Lokale Intelligenz für die Prozessautomatisierung
Erweiterte I/O-Lösung für Steuerung und Datenvorverarbeitung im Ex-Bereich
Wo früher Remote-I/O-Systeme als stille Datenboten fungierten, können moderne Systeme auch Steuerungs- und Vorverarbeitungsfunktionen übernehmen – direkt vor Ort, im Ex-Bereich. Das schafft neue Freiheiten für Planer, Maschinenbauer und Betreiber.
Die Steuerungslösung Extended I/O bringt Prozess-Intelligenz dorthin, wo sie gebraucht wird: direkt in den Ex-Bereich.
(Bild: R. Stahl)
- Statt Daten nur durchzuleiten, ermöglicht sie lokale Analyse, Entscheidung und Kommunikation direkt am Ort des Geschehens, auch in Ex-Zone 1.
- Das System ermöglicht mehr Flexibilität und echte Datenhoheit.
- MTP-fähige Module lassen sich kosteneffizient auch für Ex-Bereiche liefern. Die Lösung ist einfach in moderne Konzepte wie NOA und OPA zu integrieren.
Bisher waren Feldgerätedaten wie Goldbarren in einem Tresor – wertvoll, aber schwer zugänglich. Proprietäre Leitsysteme kontrollierten den Zugriff und boten zwar Auswertungswerkzeuge, doch diese waren in der Regel nur in speziellen Tools der Anbieter nutzbar. Wer Daten flexibel nutzen oder mit anderen Tools verknüpfen wollte, musste Umwege bauen. Dies will die Namur Open Architecture (NOA) des Anwenderverbands Namur ändern: Eine offene Schnittstelle ermöglicht es, Daten aus dem Feld der bestehenden Kern-Automatisierung für Monitoring– und Optimierungsanwendungen zu nutzen.
Der technische Fortschritt in der Prozessautomation kommt diesem Wunsch entgegen: Bereits mit der Einführung der Remote-I/O-Generation IS1+ hat der Anbieter von Ex-Schutz und Automatisierungslösungen R. Stahl im Jahr 2017 gezeigt, dass die neue Plattform so leistungsfähig ist, dass sie sich im reinen I/O-Betrieb eigentlich langweilt. Statt also weiter bloß Daten von A nach B zu schieben, stellte man die Frage: Warum nicht ein bisschen mehr Intelligenz und Datenvorverarbeitung ins Spiel bringen?
Die Anforderungen aus der Praxis gaben die Richtung vor: Maschinenbauer, Integratoren und Betreiber suchen nach Lösungen, um modulare Maschineneinheiten – sogenannte Package Units – einfach und standardisiert in bestehende Anlagen zu integrieren. Besonders in explosionsgefährdeten Bereichen fehlte bislang eine flexible, sichere und kosteneffiziente Steuerungseinheit. Klassische SPS-Lösungen sind typischerweise nicht für Zone 1 zugelassen, haben keine oder nur wenige Karten mit eigensicheren I/O oder die Integrationslösung ist zu teuer – oder alles zusammen. Auch das Thema MTP (Module Type Package) – also die Plug-and-Play-Integration ganzer Maschinenmodule – stößt in der Realität schnell an Grenzen, wenn es um Applikationen in explosionsgefährdeten Bereichen und eigensichere Signalanbindung geht.
Mehr als Remote I/O
Nicht zuletzt bringen neue Automatisierungskonzepte wie NOA oder die Open Process Automation (OPA) Bewegung in die Entwicklung. Beide setzen auf einen neuen Kommunikationskanal, über den Prozess-, Diagnose- und Zustandsdaten unabhängig vom Leitsystem verarbeitet werden können. Und genau dafür bietet die I/O-Ebene ein geeignetes Fundament, wenn sie offen, modular und intelligent genug ist. So entwickelten die Automatisierungsspezialisten nicht einfach ein neues Produkt, sondern eine neue Plattform: Extended I/O.
Durch die Integration einer Steuerungs-Runtime wie Codesys wird aus dem IS1+ Remote I/O eine lokale Steuerungseinheit für eine einfache Datenvorverarbeitung. Codesys ist eine universelle Entwicklungsumgebung, mit der Steuerungen herstellerunabhängig, standardisiert und flexibel programmiert werden können. Sie ermöglicht klassische Maschinenlogik, Visualisierungen oder modulare Steuerungskonzepte in einem Paket. Das System basiert auf dem internationalen Standard IEC 61131-3 und wird weltweit von über 400 Geräteherstellern unterstützt. Für viele Ingenieure ist Codesys deshalb ein vertrauter Begleiter. Für die I/O-Weiterentwicklung das perfekte Werkzeug, um lokale Intelligenz im Feld effizient umzusetzen.
Doch Codesys ist nicht die einzige Möglichkeit, die neue Plattform mit Intelligenz auszustatten. Die UAO Shared Runtime Execution Engine der Universalautomation.org bietet eine zukunftsweisende Alternative. Basierend auf dem IEC-Standard 61499, reagiert die UAO-Runtime auf Ereignisse – schnell, modular und ressourcenschonend. Jeder Teil der Anwendung, sogenannte Function Blocks, kann auf beliebige Hardware verteilt werden – sogar während des Betriebs. So lassen sich Steuerungsfunktionen dynamisch verschieben, vernetzen und skalieren. Die erweiterte I/O-Plattform wird damit zur modularen Schaltzentrale, die sich nicht nur in bestehende Leitsysteme einklinken kann, sondern auch in völlig neue, softwarezentrierte Architekturen – wie sie etwa im Rahmen von OPAF (Open Process Automation Forum) entstehen.
