"Deutschland krankt an strukturellen Problemen, überbordender Bürokratie, zu langen Genehmigungsverfahren, komplizierten Projektfördersystemen" lautet das vernichtende Urteil der VCI-Forschungspressekonferenz 2024, trotz steigender Forschungsetats.

(Bild: Dall-E3 / OpenAI)

Die Etats für Forschung und Entwicklung (FuE) in der chemisch-pharmazeutischen Industrie steigen zwar, die Bedeutung des deutschen Innovationsstandorts sinkt dennoch. Es fehlte eine Innovationsstrategie der Bundesregierung aus einem Guss, kritisiert der Verband der Chemischen Industrie (VCI). Thomas Wessel, Vorsitzender des VCI-Forschungsausschusses, sagt: „In anderen Ländern sind die Kosten niedriger, öffentliche Förderprogramme besser und die Bürokratie geringer. Bei Ideen ist ‚Made in Germany‘ zwar top, ‚Moneymakers‘ sind diese Ideen aber im Ausland.“

Pharmaforschung trägt Wachstum

Die FuE-Ausgaben der chemisch-pharmazeutischen Industrie sind nach Schätzungen des VCI im Jahr 2023 um 4 % auf rund 15,5 Mrd. Euro gestiegen. Getragen wurde das Wachstum vor allem von der Pharmaforschung. In der Chemie hingegen standen die FuE-Budgets auf dem Prüfstand. „Hohe Kosten am Standort, eine schlechte Ertragslage und sich verschlechternde Innovationsbedingungen machen es immer schwerer, in Deutschland zu forschen“, erläutert Wessel. Dennoch sei die Innovationsorientierung der chemisch-pharmazeutischen Industrie hoch, da nahezu alle Unternehmen forschen. Als positive Entwicklung bezeichnet er auch die gestiegene Zahl der FuE-Beschäftigten: Annähernd 46.000 der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in den Forschungslaboren der Branche tätig, das entspricht knapp 10 % der Beschäftigten.

Bedenklich stimmt den VCI-Forschungssprecher allerdings, dass die Dynamik der Forschungsbudgets zuletzt nachgelassen hat und eine Umkehr dieser Entwicklung nicht in Sicht sei. Für das laufende Jahr prognostiziert der Chemieverband daher kaum Zuwächse bei den Forschungsbudgets im Inland, dafür aber steigende Investitionen im Ausland. Laut einer aktuellen VCI-Umfrage will jedes dritte Unternehmen, das außerhalb Deutschlands forscht, dort seine FuE-Investitionen erhöhen. Für 2024 rechnet der VCI mit einem branchenweiten FuE-Etat von 15,8 Mrd. Euro. Das ist ein Plus von 2 %.

Das zunehmende Interesse der Unternehmen an Forschung im Ausland mache den Bedeutungsverlust des Chemieforschungsstandorts Deutschland deutlich, so der VCI weiter. Noch ist Deutschland der viertgrößte Chemieforschungsstandort, aber die Wettbewerber holen auf. Eine exzellente Chemieforschung in der Grundlagen-, der angewandten und der industriellen Forschung für den Wirtschaftsstandort, für die Transformation und für die Bewältigung aktueller Herausforderungen sei daher von herausragender Bedeutung: So zahlen Chemie- und Pharmapatente erheblich auf die Nachhaltigkeitsziele der UN ein. In Deutschland stammen 71 % der Nachhaltigkeits-Technologiepatente für sauberes Wasser aus der Chemieforschung. Bei Gesundheit sind es 63 % und beim Klimaschutz über 50 % der Technologiepatente. Wessel: „Forscherinnen und Forscher an unseren Hochschulen, wissenschaftlichen Instituten und in der Industrie tragen wirksam zu Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft bei.“ Er ergänzt, dass branchenübergreifenden Innovationen von chemischer Forschung und industrieller Anwendung eine wachsende Bedeutung zukomme. Das setze eine räumliche Nähe zwischen dem Innovator und seinem Kunden voraus, um mit ihm zusammen beispielsweise durch neue, moderne Werkstoffe Zukunftsprodukte zu entwickeln und zukunftsfähig zu bleiben.

Licht und Schatten am Forschungsstandort Deutschland

Umso wichtiger sei es, den deutschen Innovationsstandort zu stärken. Zwar könne Deutschland durchaus mit Trümpfen punkten. Hierzu zählten beispielsweise eine hervorragende Wissenschaftslandschaft, Top-Forscherinnen und Forscher sowie eine starke Grundlagenforschung. Doch ein zeitgemäßes Innovationssystem brauche eine umfassende Innovationsstrategie aus einem Guss – von der Grundlagen- über die angewandte bis hin zur Industrie-Forschung, appelliert Wessel an die Ampelkoalition. Die Branche stört vor allem das vielfältige Stückwerk: „Hier ein neues Förderprogramm, dort ein neues Institut – das ist ein Flickenteppich. Verstärkt wird diese Entwicklung durch nicht abgestimmte Maßnahmen der Bundesregierung und ihrer Ressortabteilungen.“ Auch mit der erneuten massiven Kürzung der Finanzmittel im Haushalt 2025 für die Batterieforschung beispielsweise verspiele die Bundesregierung Vertrauen und gefährde so die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in dieser Zukunftstechnologie. Technologieentwicklung und Forschungsförderung müssten Hand in Hand gehen. „Ein Handeln nach Haushaltslage und parteipolitischen Bedürfnissen ist kontraproduktiv“, macht Wessel deutlich.

Weiter fordert der VCI-Forschungssprecher den Abbau überbordender Bürokratie. Das deutsche Antragswesen zwänge die Unternehmen in ein Korsett und schränke ihre Flexibilität ein. „Die Bürokratie-Lianen strangulieren Unternehmen und schrecken auch ausländische Investoren ab.“ Dabei sei Bürokratie nicht nur lästig, so Wessel, sondern auch ein massiver Kostenfaktor. Das zeigt die VCI-Umfrage: Geschätzte 5 % ihrer Umsätze müssen Firmen für das Ausfüllen von Formularen aufbringen. „Ein Teil dieses Geldes wäre sicher besser in Innovationen investiert“, so Wessel.

Mit Blick auf den weltweiten Wettbewerb der Innovationsstandorte plädiert der Vorsitzende des VCI-Forschungsausschusses außerdem dafür, dass die Förderlandschaft aus einer Kombination staatlicher Fördermittel, steuerlicher Maßnahmen, institutionellem und privatem Risikokapital finanziert werde. Ebenso müssten Pilot- und Demonstrationsanlagen sowie Reallabore gefördert werden, um die Transferlücke zwischen Grundlagen- und angewandter Forschung zu schließen. Und auch der Fachkräftemangel bereitet Sorgen. Um Top-Talente auszubilden, zu gewinnen und zu halten, bräuchten die Schulen eine bessere technische Ausstattung im Chemieunterricht, vergleichbare Bildungsstandards, durchgehenden MINT-Unterricht und gut ausgebildete Lehrkräfte, die sich kontinuierlich weiterbilden.

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