohnt. Interessante Erkenntnisse liefern dabei nicht nur die aktuellen Einschätzungen, wie sie von Gartner regelmäßig veröffentlicht werden, sondern auch die Retrospektive. Für Technologie-Innovationen zum Einsatz in produzierenden Unternehmen hat das Beratungsunternehmen beispielsweise im Juli 2017 die damals aktuellen Einschätzungen veröffentlicht. Die Grafik verortet die Technologien nicht nur im Hype-Zyklus, sondern schätzt zudem auch die Zeit bis zur produktiven Umsetzung ein.
Wichtig zu wissen: In der Prozessindustrie gehen die Uhren in der Regel langsamer als in der diskreten Fertigung. Und weil dies so ist, können Technologen und Ingenieure Entwicklungen in der Fertigungsindustrie verfolgen und aus Fehlern und Enttäuschungen lernen. Oder sogar Abkürzungen nehmen, wie das Beispiel im Textkasten zeigt.
Namur will bei Cloudifizierung die Abkürzung nehmen
Wo steht die Industrie und insbesondere die Prozessindustrie bei der Nutzung von Cloud-Technologien? Diese Frage stand im Vordergrund eines prominent besetzten Diskussionspanels, das von der CT-Redaktion auf dem virtuellen Kongress IT meets Industry im September moderiert wurde. Nils Herzberg (SAP), Plamen Kiradjiev (IBM), Thorsten Pötter (Samson), Martin Schwibach (BASF/Namur) und Felix Hanisch (Bayer/Namur) tauschten nicht nur Argumente für eine Cloudifizierung der Industrie aus, sondern versuchten sich auch an einer Standortbestimmung im Hype-Zyklus. In der Podiumsdiskussion prägte Martin Schwibach die „Schwibach-Tunnel-Brücke“, mit der die Namur durch die gute Arbeit aller Mitwirkenden im Hype-Cycle sowohl den „Gipfel der überzogenen Erwartungen“ tunnelt wie auch das „Tal der Enttäuschungen“ überbrückt und direkt auf den „Pfad der Erleuchtung“ bringt.