Unter Handlungsdruck

Grüne Wende für Chemiebranche – Wege zur Klimaneutralität

Nachhaltigkeit ist für die Chemieindustrie nicht neu. Dennoch gehört sie weiterhin zu den größten Treibhausgas-Emittenten. Eine aktuelle Studie zeigt, wo Unternehmen ansetzen müssen, damit sich die grüne Transformation ökologisch und ökonomisch auszahlt.

Veröffentlicht Geändert
Reduce CO2 emissions, Carbon free energy.

  • Chemieunternehmen brauchen Methoden, die ihre Emissionen minimieren und gleichzeitig wirtschaftlich sind.
  • Übergreifend gilt, Effizienzpotenziale entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu heben.
  • Zusätzlich sollten Unternehmen grünen Strom und Rohstoffe einsetzen sowie ihre Prozesse elektrifizieren.

Noch ist der klimaneutrale Umbau der Industrie in Deutschland Konsens, bekennen sich deutsche Unternehmen zu ihren Nachhaltigkeitszielen. Doch jene Stimmen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft werden immer lauter, die das Rad zurückdrehen wollen. Sie klagen über zu viel Regulierung und Bürokratie, geringere Wettbewerbsfähigkeit und hohe Kosten. Da kommt die Studie des Beratungsunternehmens PwC und der University of Technology Sydney zur rechten Zeit. Zeigt sie doch am Beispiel der Chemieindustrie, dass sich Investitionen in den Klimaschutz auszahlen. Unternehmen, die auf erneuerbare Energien und alternative Technologien setzen, können nicht nur ihre Treibhausgas-Emissionen drastisch senken, sondern reduzieren langfristig auch ihre Kosten.


Emissionen minimieren und wirtschaftlich sein

Der ökologische Fußabdruck der Chemieindustrie ist riesig: Über 70.000 Produkte werden aus Chemikalien hergestellt, darunter Kunststoffe für Autos, Düngemittel für die Landwirtschaft oder Arzneimittel. Bei deren Produktion verwenden Unternehmen zumeist noch fossile Brennstoffe. Ergebnis: Nach der Stahlbranche belegt die Chemieindustrie den zweiten Platz unter den CO2-Emittenten und wird voraussichtlich zwischen 2020 und 2050 knapp 20 Gigatonnen CO2 produzieren. Das zeigt: Ohne eine konsequente Dekarbonisierung und Defossilisierung der chemischen Industrie lassen sich ambitionierte Klimaziele nicht erreichen. Zumal die Branche am Anfang der meisten Wertschöpfungsketten steht und mit vielen Branchen eng verknüpft ist.

Aber wie soll der Sektor seine Treibhausgas-Emissionen reduzieren, wenn gleichzeitig die Nachfrage nach chemischen Produkten steigt? Lässt sich unter diesen Voraussetzungen Klimaneutralität bis 2045 erreichen, wie es die Plattform „Chemistry4Climate“ des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) und des Verein Deutscher Ingenieure (VDI) vorsieht?
Die Unternehmen müssen neue Wege einschlagen, wenn sie sich diesen Herausforderungen stellen wollen. Natürlich gibt es nachhaltige Investments nicht zum Nulltarif: Prognosen des Beratungsunternehmens zufolge benötigt der Sektor bis 2040 Investitionen von bis zu 1 Bio. US-Dollar und bis 2050 bis zu 3,3 Bio. US-Dollar für die Netto-Null-Transformation. Aber der finanzielle Einsatz zahlt sich aus – nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch. Das unterstreichen die Untersuchungen des Beratungsunternehmens auf Basis von Marginal Abatement Cost Curves (MACC).

Solche Analysen veranschaulichen, welche Technologien sich besonders empfehlen, wenn Unternehmen nach sinnvollen Methoden suchen, die ihre Emissionen minimieren und gleichzeitig wirtschaftlich sind. Dafür wurde eine Datenbank zum ökologischen Fußabdruck untersucht und die relevantesten Maßnahmen für vier Chemikaliengruppen – Ammoniak, Methanol, Olefine und Aromaten – bewertet. Das Ziel: Die Emissionsreduktionshebel und ihre zugehörigen Kosten transparent darstellen und damit kostenoptimale Handlungsempfehlungen für die Unternehmen bereitstellen.

Decarbonization Concept for Clean Manufacturing and ESG
Ohne ein konsequentes Dekarbonisieren der chemischen Industrie lassen sich ambitionierte Klimaziele nicht erreichen.