Betreibern mit stärkerem Fokus auf Integration in moderne Engineering- und Visualisierungssysteme, etwa im Pharmaumfeld oder in Batch-Anlagen, steht ein weiterer Weg zur Verfügung: die Straton-Runtime. Dabei handelt es sich ebenfalls um eine IEC-61131-3-konforme Soft-SPS, entwickelt von Straton Automation, einer Tochter von Copa-Data, den Machern hinter dem Scada-System Zenon. Besonders stark ist diese Lösung dort, wo Modularisierung auf hohem Visualisierungsniveau gefragt ist – etwa bei der Umsetzung von MTP (Module Type Package). Der integrierte MTP-Generator erlaubt es, direkt aus der Engineering-Umgebung heraus standardisierte, wiederverwendbare Module zu erzeugen, die sich nahtlos in ein übergeordnetes Leitsystem (POL) integrieren lassen.
Maschinenmodule wie USB-Sticks behandeln
Generell ist die MTP-Unterstützung ein großer Vorteil: Damit lassen sich Maschinenmodule, sogenannte Process Equipment Assemblies (PEA), wie Software-Plugins behandeln: einstecken, verbinden, fertig. Bei Verwendung der Codesys Runtime arbeitet IS1+ als Steuereinheit für eine PEA. Durch den Einsatz des von Festo entwickelten und vertriebenen PA-Toolkits ist es möglich, direkt aus dem Codesys-Projekt ein MTP zu generieren und IS1+ an das Process Orchestration Layer (POL) anzubinden. Auch Universalautomation.org bietet mit der UAO Runtime eine MTP-Integration – ebenfalls lauffähig auf der Extended I/O-Plattform.
Der Clou dieser Lösungen: Die Programmierung bleibt dabei im bekannten Umfeld. Die Visualisierung ist integriert. Und die Integration in Leitsysteme, der POL, erfolgt per Standard – nicht per Sonderlösung. Und das sogar für die Installation in explosionsgefährdeten Bereichen bis in die Zone 1. Das reduziert Projektkosten, vereinfacht die Inbetriebnahme und schafft eine Zukunft, in der Maschinenmodule wirklich austauschbar und flexibel werden. Für Anwender bedeutet das: eine durchgängige Lösung von der SPS-Logik bis zur MTP-Datei, aus einer Hand – ideal für Maschinenbauer, die ihre Package Units fit für die Zukunft machen wollen, ohne sich in proprietäre Insellösungen zu verrennen.
Offene Systeme für eine vernetzte Zukunft
Neben den genannten Runtimes gibt es noch eine Option für Anwender, die ihre eigene Steuerungslogik oder Spezial-Software auf der erweiterten Plattform nutzen möchten: die Open Systems Runtime. Diese ist eine Art offenes Betriebssystem-Fenster auf der Hardware – bereit für OEM-Partner, Systemintegratoren oder Leitsystemhersteller, die ihre eigene Runtime oder individuelle Applikationen direkt in das I/O-System integrieren wollen. Besonders spannend ist das im Kontext von OPAF (Open Process Automation Forum), wo Hardware von Software vollständig entkoppelt werden soll. Diverse Hersteller beziehungsweise Systemintegratoren setzen hier bereits eigene Laufzeitumgebungen direkt auf der erweiterten Plattform ein. Ein erster großer Field Trial findet derzeit in den USA statt. Die erweiterte I/O kann dementsprechend als Distributed Control Node (DCN) mit integrierten I/O agieren.
Im Alltag ermöglicht die erweiterte I/O-Lösung durch den Einsatz von Steuerungs-Runtimes, Platz, Kosten und aufwendige Zulassungen für den Ex-Bereich zu sparen. Gleichzeitig bietet es ein System, das nicht nur schaltet, sondern denkt – im Rahmen seiner Aufgaben, etwa in Skids, Pumpstationen, Dosieranlagen oder Package Units in explosionsgefährdeten Bereichen. Das System funktioniert nicht als geschlossene Blackbox, sondern als offene Plattform. Mit einem simplen Tausch der CPU-Baugruppe kann ein klassisches Remote-I/O-System zu einem Extended I/O werden, ohne Umbau oder Neuverkabelung.
Die Datenpyramide steht Kopf
Traditionell wurde Automatisierung als Pyramide gedacht: unten die Sensoren, oben das Leitsystem, dazwischen viele Schichten. Doch diese Struktur bröckelt. Heute fließen Daten in viele Richtungen – zur Cloud, in das Asset-Management, zu KI-Anwendungen, zu mobilen Endgeräten. Die Pyramide steht quasi Kopf.
IS1+ Extended I/O ist bereit für dieses neue Denken. Es sammelt Daten, verarbeitet sie lokal und verteilt sie – standardisiert, strukturiert und in Echtzeit. Und es tut dies ohne Herstellerbindung. Wer OPC UA spricht, ist willkommen. Wer MTP versteht, kann sofort loslegen. Die Plattform wird so zum Drehkreuz intelligenter Prozessdaten, das sich nahtlos in moderne Architekturen einfügt – und zwar mit der Möglichkeit zur Installation in Ex-Zone 1.