Ja zu grünem Strom, nein zu fossilen Rohstoffen

Es gibt drei wichtige Hebel für die nachhaltige Transformation der Chemieindustrie:

  • Einsatz von grünem Strom: Elektrische Dampferzeuger und Wärmepumpen, die mit Strom aus erneuerbaren Energien betrieben werden, senken die CO2-Emissionen der Unternehmen. Denn die benötigte Prozesswärme wird auf nachhaltige Weise erzeugt.
  • Elektrifizieren der Produktionsprozesse: Klassische Steamcracker, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, sollten durch elektrische Steamcracker ersetzt werden. Da diese dann Strom aus erneuerbaren Quellen verwenden, reduzieren sie die Treibhausgas-Emissionen der Unternehmen. Bei der Produktion von Ethylen und Propylen beispielsweise lassen sich auf diese Weise die Emissionen um bis zu 92 % verringern.
  • Nutzen grüner Rohstoffe: Fossile Rohstoffe wie Erdgas und Rohöl lassen sich in vielen Fällen durch Biomasse und grünen Wasserstoff substituieren. In allen vier Chemikaliengruppen können biobasierte Rohstoffe fossile Rohstoffe ersetzen. Ammoniak ist, wenn aus grünem Wasserstoff statt aus Erdgas gewonnen, ein Energieträger mit hohem wirtschaftlichem Potenzial und deutlich geringeren Emissionen. Auch das Herstellen von Aromaten wie Benzol, Toluol und Xylol wird nachhaltiger, wenn Unternehmen Biomasse oder synthetisches Naphtha nutzen. Chemikalienrecycling trägt bei Methanol, Benzol, Toluol und Xylol zu einem nachhaltigeren Umgang mit Rohstoffen bei.

Übergreifend dazu gilt: Effizienzpotenziale entlang der gesamten Wertschöpfungskette heben, um möglichst wenig Energie zu verbrauchen, denn die nicht verbrauchte kWh ist die günstigste.

CT-Fokusthema Wasserstoff

(Bild: Corona Borealis – stock.adobe.com)

In unserem Fokusthema informieren wir Sie zu allen Aspekten rund um das Trendthema Wasserstoff.

  • Einen Überblick über die ausgewählten Artikel zu einzelnen Fragestellungen – von der Herstellung über den Transport bis zum Einsatz von Wasserstoff – finden Sie hier.
  • Einen ersten Startpunkt ins Thema bildet unser Grundlagenartikel.

Nachhaltige Technologien als Gewinn

Die MACC verdeutlichen, wie sich die verschiedenen CO2-Reduktionsmaßnahmen auf Kosten und Einsparpotenziale auswirken und wie sich das Verhältnis der beiden Größen über die Zeit zueinander entwickelt.

Betrachten wir zunächst das Elektrifizieren der Produktionsprozesse. Anfangs müssen Unternehmen hohe Summen in elektrische Technologien investieren. Aber die PwC-Studie zeigt, dass diese Kosten kontinuierlich und deutlich sinken. Bis 2040 könnten die Emissionen aus elektrischen Prozessen nahezu vollständig eliminiert werden, was langfristig zu erheblichen Kosteneinsparungen führt. Das Elektrifizieren stellt somit eine wirtschaftlich attraktive Option dar, um die Treibhausgase zu reduzieren.

Die gleiche Tendenz lässt sich beim grünen Wasserstoff beobachten: Zu Beginn sind die Kosten hoch, um ihn zu produzieren und zu nutzen. Die Studie weist aber nach, dass technologische Fortschritte und Skaleneffekte diese Kosten im Laufe der Zeit senken. Grüner Wasserstoff kann fossile Brennstoffe in der Produktion ersetzen und somit die CO2-Emissionen drastisch vermindern. Gleichzeitig werden die Unternehmen, die bislang in der Produktion vorrangig fossile Brennstoffe verwendet haben, unabhängiger von außereuropäischen Anbietern. Eine konsequente Transformation, so die Analyse, senkt nicht nur den Schadstoffausstoß, sondern auch die Herstellkosten. Langfristig führt dies zu erheblichen Kosteneinsparungen; auch die Investition in grünen Wasserstoff zahlt sich daher aus.

Nachhaltige Produktionsmethoden wirken sich nur geringfügig auf die Preise der Endprodukte aus.
Nachhaltige Produktionsmethoden wirken sich nur geringfügig auf die Preise der Endprodukte aus.

Produkte verteuern sich unwesentlich

Laut der Studie wirken sich nachhaltige Produktionsmethoden in der Chemieindustrie nur geringfügig auf die Preise der Endprodukte aus. Beispielsweise führt der Einsatz von grünem Methanol in der Pharmaindustrie zu einer Preisänderung von lediglich 0,003 % beim Blutdruckmittel Ephedrin. Dem stehen CO2-Emissionseinsparungen von 5 % gegenüber. In dieselbe Richtung geht es, wenn künftig grünes Ethylen für das Herstellen von Laufschuhen oder Verpackungen genutzt wird. Die Preisänderung beträgt nur 0,3 %, aber die Industrie kann damit die Emissionen um 8 % senken. Nachhaltige Produktionsmethoden sind daher wirtschaftlich tragfähig und beeinträchtigen nicht die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen.

Die Endproduktpreise steigen also nur marginal, können bei Premiumprodukten vollständig weitergereicht werden, und für die Umwelt sind die Maßnahmen ein großer Gewinn. Die Erkenntnisse aus der Studie verdeutlichen, dass der Chemieindustrie mit erneuerbaren Energien, grünen Rohstoffen und dem Elektrifizieren ihrer Prozesse wichtige Stellschrauben zur Verfügung stehen. Mittels dieser kann sich die Branche als einer der Haupttreiber des nachhaltigen Wandels positionieren. Wer hohe Standards in Sachen Sicherheit, Risikomanagement sowie Umwelt- und Gesundheitsvorgaben einhält, erarbeitet sich im Wettbewerb einen Vorsprung und festigt seine Resilienz.